Erzählheimat Slowenien: Die Wiederholung (1986)

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In der Erzählung Die Wiederholung (1986) reist der junge Filip Kobal aus Rinkenberg (Kärnten) auf der Suche nach dem für seine schön geschriebene Feldpost in der Familie bewunderten, aber seit dem Krieg verschollenen älteren Bruder nach Slowenien, dem Herkunftsland der väterlichen Familie. Mit dem Studium des brüderlichen Wörterbuchs und dem damit verbundenen Bewusstwerden der Sprache (als Bedingung für die Selbst- und Weltwahrnehmung) erkennt er seine Bestimmung: Die Wiederholung ist die 25 Jahre später literarisch wiederholte Reise, erzählt als ästhetische Individuation und »Heimkehr« in das »Land der Erzählung« oder das »Neunte Land«, als das Handke Slowenien versteht und von dem er später, gezwungen durch die politischen Ereignisse, »Abschied« nimmt.

Für die Wiederholung recherchierte Handke mehrere Jahre: Er studierte Geografie und Geschichte Kärntens und Sloweniens. Er unternahm Reisen zu den Orten der Erzählung, er machte sich Notizen und Notizzeichnungen wie etwa von den »aus den hinten offenen Kellnerinnenschuhen leuchte[nden] [...] runden weißen Fersen« (DW 19) der Serviererin in Jesenice. Er fotografierte Gegenstände oder Orte wie die »blinden Fenster« (DW 96ff.), die »Heuharfen« (DW 142) oder einen Bildstock, »mit einem Innenraum, allerdings zu klein, darin auch nur einen einzigen Schritt zu tun« (DW 51). Handke lernte Slowenisch und begann zu Übungszwecken mit seiner Lehrerin, Helga Mračnikar, Florian Lipuš’ Der Zögling Tjaž zu übersetzen. Dabei entstanden nicht nur Vokabelhefte, sondern auch ein eigenes, handschriftlich verfasstes Wörterbuch mit erweiterten Wortbedeutungen – Vorbild für das Wörterbuch des Bruders im Text.

»DW« ist ein seit 1975 verfolgtes Projekt, das Handke aus seinen Notizen extrahierte. Es sind Sammlungen von »Momente[n] der Epiphanie, wenn sich plötzlich etwas, was schon vor der Zeit war, wiederholt, in einer anderen Version, und wir das Gefühl haben, daß im menschlichen Leben eine Art innerer Verbundenheit besteht« (Handke / Horvat 1993, S. 59), erklärt der Autor und nennt dieses Gefühl »Dauer« – umgesetzt auch in dem ebenfalls 1986 erschienenen Gedicht an die Dauer. (kp)

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