Omar's Silberhorn ...

Stahlstich in Punktiertechnik

... oder: Stimmen aus dem Gebiete der Tugend, Wahrheit und Moral. Lehrreiches und zu gleicher Zeit unterhaltendes Lesebuch für die Jugend aller Stände und beiderlei Geschlechtes von Karl Ludwig G. Ls. - Wien : Gedruckt und im Verlage bei Leopold Grund, 1842.

Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 307.675-A.Alt-Mag

 

Mancher Lebenswonne Blüthe
Mancher schöne Myrthenstrauß
Welken; doch der Freundschaft Gütte [sic]
Dauren Menschenalter aus.

 

Dieses kleine Buch enthält vier Beispiele zur moralischen Kinderliteratur, die vom Inhalt her für die Zeit exemplarisch sind:

In "Die Mausfalle" tadelt eine Mutter ihre kleine Tochter Rosalie vor einer Gesellschaft von Kindern und Erwachsenen wegen ihrer Naschsucht. Die neunjährige Seraphine erzählt daraufhin aus freien Stücken, wie sie selbst lange Zeit unter diesem Fehler gelitten, dann aber einmal bei einem heimlichen Besuch in der Speisekammer in eine Mausefalle gegriffen hat. Seraphines Mutter lobt sie für ihre Aufrichtigkeit und dafür, dass sie seither ihre Naschsucht beherrschen kann. -

In "Der Hausarrest" darf Viktor an einer Spazierfahrt mit der Familie nicht teilnehmen, weil er beim Gottesdienst mit einem Freund geschwätzt und nicht auf die Predigt geachtet hat, denn: Jeder Mensch, so oft er in die Kirche geht, muß das als die ernsthafteste Handlung seines Lebens betrachten ... -

In "Die törichten Wünsche" hofft Theodor, dass es immer Winter bleiben möge, so sehr liebt er das Schlittschuhlaufen. Sein Vater läßt ihn diesen Wunsch aufschreiben. Die gleiche Szene wiederholt sich mit jeder Jahreszeit, denn der Bub kann auch der schönen Frühlingslandschaft, dem heißen Sommer mit seinem köstlichen Obst und dem Herbst mit seinen schönen Farben und den Festen im Dorf genauso viel abgewinnen. Am Ende des Jahres beweist ihm der Vater anhand der Eintragungen auf der Schreibtafel, dass Theodors Wünsche (und andere menschlichen Sehnsüchte) töricht waren, da Gott die Jahreszeiten (und die Welt insgesamt) doch so weise eingerichtet hat. -

In "Jakobine" weigert sich eine Dreijährige (!), von einem Huhn zu essen, das sie oft gefüttert und sehr geliebt hat. Als die Mutter, eine Frau von vorzüglichen Geistesgaben, einwendet, dass ja auch ihre ältere Schwester es gefüttert hätte, antwortet Jakobine: Das mag recht wohl seyn, aber sie waren doch nicht so genau bekannt und so gut miteinander als wir Beide. Der Autor kommentiert: Muß das Herz eines Geschöpfes, welches zum Bewußtseyn kaum erwacht, schon solcher Eindrücke fähig ist, sich von einer solchen Mutter geleitet, nicht allen Tugenden willig öffnen?

 


last update 07.01.2016