Aktualisierung 2000

Einen Markstein in der Geschichte des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA) stellte die Einweihung des Centre Dürrenmatt
Neuchâtel (CDN) im September 2000 dar. Charlotte Kerr, Friedrich Dürrenmatts zweite Frau, schuf die Voraussetzungen zur Gründung
dieses Zentrums, indem sie 1997 dem Bund das erste Haus, das Dürrenmatt 1952 in Neuenburg bezogen hatte, mit einem dazugehörenden
Grundstück vermachte. Die Bauarbeiten konnten im Juni 2000 abgeschlossen werden, und im September wurde der Betrieb im CDN
offiziell aufgenommen. In diesem Ausstellungsgebäude beim ehemaligen Arbeits- und Wohnhaus des Schriftstellers können nun
Dürrenmatts Bilder ständig in ihrer Beziehung zum schriftstellerischen Werk gezeigt werden. Der literarische Nachlaß Dürrenmatts
bleibt in Bern. Mit der Realisierung des CDN gelang ein in der Schweiz wohl einmaliges kulturelles Projekt, an dem sich Bund,
Kanton und Stadt Neuenburg sowie zahlreiche private Geldgeber beteiligten.
Das SLA konnte im Jahr 2000 eine Reihe neuer Archive und Nachlässe aus der deutsch-, italienisch- und französischsprachigen
Schweiz übernehmen, so etwa das Archiv der Westschweizer Schriftstellerin Yvette Z’Graggen (geb. 1920), den Nachlaß der italienischsprachigen
Autorin Edvige Livello (1901–1999) sowie die Archive von Hugo Loetscher (geb. 1929), Herbert Meier (geb. 1928) und Isolde
Schaad (geb. 1944). Nachdem das SLA 1999 das Archiv des Berner Schriftsteller-Vereins (BSV) übernommen hat, ist ihm im Jahr
2000 das Archiv des Schweizerischen Schriftstellerinnen- und Schriftsteller-Verbands (SSV) als Dauerleihgabe anvertraut worden.
Das Archiv des SSV dokumentiert Entstehung und Entwicklung des literarischen Dachverbands der Schweiz und seiner Mitglieder
seit der Gründung 1912 und enthält eine Fülle wertvoller Dokumente, darunter Briefe und Manuskripte von Autorinnen und Autoren.
Im Rahmen der Reihe »Arbeitsberichte des Schweizerischen Literaturarchivs« wurden im vergangenen Jahr detaillierte Verzeichnisse
der Nachlässe und Archive von Jakob Haringer, Patricia Highsmith, Adolfo Jenni, Georg Kaiser, Georges Poulet und Eugène Rambert
fertiggestellt. Diese (mit dem Textverarbeitungsprogramm MS-Word hergestellten) Listen können von allen internen PC-Arbeitsplätzen
abgerufen werden. Für Online-Recherchen via Internet stehen für alle größeren Nachlässe und Archive Globalnotizen (»Collection
level descriptions«) in der SLB-Datenbank »Helveticat« zur Verfügung. Im übrigen wurde hauptsächlich die Erschließung der
Nachlässe und Archive von S. Corinna Bille, Mariella Mehr, Herbert Meier, Otto F. Walter, Pierre-Olivier Walzer und Laure
Wyss weiter vorangetrieben.
Während des Umbaus der Schweizerischen Landesbibliothek in Bern seit Oktober 1998 mußte das SLA einen provisorischen Lesesaal
betreiben, wodurch die Zahl der Besucher stark eingeschränkt werden mußte. In diesem Lesesaal standen für die Konsultation
der Nachlässe und Archive des SLA lediglich zwei – in Ausnahmefällen drei – Arbeitsplätze zur Verfügung. Umso erfreulicher
ist es, daß im Jahr 2000 trotz dieser Einschränkungen 477 Benutzungen (1999: 467) registriert werden konnten. Der am häufigsten
konsultierte Nachlaß war – nachdem im letzten Jahr der Nachlaß Highsmith die Rangliste angeführt hatte – mit 124 Benutzungen
wie schon in den Jahren 1991 bis 1998 der Nachlaß des SLA-Begründers Friedrich Dürrenmatt. Seit dem März 2001 empfängt das
SLA seine Besucher in einem neuen Lesesaal in der vollständig renovierten und mit modernster Einrichtung bestückten Schweizerischen
Landesbibliothek.
Das dreijährige Nationalfonds-Forschungsprojekt zu Friedrich Dürrenmatts »Stoffen«, das von Philipp Burkard, Rudolf Probst
und Ulrich Weber in Zusammenarbeit mit Peter Rusterholz und Irmgard Wirtz von der Universität Bern durchgeführt wurde, wurde
im März 2000 abgeschlossen. Die Manuskripte im Umfang von über 20.000 Seiten, die Dürrenmatt im Verlauf von über zwanzig Jahren
zu seinem autobiographischen und poetologischen Spätwerk »Stoffe« verfaßte, wurden im Detail inhaltlich erschlossen, ihr genetischer
Zusammenhang wurde rekonstruiert und kommentiert. Diese nach den aktuellen Kriterien der Textologie organisierte Grundlagenarbeit
bildet eine Voraussetzung für zukünftige editorische und interpretatorische Arbeiten mit diesem großen Manuskriptkomplex.
In exemplarischen Analysen und Interpretationen haben die Projektmitarbeiter das Verhältnis von Fiktion und Autobiographie,
das komplexe selbstreferentielle Verhältnis der »Stoffe« zum Gesamtwerk des Autors sowie die Rezeption und Transformation
philosophischer Konzepte und deren Zusammenhang mit der Poetik der »Stoffe« untersucht. Der Schlußbericht und die Dokumentation
zum gesamten Projekt sind im SLA einsehbar, die am internationalen Friedrich-Dürrenmatt-Symposion 1998 in Bern vorgestellten
Beiträge sind in Buchform erschienen: Die Verwandlung der Stoffe als Stoff der Verwandlung. Friedrich Dürrenmatts Spätwerk.
Hg. von Peter Rusterholz und Irmgard Wirtz. Berlin: Schmidt 2000.
Mit der großzügigen Unterstützung der Silva-Casa Stiftung wurden im SLA zwischen Februar 1998 und Oktober 2000 die Nachlässe
Golo Mann, Niklaus Meienberg, Jean Rudolf von Salis und das Archiv Arnold Künzli im Rahmen des Projekts »Zeitgeschichte im
Schweizerischen Literaturarchiv« erschlossen und wissenschaftlich ausgewertet. Als Ergebnis liegen vier im Rahmen der Arbeitsberichte
des SLA herausgegebene Inventare und das Buch »Nachfragen und Vordenken. Intellektuelles Engagement bei Jean Rudolf von Salis,
Golo Mann, Arnold Künzli und Niklaus Meienberg« (Zürich: Chronos 2000) vor. Die Silva-Casa Stiftung hat mit ihrer großzügigen
Unterstützung eine archivalische und wissenschaftliche Arbeit ermöglicht, die in der gegenwärtigen finanzpolitischen Situation
der öffentlichen Hand nie hätte realisiert werden können.
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