Während Ingeborg Bachmanns Nachlaß für die Öffentlichkeit und für die Forschung nach wie vor gesperrt ist und Publikationen
artig ›unter Wahrung des Briefgeheimnisses‹ erfolgen, kommt von anderswo Licht ins Dunkel: Der von der 1991 verstorbenen Witwe
autorisierte Briefwechsel zwischen den Eheleuten Paul und Gisèle Celan lüftet auch so manchen Schleier des Geheimnisses um
die Beziehung des Dichters zu seiner sechs Jahre jüngeren Kollegin aus Kärnten. Vor allem aber eröffnet Bertrand Badious editorisches
Großprojekt einen neuen, facettenreichen Blick auf Paul Celans Persönlichkeit, auf die große und prekäre Liebesgeschichte
seiner Ehe und auf die immer wieder dramatischen Bedingungen seiner lyrischen Produktion: Celans psychische Erkrankung äußerte
sich im letzten Jahrzehnt seines Lebens in psychotischen Schüben, die ihn wiederholt zu längeren Spitalsaufenthalten zwangen.
Paul Celans Witwe begann gleich nach dem Tod ihres Mannes 1970 mit der Vorbereitung einer Edition der Korrespondenz, der Aufbau
der vorliegenden Ausgabe folgt ihren Plänen. Ungewöhnlich erscheint die Konsequenz, mit der die Erbin alle Dokumente ohne
jeden beschönigenden Eingriff zur Verfügung gestellt hat. Der elf Ordner füllende Briefwechsel befindet sich seit 1990 im
Besitz des Deutschen Literaturarchivs (Marbach); Gisèle Celans Briefe sind bereits dort archiviert, die Briefe ihres Mannes
liegen noch in Paris. Eric Celan, der Sohn der beiden, hat weitere Korrespondenzstücke, die während der Zusammenarbeit mit
dem Herausgeber am Kommentar aufgetaucht sind, dem Marbacher Archiv versprochen. Die Besonderheit dieser Briefausgabe liegt
darin, daß wir Paul Celan in deutscher Übersetzung zu lesen bekommen. Er und seine Frau Gisèle Celan-Lestrange korrespondierten
auf französisch, er pflegte allerdings neue Gedichte im deutschen Original beizulegen und diese entweder mit Vokabelangaben
zu erläutern oder eine Rohübersetzung anzufertigen.
Die Form der deutschsprachigen Edition folgt jener der französischen, die nur knapp zuvor im selben Jahr erschienen ist. Der
erste Band enthält die Briefe, der zweite den Kommentar. Die Briefe - alle, die Celan an seine Frau schrieb, sowie eine »großzügige
Auswahl« (II, S. 18) der ihren an ihn - wurden von Eugen Helmlé ins Deutsche übertragen, die Anmerkungen des Herausgebers
übernahm Barbara Wiedemann, die kürzlich ihre monumentale Studie zur sogenannten Goll-Affäre veröffentlicht hat. Die Erläuterungen lassen von der Beschreibung des Umschlags und Briefkopfes bis zur Hintergrundinformation zu intimen Anspielungen
keinen Wunsch offen. Die separate Lektüre des Kommentarbandes gestaltet sich so nicht minder fesselnd als die der Briefe.
Wiedemann hat den Apparat außerdem für das deutschsprachige Publikum bearbeitet und um französische Landeskunde ergänzt. Daran
schließt eine ausführliche, Paul und Gisèle Celan parallel im Auge behaltende Zeittafel an, die einige biographische Leerstellen
füllt. Neben dem üppig bestückten Personenverzeichnis findet sich eine wertvolle Liste sämtlicher in dieser Ausgabe genannten
Werke Celans, inklusive der Übersetzungen.
Paul Celan hatte seine Frau 1951 in Paris kennengelernt: Einer alten gräflichen Familie entstammend, kam sie aus einem völlig
anderen, tiefkatholischen Milieu, war aber als bedeutende graphische Künstlerin unkonventionell-antibürgerlich eingestellt.
Aus ihren Briefen formt sich das Bild einer bemerkenswert großzügigen und fürsorglichen, tapferen und selbst in extremis noblen
Gefährtin. Als Celan 1958 mehr oder weniger offen seine in Wien geknüpfte Beziehung zu Ingeborg Bachmann wieder aufnimmt,
bittet Gisèle Celan-Lestrange den untreuen Ehemann brieflich um Verzeihung für ihren Kleinmut und vertraut ihrem Tagebuch
an, die Gedichte der Rivalin hätten sie zu Tränen gerührt: »Jetzt bin ich ihr näher, ich akzeptiere, daß Du sie wiedersiehst,
ich bleibe ruhig« (II, S. 100). Während aller psychischen Krisen ihres Mannes bleibt Gisèle an seiner Seite, erst als seine
paranoiden Wahnvorstellungen in einem Mordversuch an ihr und mehreren Selbstmordversuchen gipfeln, drängt sie ihn, auch aus
Angst um den Sohn, die gemeinsame Wohnung zu verlassen.
Der Briefwechsel macht eindrucksvoll deutlich, wie labil Celans Selbstbewußtsein als Dichter war, wie leicht es durch mißgünstige,
vermeintlich oder wirklich antisemitische Äußerungen ins Wanken geriet - und das, obwohl zu den Lesungen des Büchner-Preisträgers
in Deutschland bald einmal tausend Leute kamen. Von einer frühen Irritation im Literaturbetrieb, dem mißglückten Auftritt
vor Hans Werner Richter und seiner Gruppe 47 im Jahr 1952 in Niendorf, wo man sich über das Pathos seines Vortrags mokierte,
berichtet Celan seiner künftigen Frau: »Diese Stimme, im vorliegenden Falle die meine, die nicht wie die der andern durch
die Wörter hindurchglitt, sondern oft in einer Meditation bei ihnen verweilte, an der ich gar nicht anders konnte, als voll
und von ganzem Herzen daran teilzunehmen - diese Stimme mußte angefochten werden, damit die Ohren der Zeitungsleser keine
Erinnerung an sie behielten ...« (I, S. 22).
Celans Briefe geben so einerseits wichtige biographische und literaturgeschichtliche Aufschlüsse, andererseits zeigen sie
die extreme Empfindlichkeit des um seine Identität ringenden Emigranten. So war es nur folgerichtig, daß Paul Celan sich durch
die bösartigen Plagiatsvorwürfe von Claire Goll, der Witwe Yvan Golls, im Kern seiner Existenz als Dichter getroffen fühlte.
Die ›Goll-Affäre‹ begann 1951, erreichte rund um die Verleihung des Büchner-Preises 1960 einen Höhepunkt und wurde zu Celans
Lebzeiten nicht aus der Welt geschafft. In Deutschland, wo die Presse sich mit Verve auf den Skandal stürzte, fühlte sich
Celan fremd, ausgesetzt und als Jude verdeckt attackiert, in Österreich verspürte er dankbar Rückendeckung, vor allem durch
Friedrich Torberg und den P.E.N.-Club, aber auch durch seine Wiener Freunde Ingeborg Bachmann, Klaus Demus, Milo Dor und Reinhard
Federmann - zu denen er nichtsdestoweniger im späteren Verlauf der publizistischen Kriegshandlungen den Kontakt abbrach. Im
Briefwechsel mit seiner Frau ist schrittweise nachzuvollziehen, wie unmittelbar die Intrigen und Kämpfe um die weiße Weste
des Originalgenies mit Celans Weg in die Krankheit zusammenhängen.
Bei aller Egozentrik des ständig am Rand des Abgrunds Wandelnden imponieren die Selbstdisziplin und erzwungene Ruhe, die auch
aus Celans in diversen Kliniken verfaßten Briefen sprechen. Unter dem Einfluß schwerster Psychopharmaka stehend, sorgt er
sich um Frau und Kind, liest Kafka und Lichtenberg, Shakespeare und Lévi-Strauss - und schreibt Gedichte. Der Kontext des
psychischen Ausnahmezustands dürfte für die Interpretation der Celanschen Lyrik ebenso aufschlußreich sein wie der Selbstkommentar,
den der Autor mit seinen Gedichtabschriften liefert und den er sonst standhaft verweigert hat. Auch die letzten Verse, die
er seiner (mittlerweile von ihm getrennt lebenden) Frau einen Monat vor seinem Selbstmord zum Geburtstag schickt, hat er für
sie übersetzt: »Aus dem zerscherbten / Wahn / steh ich auf / und seh meiner Hand zu, / wie sie den einen / einzigen / Kreis
zieht« (I, S. 587).
Wenn es an dieser aufwendigen und doch praktischen, kurzum: vorbildlichen Edition irgendetwas auszusetzen gibt, dann ist es
ein Aspekt der an sich souveränen Übersetzung. Daß Eugen Helmlé den ständigen Wechsel in der Briefanrede zwischen »Du« und
»Sie« im Deutschen nicht ganz natürlich klingen lassen kann, ist ihm kaum vorzuwerfen. Daß das von ihm künstlich hergestellte
Deutsch Paul Celans nichts von der Bukowina und nichts von schwarzgelber Prägung weiß, wiegt da schon schwerer - kaum vorstellbar
etwa, daß Celan seiner Frau versichert hätte, sie beide würden schon wieder »hochkommen« (vgl. I, S. 209, 214). Wiewohl der
Herausgeber konstatiert, »das Deutsch, das Celan spricht und schreibt«, sei »in vieler Hinsicht merkwürdig« und habe »seinen
Ursprung im deutschsprachigen Judentum von Czernowitz« (II, S. 10), hat die Forschung den Blick auf das altösterreichische
Idiom in Celans Lyrik bisher sträflich vernachlässigt und etwa als Neologismen aufgefaßt, was schlicht Austriazismen sind.
Dieses Manko mag damit zusammenhängen, daß österreichische Germanisten den - nach Eigendefinition (I, S. 25) - »österreichische[n]
Dichter« Celan ihrer deutschen Kollegenschaft überlassen und sich in der ›Celanologie‹ kaum hervortun.
Vielleicht bietet der vorliegende Briefwechsel auch in dieser Hinsicht neue Anreize. Auf die für die nächsten Jahre geplante
Veröffentlichung von Celans Tagebüchern, in denen manches expressis verbis stehen soll, was der Dichter in seinen Briefen rücksichtsvoll
umschreibt, kann man jedenfalls gespannt sein.
Daniela Strigl
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