Brief von Stefan Zweig an Eugen Wolbe (11. 5. 1933)
- Österreichische Nationalbibliothek, Literaturarchiv, Wien
Der seit 1904 in Berlin lebende Gymnasiallehrer, Publizist und passionierte Autographensammler Eugen Wolbe (1873-1938) hat wahrscheinlich bereits 1913 mit dem Wiener Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) brieflichen Kontakt aufgenommen. Zweig verfügte schon zu diesem Zeitpunkt über eine beachtliche Autographensammlung; zwischen ihm und Wolbe entwickelte sich über das gemeinsame Sammelinteresse eine langjährige Korrespondenz, wobei Zweig den Berliner gelegentlich bat, für ihn Autographen in Deutschland zu erwerben - nicht unüblich für Zweig, der sich oft mit befreundeten Sammlern und Händlern über die gegenwärtige Marktlage austauschte. Zum inneren Kreis der Autographen-Freunde Zweigs gehörten Karl Geigy-Hagenbach in Basel und der Verleger Anton Kippenberg in Leipzig. Daß sich Zweig und Wolbe persönlich kannten, belegt folgende Mitteilung des Berliner Sammlers: "kein Blatt in meinem 'Gästebuche' erfreut mich mehr als Stefan Zweigs Eintragung, in der er sagt, er sei mir 'in gemeinsamer Neigung verbunden seit Jahr und Jahr' und immer wieder dankbar erfreut von der Gegenwart meiner Schätze" (Eugen Wolbe: Stefan Zweig als Autographensammler. Zu seinem 50. Geburtstag am 28. November 1931. In: Der Kunstwanderer 13, 1931, S. 72f., hier S. 73). Der vorliegende Brief ist das letzte Dokument des Schriftverkehrs zwischen Wolbe und Zweig im Österreichischen Literaturarchiv. Zweig reagiert offenbar auf den zuletzt empfangenen Brief von Wolbe, den er als "prächtiges Zeitdokument" bezeichnet und zum Anlaß nimmt, seine Einschätzung der aktuellen Lage in Deutschland zu skizzieren. Am Vortag waren dort von den Nationalsozialisten unter anderem die Bücher der jüdischen Schriftsteller Stefan Zweig, Jakob Wassermann und Franz Werfel verbrannt worden, die Zweig - Anlaß für einen weiterführenden Kommentar - "uns völlig Unpolitische" nennt. Zu dem im Brief angesprochenen französischen Literaturnobelpreisträger Romain Rolland unterhielt Zweig bereits seit 1910 engen Kontakt, der auch in einem umfangreichen Briefwechsel, der bis 1940 geführt wurde, dokumentiert ist. Am 31. März 1933 teilt Rolland, der von 1922 bis 1937 in Villeneuve im Schweizerischen Kanton Vaud wohnte, Zweig brieflich mit, daß er wegen Erkrankung und Arbeitsüberlastung seine Außenkontakte strengstens selektieren müsse (vgl. Romain Rolland und Stefan Zweig: Briefwechsel 1910-1940. Bd. 2: 1924-1940. Berlin: Rütten & Loening 1987, S. 505). Allem Anschein nach hat sich Wolbe, als er über Zweigs Vermittlung Kontakt zu Rolland aufnehmen wollte, bereits in der Schweiz befunden.