NB online - Sammlung von Inkunabeln, alten und wertvollen Drucken - Neuerwerbungen
Asterisk   

Neuerwerbungen

Sammlung von Inkunabeln, alten und wertvollen Drucken



Zum Wiederaufbau des Kärntnertortheaters 1763

Friedrich Wilhelm Weiskern: Die Herstellung der Deutschen Schaubühne zu Wien, unter der Aufsicht Seiner Hoch- und Wohlgebohrnen Excellenz, Herrn Jacobs, Grafen v. Durazzo, Ihrer Kaiserl. und Königl. Apostol. Majest. wirklichen Geheimen Rathes und Directors der Hofmusik, wie auch der K. K. Hof- und privilegirten Theater; in einem Vorspiele gefeyert, welches auf Befehl, von Friedrich Wilhelm Weiskern verfasset, und im Heumonate 1763. bey Wiedereröffnung gedachter Schaubühne, aufgeführet worden ist. - Wien : gedruckt mit v. Ghelischen Schriften, [1763].

Zur Detailinformation
Objektbeschreibung:
Titelblatt
Wien, Österreichische Nationalbibliothek,
Sign.: 307.836-B.Alt-Mag

Detailinformation

Die Schaubühne stellet eine Wüsteney von eingefallenen Mauern, und verödeten Bruchstücken vor, welche mit Dornhecken und Distelstauden bewachsen sind. In dieser trostlosen Szenerie findet sich Friedrich Wilhelm Weiskern wieder, Lustspielautor, Regisseur und populärer Darsteller an der "deutschen Schaubühne" in Wien. Er ruft nach seinen Kollegen: Wo mögen sie wohl seyn? Herr Prehauser! ... Herr Stephanie! Herr Brenner! ... Herr Jaquet!, aber keiner antwortet. Endlich trifft er zwei weitere Lieblinge des Wiener Theaterpublikums, Gottfried Prehauser und Christiane Huber. Ihnen allen hat ein Orakel den Weg zu diesem öden Platz gewiesen, wo sie ihre künftige Bestimmung finden sollen. Gemäß dem Orakelspruch berühren die drei einen bestimmten Stein; dieser verwandelt sich in das kaiserliche Wappen. Die Schauspieler heben es hoch, und in dem Augenblicke verschwindet die Wüsteney, und statt der Ruinen zeiget sich ein herrlicher, und prächtig beleuchteter Saal. Alle Darsteller und Tänzer des Kärtnertortheaters kommen nun auf die Bühne und beschwören die glückliche Zukunft ihres Hauses.

Mit diesem Vorspiel wurde am 9. Juli 1763 im Beisein der kaiserlichen Familie und vor illustrem Publikum der Neubau des Kärntnertortheaters eröffnet. Das ursprüngliche, 1709 errichtete Theater war zwei Jahre zuvor abgebrannt, offenbar infolge eines Glutrests, der von einem auf der Bühne inszenierten Feuer übriggeblieben war. Das Ensemble dieser "deutschen Schaubühne" übersiedelte vorübergehend in das (alte) Burgtheater am Michaelerplatz, wo es abwechselnd mit dem des französischen Theaters auftrat. Im neuen, nach Plänen des Hofarchitekten Nikolaus Pacassi errichteten Haus spielte man hauptsächlich deutsche Sprechstücke und musikalische Komödien; neben Hamburg konnte Wien damit eine von nur zwei stehenden "deutschen Schaubühnen" vorweisen, die sich noch dazu jetzt "kaiserliches Hoftheater" nennen konnte.

Diese Bühne entsprach aber weder der Idee eines deutschen Nationaltheaters, die damals unter den deutschen Aufklärern diskutiert wurde, noch der des Theaters im Sinne der Aufklärung überhaupt: Bildung des Geschmacks, "Erziehung" und moralische Besserung des Publikums standen hier nicht im Mittelpunkt. Im Kärntnertortheater setzte man vielmehr auf Unterhaltung, und zwar mithilfe bewährter Mechanismen. Die deutschen Übersetzungen oder auch Nachempfindungen fremdsprachiger Klassiker, darunter viele aus der Feder Weiskerns, wurden ebenso auf den Geschmack des Wiener Publikums abgestimmt wie die Aufführungen zeitgenössischer deutschsprachiger Autoren: Gottfried Prehauser, kongenialer Nachfolger des legendären Hanswurst-Darstellers Anton Stranitzky, legte sogar seine Rolle des Norton in Lessings Miss Sarah Sampson als Hanswurst an. Prehauser war auf diesen Charakter ebenso abonniert wie Joseph Felix von Kurz auf den des Bernardon oder Weiskern (ein gebürtiger Sachse) auf den des von ihm kreierten komischen Alten Odoardo. Die Besucher des Kärntnertortheaters - allen voran der Kaiser - liebte diese Typen der Wiener Volkskomödie, quasi der österreichischen Commedia dell'arte ebensosehr, wie die meisten der deutschen Aufklärer sie verachteten.

Wenn in Weiskerns Vorspiel auch kein Hanswurst, kein Bernadon und kein Odoardo auftrat, so urteilte ein anonymer (deutscher) Kritiker in einer deutschen Literaturzeitschrift doch unbarmherzig: Sollten Sie glauben, daß man ein solches Stück, ein [sic] wahren Nonsense, sich unterstehet, in einer Residenzstadt, und zwar bey Eröffnung der Bühne aufzuführen. Sogar Joseph von Sonnenfels, wahrlich kein Freund des Volkstheaters und führende Figur im Wiener "Hanswurststreit" der 1770er Jahre, schien dieser Angriff auf Weiskern ungerecht, hatte man diesem doch die recht unsinnige Vorgabe gemacht, das ganze Ensemble, die gesamte Bühnentechnik und sogar die Schornsteinfeger und Zimmerleute in das Geschehen auf der Bühne einzubinden: Bedauern muß man einen fähigen Mann, den sein Brodt in die Nothwendigkeit versetzt, eine Arbeit zu unternehmen, von der er Tadel und Unehre gleichsam gewiß vorhersieht.

Das Publikum wird über diesen etwas skurrilen Auftritt seiner Lieblinge im schönen neuen Haus nicht allzu hart geurteilt haben. Im Schaffen des Autors ist dieses Vorspiel sicher der belangloseste Teil. Seine deutschen Bearbeitungen von Goldoni, Metastasio und anderen italienischen, englischen und französischen Bühnenautoren, seine Komödien, sein Libretto zu Mozarts Bastien und Bastienne und seine umfangreichen Arbeiten zur Topographie Niederösterreichs zeigen die erstaunliche Vielseitigkeit Friedrich Wilhelm Weiskerns.


© Österreichische Nationalbibliothek, 2007
last update: 25.04.2007

Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang