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Neuerwerbungen

Sammlung von Inkunabeln, alten und wertvollen Drucken



Die "Legenda aurea" des Jakobus de Voragine

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Kapital
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Objektbeschreibung:
Legenda aurea
Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: INK 34-21

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Gegen Jahresende gelang es, für die Inkunabelsammlung der ÖNB eine weitere Ausgabe der "Legenda aurea" des Jakobus de Voragine (INK 34-21) zu ersteigern. Sie weist - wie bei Inkunabeln sehr häufig - keinen Druckervermerk auf. Aufgrund des verwendeten Typenmaterials wird sie dem Straßburger Drucker Georg Husner (ca. 1478) zugewiesen. Georg Husner, 1470 durch Heirat Straßburger Bürger geworden, gründete danach mit einem Teilhaber eine Druckerwerkstatt, die 1473 ihr erstes firmiertes Werk präsentierte. In Straßburg waren damals bereits einige erfolgreiche Buchdruckunternehmer tätig. Der Erstdrucker in der Stadt, Johann Mentelin, hatte schon 1460 eine 49-zeilige lateinische Bibelausgabe fertiggestellt und 1466 die erste Bibel in deutscher Sprache gedruckt. Ihm folgten sein Schwiegersohn Adolf Rusch, der umtriebige Unternehmer Heinrich Eggestein und andere mehr. Straßburg war im Spätmittelalter eine große und reiche Handelsstadt, mit entscheidendem Anteil am Handel zwischen Norditalien und Deutschland als auch am Warentransport den Rhein entlang von Basel bis in die Niederlande. Es boten sich gute Möglichkeiten, die für Druckunternehmungen nötigen Finanzen zu organisieren. Zur Gründung von weiteren Werkstätten ermunterte offensichtlich die Aussicht auf einen breiten, sowohl europäische als auch regionale Käufergruppen einschließenden Markt: lateinische Drucke interessierten die internationale Gelehrtenwelt, theologische Literatur bzw. (deutschsprachige) Erbauungsbücher zielten auf das vielfältige religiöse Leben in der Bischofsstadt, mit Damenstift, überaus zahlreichen Bettelorden und deren Schulen. Das Verlagsprogramm Husners bestand nicht aus risikoreichen Neuheiten. Mit der "Legenda aurea" des Jakobus de Voragine griff er auf einen besonderen Bestseller der Zeit zurück. Der Dominikaner und spätere Erzbischof von Genua (1226-1298) stellte um 1263/67 aus überliefertem Legendenmaterial eine Sammlung von 153 Heiligenviten und einigen biblischen Geschichten zusammen. Die Anordnung folgte den Heiligengedenktagen im Lauf des Kirchenjahres. Diese "Historia plurimorum sanctorum" war unvorstellbar erfolgreich. Sie ist in mehr als 1000 mittelalterlichen Handschriften überliefert, wurde von Klerikern und gebildeten Laien rezipiert (gelesen, gehört, erzählt), für Meditationen und Predigten verwendet, erweitert, in Volkssprachen übersetzt. In der Inkunabelzeit zählt sie zu den am häufigsten gedruckten Titeln: aus der zweiten Hälfte des 15. Jhs sind mehr als 150 verschiedene Ausgaben der "Legenda aurea" bekannt. Die Inkunabelsammlung der ÖNB besitzt 56 Exemplare (allerdings einschließlich einiger Mehrfachexemplare), darunter auch Ausgaben in Italienisch, Französisch und Tschechisch.

Zum materiellen Erscheinungsbild: Von den 422 breitrandigen Blättern sind auf den ersten 6 die Satzanfänge von Hand mit roter Tinte ausgezeichnet (rubriziert, 4 rote Lombarden in Umrißzeichnung), zum Schmuck und zur Lesehilfe. Vom Originaleinband, einem spätgotischen Ledereinband über Holzdeckeln, sind die Bezüge von Vorder- und Hinterdeckel erhalten und mit leider schon recht abgeriebenen Stempeln (möglicherweise aus einer Werkstatt aus Oberösterreich) verziert. Der zerstörte Rücken wurde 1971 fachgerecht in Düsseldorf von Heinz Petersen restauriert, der bei dieser Gelegenheit die besondere Form des (zick-zack-förmig zugeschnittenen) Kapitals dokumentierte und in seinem Werk "Bucheinbände" (Graz, 1991, S.162) publizierte. Sämtliche Schritte der Restaurierungsarbeiten sind in einem der Inkunabel beiliegenden Schreiben festgehalten. So ist diese Erwerbung eine besonders glückliche Symbiose aus mehreren für die Inkunabelkunde interessanten Aspekten.


© Nationalbibliothek, 2003
last update: 09.01.2003

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