Ins tiefe Österreich

Notizbuch, 170 Seiten, 15.03.1976 bis 16.04.1976

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Die Einträge dieses Notizbuchs umfassen vier Wochen zwischen 15. März und 16. April 1976. Sie entstanden alle in Paris und in Vororten von Paris. Die letzte Märzwoche verbrachte Handke wegen heftiger Herzrhythmusstörungen in einem Pariser Krankenhaus. Obwohl er bis nach seiner Entlassung am 1. April die dritte Textfassung seiner Filmerzählung Die linkshändige Frau noch einmal überarbeitet hatte und sich am 11. April mit seinem Verleger, Siegfried Unseld, traf, um die Korrekturen zu besprechen, findet man nur wenige die Erzählung betreffende Aufzeichnungen. In etlichen Notizen reflektiert Handke über Frauen, seine Beziehungen zu anderen, über Liebe, Alleinsein und Einsamkeit auch im Zusammenhang mit Selbstverwirklichung, und schreibt damit das bestimmende Thema der Filmerzählung weiter. Diese Notizen verändern jedoch den bestehenden Text der Linkshändigen Frau nicht mehr.

Eine Notiz deutet darauf hin, dass die Frau in der Erzählung Die linkshändige Frau nicht nur Heldin ist, sondern selbst zur Idee und zum Leitmotiv seines Schreibens wird: »Alles Schöne ist nur wegen einer erträumten Frau entstanden, nie wegen einer wirklichen; immer wegen einer Unbekannten, nie wegen einer Bekannten« (S. 12). In einem Eintrag im vorhergehenden Notizbuch »Eine Woche im März« zog Handke die Verbindung zwischen der Unbekannten und der Heldin seiner Erzählung, indem er notierte: »"für die Unbekannte, die mir in einer Gasse entgegenkam und seitdem immer + nirgends" (Die linkshändige Frau)« (ÖLA SPH/LW/W73, S. 9).

Während seines Krankenhausaufenthalts las Handke Goethes Wahlverwandtschaften und notierte sich am Tag seiner Entlassung daraus den Satz: »"So setzen alle zusammen, jeder auf seine Weise, das tägliche Leben fort, mit und ohne Nachdenken; alles scheint seinen gewöhnlichen Gang zu gehen, wie man auch in ungeheuren Fällen, wo alles auf dem Spiele steht, noch immer so fort lebt, als wenn von nichts die Rede wäre" (Das als Motto an den Schluß von "Die linkshändige Frau")« (S. 107). Das Motto wurde von ihm auf der letzten Seite seiner Typoskriptkopie (Textfassung 3b) nachgetragen.

Konkrete Aufzeichnungen zur Filmerzählung findet man eher im hinteren Teil des Notizbuchs, vor allem auf den letzten drei Seiten zwischen Telefonnummern und Adressen (S. 169-171). Die Notizen betreffen die Figur Bruno (S. 122 u. 130f.), den Schauspieler (S. 169 u. 170) und Marianne. Es sind eher lange Einfügungen, eine lautet beispielsweise: »Der Schauspieler (am Fenster in der Nacht) schaute die Frau so lange an, bis sie ihn auch anschaute. Plötzlich erzählte sie: "Ich lag einmal im Krankenhaus, und da sah ich, wie eine sehr alte kranke todtraurige Frau die bei ihr stehende Krankenschwester streichelte, aber nur ihren Daumennagel, immer wieder den Daumennagel. Das ist mir jetzt eingefallen." Sie schauten einander immer weiter an; das Gesicht der Frau begann zu leuchten, obwohl keine Miene sich veränderte.« (S. 171) Im Krankenhaus hatte sich Handke am 30. März notiert: »Der alte Kranke streichelt den Fingernagel der Krankenschwester« (S. 84).

Zwei weitere, für die Linkshändige Frau nicht unwichtige Hinweise findet man in diesem Notizbuch; sie belegen, dass Handke zeichnet. Am 10. April notierte er: »Und wieder die Lust zu zeichnen« (S. 150) und fünf Tage später, am 15. April: »Vor ein paar Tagen, als ich etwas zeichnete, machte ich zum ersten Mal eine Linie (die Kurve einer Hyazinthenblüte) in EINEM Schwung (bis jetzt strichelte ich nur)« (S. 166). Mit der Hyazinthenblüte könnte Handke die Titelblattzeichnung meinen, die er für die von ihm korrigierte Typoskriptkopie (Textfassung 3b) angefertigt hat. (kp)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorlage): 

Notizen 2: für "Ins tiefe Österreich" [S. I]; 1) Ins tiefe Österreich [/] 2) Im tiefen Österreich [S. I]

Zusätzlich eingetragene Werktitel:  [nicht erfasst]
Entstehungsdatum (laut Vorlage):  15.3.76-15.4.76 [Buchumschlag]; 15.3.76. [S. 1]; 16.3. [S. 4]; 17.3. [S. 10]; 18.3. [S. 13]; 19.3. [S. 19]; 20.3. [S. 23]; 21.3. [S. 28]; 22.3. [S. 34]; 23.3. [S. 35]; 24.3. [S. 36]; 25.3.76. [S. 44]; 26.3. [S. 45]; 27.3. [S. 47]; 28.3. [S. 51]; 29.3. [S. 64]; 30.3. [S. 78]; 31.3. [S. 92]; 1.4.76. [S. 103]; 2.4.76 [S. 113]; 3.4.76. [S. 119]; 4.4.76. [S. 125]; 5.4.76 [S. 128]; 6.4. [S. 13a]; 7.4. [S. 133]; 8.4. [S. 139]; 9.4. [S. 143]; 10.4. [S. 147]; 11.4. [S. 152]; 12.4.76. [S. 154]; 13.4. [S. 158]; 14.4. [S. 160]; 15.4. [S. 163]; 16.4. [S. 166]
Datum normiert:  15.03.1976 bis 16.04.1976
Entstehungsorte (laut Vorlage): 

Paris

Zusätzlich eingetragene Entstehungsorte: 

ein Stadtrandbahnhof [in Paris, S. 17]; ein Park [S. 39]; rue d'Auteuil [S. 43]; Krankenwagen [S. 46]; [im Krankenhaus: S. 46-108]; Krankenhaus [S. 108]; Allée Marcel Proust [S. 109]; Boulevard St. Germain [S. 110]; Rond Point [S. 110]; Neuilly [S. 116]; Champs Élyseés [S. 116], Place Concorde und Champs Élyseés [S. 125]; Neuilly [S. 128]; Krankenhaus [S. 144]; Neuilly [S. 146, 147]; Auteuil [S. 153]; Villeneuve St. Georges [S. 154]

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

Notizbuch mit braunem Umschlag und Spiralbindung, kariert, 170 Seiten, I, pag. 1-127, 126-127 (doppelt gezählt), 128-166, 169-170, I*

Format:  8,7 x 13,8 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (blau, rot), Filzstift (schwarz), Buntstift (rot), Fineliner (rot, schwarz, blau), Bleistift, Füllfeder (schwarz)

Nachweisbare Lektüren

  • Katherine Mansfield (S. 9, 12)
  • John Cowper Powys: Wolf Solent (S. 12); über J. C. Powys (S. 92); evt. Glastonbury Romance? (S. 110)
  • Über Bertolt Brecht (S. 21, 131)
  • Idee: die Teilnehmer einer Fernsehdiskussion so betrachten wie Sharewood Anderson die Bewohner in Winesburg, Ohio (S. 22)
  • Über das Zeitunglesen (S. 25, 60f., 153)
  • Über konkrete Poesie, Surrealismus und Dadaismus (S. 35)
  • Martin Walser: Jenseits der Liebe (S. 36)
  • Hermann Hesse: Unterm Rad (S. 46); Vergleich mit Hesse (S. 87, 88)
  • Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften (S. 61, 96, 99, 100-103, 106-107, evt. 117-118, 138-139, 140-141?, 142, 158, 166); über J.W. v. Goethe (S. 99, 100); Vergleich von J.W. v. Goethe mit Adalbert Stifter: Nachsommer (S. 107)
  • Über Marcel Proust und Walter Benjamin (S. 62)
  • Über Franz Kafka (S. 71); F. Kafka: Tagebuch (S. 73, 74ff.), Briefe an Milena (S. 78, 144f.-145)
  • Über Alain Robbe-Grillet (S. 103)
  • Über Peter Schneider (S. 115)
  • Über eine Schriftstellerin o. N. (S. 159)

Film:

  • Über einen Film von Jean Renoir (S. 16)
  • Über Sendungen im Fernsehen oder Fernsehen allgemein (S. 33, 42, 101)
  • Volker Schlöndorff: Interview, vermutlich aus der Zeitung (S. 87)
  • John Ford (S. 122f.)

Musik:

  • Van Morrison: Slim Slow Slider von der Platte Astral Weeks (S. 133, 134)

Bildende Kunst:

  • Über Vincent Van Gogh (S. 105)

Architektur:

  • Heinrich Tessenow (S. 131)

Ergänzende Bemerkungen

Illustrationen: 

 

  • kleine Zeichnung einer Notenzeile mit der erklärenden Notiz: »Wenn der alte Kranke fragt, wiederholt die Schwester seine Frage als Antwort SINGEND«, unter den Noten steht das Wort »Be-fe-stigt (enerviert)« (S. 80)
  • Skizze des sogenannten »Dreiecks«, einer Straßenkreuzung mit einem Wiesendreieck in der Mitte, in Handkes Heimatort (S. 104)
  • Skizze eines Kerzenanzünders in einer Kirche (S. 126)
  • Schachbrettmuster von Amina oder Peter Handke (S. 127)
  • Zeichnung von Amina Handke, datiert und beschriftet von Peter Handke: »Das bin ich, gezeichnet von Amina, am Morgen des 10.4.76 im Bett in Neuilly« (S. 147)