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Home > Beiträge > Fundstücke > Barnert / Hemecker: Paul Celan und Frank Zwillinger | |
Paul Celan und Frank ZwillingerErstveröffentlichung der KorrespondenzArno Barnert / Wilhelm Hemecker• Anmerkungen
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Anmerkungen1] Zu Zwillingers Biographie vgl. Harry Zohn: In Memoriam Frank Zwillinger 1909-1989. In: Modern Austrian Literature 23 (1990), H. 3/4, S. 217-219; zu seinem Nachlaß vgl. Sichtungen 1 (1998), S. 84 2] Die Editoren der vorliegenden Korrespondenz danken sehr herzlich Eric Celan, Walter Greinert, dem Suhrkamp Verlag, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (im folgenden DLA) und dem ÖLA für ihre Publikationsgenehmigungen. Unser Dank ergeht auch an Werner Rotter für seine Mitarbeit an der Transkription des Celan-Briefs. 3] Zit. nach Celans Abschrift des Firgès-Briefes, die er am 8. Dezember 1958 an Rolf Schroers geschickt hat. Celan hat sowohl Rolf Schroers als auch Walter Höllerer ausführlich über diesen Vorfall und seinen Briefwechsel mit Jean Firgès informiert: vgl. Celans Briefe an Schroers vom 2. und vom 8. Dezember 1958 (Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster, Nachlaß Rolf Schroers) und an Höllerer vom 2. Dezember 1958 (Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, »Akzente«-Korrespondenz, Reg.-Nr. 6106), denen jeweils Teilabschriften der Firgès-Briefe beiliegen. - Zu Celan und Firgès vgl. auch: Paul Celan - Die Goll-Affaire. Dokumente zu einer ›Infamie‹. Zusammengestellt, hg. und kommentiert von Barbara Wiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 411, Dok. 95/6. 4] Vgl. Paul Celan an Klaus und Nani Demus, 22. März 1959: »Das Buch [›Sprachgitter‹] ist hoffentlich schon bei Euch, ich hab’s am Freitag [d. i. 20. März 1959] in Frankfurt aufgeben lassen«; zit. nach Joachim Seng: Auf den Kreis-Wegen der Dichtung: Zyklische Komposition bei Paul Celan am Beispiel der Gedichtbände bis ›Sprachgitter‹. Heidelberg: Winter 1998 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 3/159), S. 18. 5] Vgl. Paul Celan an Walter Jens, 21. März 1959 (Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Nachlaß Walter Jens). 6] Zu Martin Heideggers Aletheia-Begriff vgl. den entsprechenden Eintrag in: Index zu Heideggers ›Sein und Zeit‹. Zusammengestellt von Hildegard Feick. 4., neubearb. Aufl. von Susanne Ziegler. Tübingen: Niemeyer 1991, S. 1; sowie: Susanne Ziegler: Heidegger, Hölderlin und die Aletheia. Martin Heideggers Geschichtsdenken in seinen Vorlesungen 1934/35 bis 1944. Berlin: Duncker und Humblot 1991 (= Philosophische Schriften 2). 7] Zu Celans Heidegger-Rezeption zwischen 1953 und 1960 vgl. Seng (Anm. 4), S. 154-160; zu den drei Begegnungen von Celan und Heidegger zwischen Juli 1967 und März 1970 vgl. Stephan Krass: ›Wir haben Vieles einander zugeschwiegen‹. Ein unveröffentlichter Brief von Martin Heidegger an Paul Celan. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 1 v. 3./4. Januar 1998, Beilage »Literatur und Kunst«, S. 49. 8] Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 69 v. 23. März 1959, S. 14. Möglicherweise handelte es sich um eine nicht-öffentliche Veranstaltung - etwa im S. Fischer Verlag -, da sich weder in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« noch in der »Frankfurter Rundschau« vom März 1959 eine entsprechende Ankündigung finden läßt. [3/ S. 60:] 9] Paul Celan: Vier Gedichte aus dem Französischen [Guillaume Apollinaire: Die Herbstzeitlosen; Paul Eluard: Nous avons fait la nuit; Stéphane Mallarmé: Rondel; Jules Supervielle: Airs]. In: Insel-Almanach auf das Jahr 1959. Frankfurt / Main: Insel 1958, S. 31-33. - Der Katalog der Bibliothek Paul Celans (Paris und Moisville) in vier Bänden, erarbeitet in den Jahren 1972-1974 (Paris) und 1987 (Moisville) von Dietlind Meinecke und Stefan Reichert u. a. [Kopie im DLA], Bd. 4/1, 4/119 (Nr. 440) verzeichnet zwei Exemplare dieses Almanachs. 10] Eigenhändiges Notizblatt von Paul Celan; ÖLA, Nachlaß 8/90: Frank Zwillinger. 11] Buchausgabe: Frank Zwillinger: Galileo Galilei. Schauspiel. Bayreuth: Baumann 1962. 12] Vgl. Paul Celan - Die Goll-Affaire (Anm. 3), S. 437, Dok. 114 13] Konturen. Blätter für junge Dichtung. Hg. von Hans Bender (März 1953), H. 5, S. 8. 14] Jahresring 54. Ein Schnitt durch Literatur und Kunst der Gegenwart. Hg. vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1954, S. 53. 15] Vgl. Paul Celan - Die Goll-Affaire (Anm. 3), S. 211-213, Dok. 47 und S. 435-445, Dok. 112-115. 16] Bernhardt Blumenthal: Claire Goll’s Prose. In: Monatshefte für deutschen Unterricht, deutsche Sprache und Kultur 75 (1983), S. 358-368. |
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[3/ S. 61:] Der Briefwechsel[*]Frank Zwillinger an Paul CelanHerrn Lieber Paul Celan, lassen Sie mich Ihrer verehrten Frau Gemahlin und Ihnen noch einmal herzlichst für den Abend danken, den ich bei Ihnen verbringen durfte. Er hat mir, wie Sie vermuten können, reichlich Stoff zum Nachdenken gelassen. Darunter hat sich mir ein Aspekt eröffnet, den es mich Ihnen mitzuteilen drängt. Ich schicke voraus, daß ich damit keinesfalls über Fragen der Kunst polemisieren möchte, umso weniger, als sich mir Ihre Bereiche inzwischen erschlossen haben und allmählich zu meinen eigenen werden. Was ich Ihnen zu sagen habe, hat rein menschliche Bedeutung. - Es ist Ihnen sicherlich wie mir zum Bewußtsein gekommen, daß sich die strenge Einsicht, die sich fortschreitend allen Scheines entkleidet, um wesentlich und unerbittlich zu werden, einen Weg geht, der von der Sphäre des Menschlichen fortführt in die des Kosmischen, also für uns Hoffnungslosen hinein. Damit glaube ich die ganze Würde und Größe dieser Haltung implicite anerkannt zu haben. Nun fand ich Sie aber andererseits in der Sphäre des Menschlichen und an den zwischenmenschlichen Beziehungen leidend, namentlich was einzelne Ihrer Erfahrungen in Deutschland betrifft. Mir ist der junge Mann, der über Ihr Werk arbeitet in Erinnerung geblieben, dem es möglich ist, zu Ihnen und zu Ihrem gegnerischen Pressezeichner zu »stehen«. Die Frage, wie diese paradoxale Haltung möglich ist, stellt sich nur auf der Ebene menschlicher Zusammenhänge, also in der Welt der Daseinsvordergründe. Setzt man voraus, daß dieser junge Mann, den es zu Ihnen zog, sich in der dünnen Luft des Außermenschlichen beheimatet fühlt, wird seine zunächst unverständliche, ja groteske Einstellung insofern erklärlich, als ihm ja menschliche Belange unwesentlich geworden sind. [3/ S. 62:] Damit will ich Ihr Augenmerk darauf gerichtet haben, daß wir alle, die den Weg der unverhüllten bitteren Erkenntnis gehen wollen, Gefahr laufen, unwillentlich - par la force des choses - dem Humanitären Abbruch zu tun, da unser Blickpunkt ins Außermenschliche rückt. Dies berührt den doppelten Aspekt geistigen Anliegens, den ich in unserem Gespräch flüchtig berührte: die Aussage und ihre Wirkung, die geistige Unbedingtheit und die in einem gewissen Sinne pädagogische Verantwortung des Schaffenden. Mir steht, wie gesagt, die Pyramide menschlicher Geistesfähigkeiten klar vor Augen. Die Spitze dürfte der Basis nicht zu viel zumuten! - Damit will ich nur ein Problem aufgeworfen haben, dem es sich nachzuspüren lohnt. Ich sah Sie verletzlich für Äußerungen, die als Unkraut dennoch in dem gleichen Boden jener entblössten Wahrheiten gedeihen, die ein bestimmtes Dichten aufschließt. Aus diesem Dilemma kann man wohl schwer hinausfinden. Es ist aber schon ein Gewinn, sich dessen bewußt zu sein, auch diese Wahrheit erworben zu haben. Diese Zeilen mögen von Ihnen als Beweis der herzlichen Anteilnahme in jeder Hinsicht, aufgenommen werden, die ich Ihnen entgegenbringe. In Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen grüße ich Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin auf das beste. Ihr Paul Celan an Frank ZwillingerAbb. 2. 78, rue de Longchamp am 22. März 1959. Lieber Frank Zwillinger, Abb. 3. x/ aber nein, wo wirkliche Wahrheit ist, gedeiht kein Unkraut Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin alles Gute! <Am linken Seitenrand:> Entschuldigen Sie, daß ich erst heute antworte: Frank Zwillinger an Paul CelanAbb. 4. den 12. 6. 59 Paul Celan Lieber Paul Celan, verzeihen Sie, daß ich Ihren Zeilen vom 22. März ein so langes Schweigen folgen ließ, es war ungewollt und keineswegs dazu bestimmt, den Jodlern von der Alm der von Ihnen mit Recht so gegeißelten »Schöngeister« Raum und Echo zu gewähren. Es hatte seinen Grund allein in meiner absorbierenden zweifachen Tätigkeit. Ich glaube nicht, daß es einen Sinn hat, uns weiter brieflich über die uns beiden am Herzen liegenden Fragen ohne gemeinsame Terminologie zu unterhalten und schlage vor, dies unserem nächsten Zusammensein vorzubehalten. Nur eines: was ist das, eine »wirkliche Wahrheit, auf der kein Unkraut gedeiht«? Sollte das nicht ein anderes Tabu sein, das sich plötzlich und unversehens eingeschlichen hat? Und gedeihen nicht auf wissenschaftlichen Wahrheiten Atombomben? Aber wie gesagt, lassen wir das lieber dem gesprochenen Wort. Im Monat Mai war ich mit meiner lieben Frau auf Reisen und gegenwärtig schüttet Amerika sein Füllhorn von Besuchern über uns aus. Sagen Sie mir bitte, ob wir Anfang Juli darauf rechnen können, Sie beide bei uns zu sehen? Den mir leihweise überlassenen Insel-Almanach sende ich Ihnen mit gleicher Post zurück. Ich habe inzwischen alle Ihre Bücher erworben und in Ihre so schön weitmaschigen »Sprachgitter« erfreulichen Eingang gefunden. Auch Ihre Nachdichtung des »Trunkenen Schiffes« hat mich aufrichtig entzückt. Mit den schönsten Wünschen für Ihre gegenwärtigen Arbeiten, besten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und einem freundlichen Gedenken für Ihren kleinen Sohn, bleibe ich Ihr sich trotz allem zu einer humanen Gesamtauffassung der Existenz (ohne alpenländische Verstiegenheiten) Bekennender Frank Zwillinger *]
Die Transkription der Briefe Zwillingers übernimmt die eindeutigen handschriftlichen Korrekturen des Autors, nicht aber den
Zeilenumbruch der Originale. Celans Brief hingegen wird diplomatisch zeilengetreu wiedergegeben. |
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