Entstehungskontext

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Falsche Bewegung erschien am 30. Juni 1975 als Taschenbuch im Suhrkamp Verlag und folgte damit nur wenige Monate nach der Erzählung Die Stunde der wahren Empfindung. Es ist das zweite Drehbuch bzw. Filmbuch nach Chronik der laufenden Ereignisse von 1971. Den Text hatte Handke bereits im Juli und August 1973 in Venedig geschrieben, nachdem er die Arbeit an seinem Stück Die Unvernünftigen sterben aus beendet hatte. Im Entstehungszeitraum lebte Handke zusammen mit seiner Tochter Amina zunächst bis Dezember 1973 noch in Kronberg im Taunus, danach am Boulevard Montmorency in Paris.

Die Schauplätze im Drehbuch erstrecken sich, entsprechend der Reisebewegung des Protagonisten Wilhelm, von Heide in Schleswig-Holstein über Soest in Nordrhein-Westfalen und die »Schlafstadt« Schwalbach im Taunus (ein Nachbarort von Handkes Wohnort Kronberg) bis zur Zugspitze im Süden Deutschlands. Dass Handke einige Orte in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen bereits im April 1972 bereiste, ist durch Fotografien belegt. In Wenders' Verfilmung wurden diese peripheren Orte durch die Namen großer deutscher Städte ersetzt.

Über die Erzählhandlung schreibt Handke in der Vorbemerkung zur Buchausgabe: »Wilhelm Meister lebt mit seiner Mutter in der Heide so dahin, unlustig und voller Sehnsucht. Er möchte Schriftsteller werden. Unterwegs trifft er den alten Mann mit Mignon und die Schauspielerin Therese Farner. [...] Eine Zeitlang leben sie in Schwalbach im Taunus zusammen. Therese stört, daß Wilhelm beim Schreiben alles andere gleichgültig wird, der Alte ist hilflos und erbärmlich in seiner Einsamkeit; der alltägliche Wahnsinn ringsum nimmt zu. Therese bleibt mit Mignon zurück, als Wilhelm seine Reise durch Deutschland fortsetzt und auf der Zugspitze im Schneesturm mit dem eigentlichen Schreiben beginnt. Das ist die Geschichte der Filmerzählung Falsche Bewegung.« Sein »Verfahren«, Texte mit »überlieferte[n] Modelle[n] zu unterlegen«, setzte Handke nach Der kurze Brief zum langen Abschied in Falsche Bewegung fort: »Das Grundmuster ist nicht mehr die Apparatur des Theaters, der Grammatik, der Kommunikation, des Kriminalschemas, sondern der Goethesche Bildungsroman eines Kaufmannssohnes [...].« Dieser bricht »aus seiner beengten Welt [auf], um in der Kunst eine Erweiterung [...] seiner Erlebnisfähigkeit zu suchen.« (Pütz 1982, S. 65)

Arbeit an der ersten Textfassung

Weder geben die bekannten Briefwechsel Aufschluss über Vorüberlegungen oder Konzepte zu Falsche Bewegung, noch sind Notizbücher aus dem infrage kommenden Zeitraum erhalten. Handkes nahe Frankfurt gelegener Wohnsitz in Kronberg hatte außerdem zur Folge, dass ein Großteil der Korrespondenz mit seinem Verleger Siegfried Unseld telefonisch oder im persönlichen Gespräch erfolgte.

Der erste Brief an Unseld, in dem die Arbeit am Drehbuch erwähnt wird, stammt vom 23. Juli 1973 und kam bereits aus Venedig, wo Handke die erste Fassung niederschrieb: »Hier arbeite ich jetzt täglich an dem Filmdrehbuch, ganz frei nach "W. Meister", und komme irgendwie voran, obwohl die Anfangsschwierigkeiten wie immer scheußlich sind. Auch die Arbeitsumstände sind miserabel, laut und dunkel.« (Handke / Unseld 2012, S. 233) Seinem Freund Hermann Lenz schilderte er den Aufenthalt am 27. August nachträglich, ohne jedoch die Arbeit mit einem Wort zu erwähnen: »In Venedig war es meistens heiß, und die Wohnung lag an einem größeren Kanal und war durch die Motorboote ziemlich laut. Auch eine Kirchenglocke direkt vor dem Fenster schlug immer laut und pünktlich ins Zimmer hinein.« (Handke / Lenz 2006, S. 25)

Das 24 Blatt umfassende Typoskript entstand unter dem Arbeitstitel »Wilhelm Meisters Lehrjahre« zwischen dem 21. Juli und dem 7. August 1973. Am 4. August reiste Unseld zu Handke nach Venedig und notierte in seinem Reisebericht VenedigZürichGroßgmainOhlsdorfSalzburg, 4.-8. August 1973: »Gegenwärtig arbeitet Handke an einem Drehbuch für einen Film "Wilhelm Meister", den sein Freund Wim Wenders drehen soll.« (Handke / Unseld 2012, S. 234)

Erstveröffentlichung in den manuskripten

Falsche Bewegung wurde Ende 1973, im Heft Nr. 41 der manuskripte erstmals und vollständig veröffentlicht. Der gedruckte Text weicht von der ersten Fassung ab: Die zahlreichen handschriftlichen Korrekturen und Einfügungen, die am Typoskript der Erstfassung eingetragen sind, wurden zusammen mit weiteren Änderungen in eine vermutlich zweite Textfassung integriert. Die durchgehende Kleinschrift der Erstfassung wurde vor dem Erstdruck durch reguläre Groß-/Kleinschreibung ersetzt. An Alfred Kolleritsch sandte Handke am 1. November 1973, noch vor dem Druck, seinen Titelwunsch: »Das Drehbuch soll heißen: "Falsche Bewegung". Von mir aus druck es. Laß den Untertitel "Drehbuch" weg. Nur: Falsche Bewegung.« (Handke / Kolleritsch 2008, S. 63)

Verfilmung 1974

Am 5. November 1973 erhielt Handke vom Verlag der Autoren den Vertrag für das Filmdrehbuch zugesandt, mit der Bitte um Unterzeichnung. Siegfried Unseld erläuterte ihm in einem langen Brief vom 13. Februar 1974 seine Bedenken zum geplanten Projekt. Aus seiner Sicht sei es »sehr schwer möglich«, den Film »auf der Basis des jetzigen Drehbuchs und mit dem Regisseur Wim Wenders« zu realisieren, und räumte dem Vorhaben »keine ökonomischen Chancen« ein. Über die als Wunschbesetzung angedachte Romy Schneider berichtete er, dass diese »den Text gelesen« habe und »an sich [...] von der Sache angetan« sei. Allerdings sei es auch ihr Wunsch, mit einem anderen Regisseur, etwa Louis Malle, zu arbeiten. Unseld schwebte die Realisierung eines »bedeutende[n] Fernsehfilm[s]« vor, in der Zusammenarbeit von »Romy Schneider, Louis Malle und Peter Handke«. Sollte Handke daran nicht interessiert sein, kündigte er die Niederlegung des ihm erteilten Film-Produktionsauftrags an (Handke / Unseld 2012, S. 247-248).

Am 22. März 1974 wurde Handke vom Verlag der Autoren benachrichtigt, dass der Vertrag für die Fernsehrechte unterschrieben und der Betrag dafür »endlich akzeptiert« sei. Siegfried Unseld habe sich allerdings – laut einer Information von Wim Wenders – »aus dem Projekt für einen Kinofilm zurückgezogen« (vgl. Korrespondenz Verlag der Autoren). Noch während dieser Brief an Handke unterwegs war, kam es zu einem Treffen zwischen ihm und Unseld in Paris. Dieser hielt in seinem Reisebericht, Paris 23. März 25. März 1974 zu dieser Angelegenheit fest: »Ihm liegt unheimlich viel an der Verfilmung seines "Wilhelm Meister-Drehbuches". Der Titel "Falsche Bewegung" bleibt, ich konnte ihn zu keinem anderen überzeugen. Ein anderer Vorschlag wäre gewesen "Der dritte Ort", und das gefiele mir besser. Er wäre mit Romy Schneider jetzt einverstanden, aber er hält an Wim Wenders fest. Ich sagte ihm deutlich, daß ich den Film mit Wim Wenders nicht machen möchte, weil ich es ihm nicht zutraue, diesen Stoff wirklich interessant und eben nicht langweilig zu realisieren.« (Handke / Unseld 2012, S. 254-255)

Die Dreharbeiten fanden schließlich unter der Regie von Wim Wenders, der 1971 bereits Die Angst des Tormanns beim Elfmeter verfilmt hatte, im Herbst 1974 statt. Für die Hauptrollen wurden Rüdiger Vogler, Hanna Schygulla, Hans Christian Blech, Marianne Hoppe und Nastassja Kinski engagiert (Pichler 2002, S. 116). Die Verfilmung durch Wenders stellt in ästhetischer Hinsicht eine Fortsetzung dar: die »Bilder dieses Filmes« knüpfen an die im Nachwort zur Chronik zitierten »Wunschbilder: Bilder von Bewegungen, einem Mienenspiel, von Landschaften, Gesten, Gesichtern und Redeweisen« an. Dass Handke als »wichtigst[e] Sequenzen« jene nennt, in denen »in der zunehmenden Abenddämmerung immer wieder die Züge durch eine Ebene fahren«, »beschreibt genau die Bildsituationen von Falsche Bewegung« (CE 129; Nägele / Voris 1978, S. 104-105).

Beim Internationalen Filmfestival in Rotterdam gab es am 22. Februar 1975 eine Vorpremiere, bei der Handke zu Gast war: »Morgen früh werde ich nach Rotterdam fahren [...]. Mir scheint, es ist ein guter Film geworden, für das Kino.« Die Ursendung folgte am 14. März, der Film wurde sowohl im Fernsehen als auch im Kino gezeigt (Handke / Unseld 2012, S. 276-277). Etwas später, am 7. April 1975, erhielt Handke noch den Verleihvertrag mit dem Filmverlag der Autoren (vgl. Korrespondenz Verlag der Autoren).

Im Mai 1975 wurde Handke für sein Drehbuch mit dem »Filmband in Gold« des Deutschen Filmpreises ausgezeichnet, zusammen mit Wim Wenders für die Regie und Hans Christian Blech als Hauptdarsteller.

Buchausgabe 1975

Die Vorbereitung der Erstausgabe als Suhrkamp-Taschenbuch bleibt im Briefwechsel zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld unerwähnt. Die Veröffentlichung wurde vermutlich zwischen dem Verlag der Autoren und dem Suhrkamp Verlag direkt ausgehandelt. Der Text der Buchausgabe folgt bis auf minimale Korrekturen (z.B. »Möweneierschalen« statt »Möveneierschalen«) dem Erstabdruck in den manuskripten von 1973. Am 1. Juli meldete Unseld erfreut das Erscheinen des Buches anlässlich des 25-jährigen Verlagsjubiläums (Erscheinungsdatum: 25. Juni 1975) und die Auflagenhöhe von 20.000 Exemplaren (Handke / Unseld 2012, S. 293). (ck)

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