Entstehungskontext
Mit dem Beginn seiner »Salzburger Jahre« ab 1979 fallen auch Handkes Anfänge als Übersetzer fremdsprachiger Autoren ins Deutsche zusammen. Eine Freundschaft verband ihn hierbei mit Georges-Arthur Goldschmidt, der seinerseits Handkes Werke ins Französische übersetzte und dem in Nachmittag eines Schriftstellers eine Passage gewidmet ist. Der Roman Le miroir quotidien ist Handkes erste Übersetzung eines Buches von Goldschmidt und Handkes vierte überhaupt.
In einem rund siebenmonatigen Briefwechsel von März bis September 1981, aus dem auch Telefonate und gegenseitige Besuche der beiden Autoren hervorgehen, wird Le miroir quotidien von Goldschmidt immer wieder erwähnt. Handke verwendete als Vorlage für die Übersetzung ein Exemplar der französischen Erstausgabe, das er Ende März 1981 von Goldschmidt geschickt bekam, was dieser in einem Brief vom 29. März 1981 erwähnt: »Mein Buch habe ich Dir nun geschickt. Ich weiß gar nicht wie ich Dir meinen Dank aussprechen soll; daß ich stolz bin daß Du es übersetzt – ein Gefühl daß [sic] ich selten habe – brauche ich nicht weiter zu betonen.« Am 21. April kündigt Goldschmidt an, »einige Hinweise zu meinem Buche« zu geben und am 8. Mai teilt er Handke mit, »daß Suhrkamp das Buch will«. Er bot Handke an, ihm eine frühere (eigene) Übersetzung zuzuschicken – »vielleicht kannst Du sie brauchen« – und bekräftigt dieses Angebot erneut in einem Brief vom 26. August.
Am 5. Juni schreibt Goldschmidt über die breite Rezeption seines Buches in Frankreich (»Mein Buch erregt ein mich selbst überraschendes Aufsehen«) und bietet Handke an, ihm einige Rezensionen in Kopie zu schicken: »Jedenfalls wirst du kein vollkommen unbekannt gebliebenes Buch übersetzen ...« Als Beilage zu einem Brief vom 10. Juli schickte Goldschmidt die besagten Rezensionen an Handke. Wiederholt formuliert er seine drängende Vorfreude auf Handkes Übersetzung: »Daß du mein Buch übersetzt macht mich richtig stolz ...« In diesem wie auch in den vorangehenden Briefen schlägt Goldschmidt Handke erneut ein Treffen vor, wozu es aber schließlich nicht kam, denn gerade als Handke im August 1981 unter anderem Paris besuchte, weilte Goldschmidt außerhalb der Stadt. Sie verpassten sich ein weiteres Mal im November 1981.
Goldschmidt selbst übersetzte von Ende 1980 bis zum 20. Oktober 1981 Handkes Langsame Heimkehr ins Französische. Parallel dazu las er Handkes aktuelle Arbeiten, so etwa Der Zögling Tjaž, bedachte bereits die kommenden Übersetzungen von Kindergeschichte und Über die Dörfer und schickte Handke noch am 20. Oktober 1981 Übersetzungshilfen zu Francis Ponges Das Notizbuch vom Kiefernwald und La Mounine (Handke hatte die Erstfassung seiner Übersetzung am 18. Juni 1981 fertiggestellt). Goldschmidt bot seine Hilfe auch für Emmanuel Boves Mes amis an. Am 20. Oktober sandte ihm Goldschmidt die Druckvorlage zur französischen Übersetzung von Langsame Heimkehr und schreibt in Bezug auf sein eigenes Buch: »Vielen Dank für die Übersetzung. Jetzt schäme ich mich beinahe, wenn ich an die Mühe denke die es Dir macht.«
Von April bis September 1981 befand sich Handke bis auf wenige kürzere (Schreib-)Aufenthalte in Salzburg nahezu durchgehend auf Reisen, unter anderem in Frankreich und Slowenien, was eine mögliche Erklärung dafür ist, dass er die Übersetzung von Le miroir quotidien erst gegen Ende des Jahres in Angriff nehmen konnte. Die Übersetzung fertigte Handke Abschnitt für Abschnitt auf dem Typoskript der Erstfassung an. In der französischen Buchvorlage notierte er die Datierung seiner Arbeitsetappen und Vokabeln zu einzelnen Begriffen. Handke hielt sich bis zum Abschluss seiner Arbeit durchgehend in Salzburg auf. Die Notizbucheintragungen geben über diese Tätigkeit im fraglichen Zeitraum kaum Aufschluss, vielmehr finden sich darin Überlegungen für seine Werkprojekte Die Wiederholung und Phantasien der Wiederholung.
Am 24. November kündigt Goldschmidt das Erscheinen mehrerer Übersetzungen für 1982 an: Langsame Heimkehr, Kindergeschichte, Die Hornissen und Die Lehre der Sainte-Victoire. Auch teilt er Handke bereits den Titel für sein nächstes eigenes Buch mit, dessen deutsche Übersetzung Handkes allerdings erst 1991 erschien: Die Absonderung.
Obwohl Handke die erste Fassung seiner Übersetzung von Der Spiegeltag bereits am 10. Dezember beendet hatte, scheint er noch bis Jahresende mit Korrekturen beschäftigt gewesen zu sein. Zumindest weisen Einträge in seinem Notizbuch darauf hin, dass er den Text noch bis Jänner 1982 bearbeitete und womöglich auch Goldschmidts Korrekturen einbezog. Der Verbleib des Typoskripts zur überarbeiteten zweiten Fassung ist ungeklärt. Goldschmidt reagiert überschwänglich auf die Übersetzung in einem Brief vom 6. Jänner 1982: »Dein "Spiegeltag" ist wundervoll, eigentlich genau was ich wollte und noch genauer eigentlich abgesehen von den paar Einwänden die ich Dir schrieb. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich echt stolz auf etwas von mir aber das erst seit Deinem Text. Ein unbehagliches und schönes Gefühl.« Nach der Fertigstellung von Le miroir quotidien setzte Handke seine Übersetzungstätigkeit sogleich mit Emmanuel Boves Armand fort. Die Auslieferung von Der Spiegeltag erfolgte nach Angaben des Suhrkamp Verlages am 24. August 1982. (ck)
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Die Wiederholung
Notizbuch, 196 Seiten, 16.09.1981 bis 31.12.1981 -
Die Geschichte des Bleistifts; Die Wiederholung
Notizbuch, 160 Seiten, 01.01.1982 bis 24.04.1982
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Georges-Arthur Goldschmidt: Le miroir quotidien
Übersetzungsexemplar, mit Anmerkungen von Peter Handke, 148 Seiten, 24.10.1981 bis 10.12.1981 -
Der Spiegeltag (Textfassung 1)
Typoskript 1,5-zeilig, 99 Blatt, 24.10.1981 bis 10.12.1981