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Titelblatt (Kupferstich)
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... dringet durch die Wolken zum Vater im Himmel. Der lieben Jugend gewidmet von C. A. Krammer - Wien, 3. Auflage 1832.
Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 307.664-A.Alt-Mag
Kurze Vorerinnerung.
Bethen meine Lieben, heißt: mit Gott reden. Man muß sich also zum Gebethe, wenn es fruchten soll vorbereiten. Zu einen [sic] gottgefälligen Gebethe aber wird erfordert:
1. Ein reines Herz, oder die Begierde, ein reines Herz zu erlangen. ...
Lieber Gott und Engelein,
Laßt mich fromm und gut seyn,
Laßt mir doch auch mein Hemdlein
Recht bald werden viel zu klein.
Diese humorvollen Verse aus Brentanos und Von Arnims Gedichtsammlung Des Knaben Wunderhorn entsprechen so ziemlich dem, was der moderne Leser sich unter einem Kindergebet des frühen 19. Jahrhunderts vorstellen mag: Ein Kind wendet sich vertrauensvoll in seiner eigenen einfachen Sprache und mit einer kleinen Bitte an Gott. Tatsächlich finden sich auch bei Autoren wie Matthias Claudius Beispiele kurzer Gebete, die auf uns praktikabel und kindgerecht wirken.
Dass die Erwartungshaltung an das betende Kind, und zwar nicht nur in katholischen Kreisen, aber darüber hinausging, zeigt sich in vielen Werken der Zeit. Zwar will etwa Johann Bernhard Basedow die Kleinen langsam und systematisch mit dem Beten vertraut machen ("ihr werdet auch einmal gerne beten wollen, aber noch seid ihr zu unerfahren zum Beten"), doch ist das Ziel der Erziehung hier sowohl das richtige Verständnis als auch die richtige Form: "Man hüte sich vor dem Gedanken, daß die göttliche Majestät beleidigt werde, wenn man zur vorgesetzten Zeit Gebetsformeln braucht [...]; stimmen diese die Gläubigen doch darauf ein, die Seele zu Gott zu erheben."
Bei Krammers Gebeth der Kinder wirken Frontispiz und Titelblatt zwar durchaus kindgerecht, und auch das Vorwort verspricht freundlich-harmlos:
"Ihr findet also in diesen [sic] Gebethbüchlein die für euer Fassungsvermögen und Alter nöthigen Gebethe. Habt ihr außer diesen noch Bitten zu euren [sic] Schöpfer, die billig sind, so sagt sie mit kindlichem Vertrauen, und seyd versichert, euer himmlischer Vater wird sie erhören, denn, er liebt euch, und erfüllet gern die Bitten unschuldiger Kinder. "
Tatsächlich sind die Texte in Krammers Büchlein aber kaum geeignet, um von Kindern wortgetreu so wiedergegeben zu werden. So heißt es etwa im einleitenden Morgengebeth:
"(Bezeichne dich mit dem Kreuze und sprich mit Andacht.) Allmächtiger ewiger Gott! Durch Deine Güte bin ich erwacht. - Meine ersten Gefühle zarter Frömmigkeit weihe ich dir. [...] Ich bitte dich also, um deinen väterlichen Beystand, und hoffe von deiner Güte, daß du mich durch deine Gnade stärken werdest, um meine guten Vorsätze zu erfüllen, damit ich in Unschuld und Tugend zum nützlichen Mitgliede der Menschen heranwachse, und mich meines Daseyns freuen darf. Amen."
An diesen zwei (kleine) Buchseiten umfassenden Text schließen noch eine Anrufung Marias, der Schutzengel und aller Heiligen und das Vaterunser an. Wenn aber dieses Gebet auch für die mehr oder weniger genaue Wiedergabe gedacht war, so finden sich in diesem und anderen Kindergebetsbüchern der Zeit auch noch längere Abschnitte mit Texten zur Heiligen Messe und Erläuterungen, die den Büchlein den Charakter von Erbauungsliteratur geben und eher zum Lesen oder Vorlesen dienten. In der Praxis wird man wohl oft (unbewusst) einer der basedowschen Empfehlungen gefolgt sein:
"Ob ihr in vielen oder wenigen, in erlernten oder selbst gewählten Worten beten sollt, muß ein Jeder selbst aus der Erfahrung seines Nutzens bestimmen."
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