Die vertrauteste Freundin Auguste Fickerts ist dahingegangen, Ida Baumann, die durch mehr als dreißig Jahre in inniger, edler Lebensgemeinschaft mit der Begründerin der österreichischen Frauenbewegung Seite an Seite lebte und an Auguste Fickerts Person mit jeder Faser ihres Herzens hing.
Ida Baumann war weder Schriftstellerin, noch Rednerin, noch Agitatorin. Trotzdem hatte sie Eigenschaften, durch die sie hervorstach und die sie gerade Auguste Fickert wert und teuer machen mußten. Das war vor allem eine strenge Wahrheitsliebe, die sie trieb, den Dingen, Verhältnissen und Charakteren auf den Grund zu schauen und, wenn es erforderlich war, ihre Meinung darüber zu äußern, ihren Erkenntnissen und Ueberzeugungen auch unter Gefahren und Opfern treu zu bleiben. Ida Baumann hatte einen scharfen Blick, ein nüchternes, durch schwere Existenzkämpfe geschultes, nicht leicht zu täuschendes Urteil. Selbstlos und opferwillig, wenn es am Platze war, war sie ebenso schwer zu gewinnen wie zu verlieren. Und wenn Frau Fickerts leicht entzündliches Streben vornehmlich auf das Große gerichtet war, wobei die Unvergeßliche auch ihrer selbst vergaß, beschäftigte sich Frau Baumann lieber mit dem Nahen und Nächstliegenden, mit dem Beschränkten und Privaten, das auch bedacht sein will. Wo Frau Fickert nur leuchtende Sonne sah, konnte ihre Freundin auch Flecken entdecken, wo jene nur nach dem Ziele blickte, nahm diese auch die Unebenheiten und Schwierigkeiten des Weges wahr. So ergänzten sich beide. Die Wahlverwandtschaft ihrer lauteren Seelen bildete, wenn es auch begreiflicherweise ohne Meinungsverschiedenheiten nicht abging, die natürliche Grundlage dieser über ein Menschenalter dauernden wunderbaren Freundschaft, die auch Augustens früher Tod nicht zerriß. Den Augustens Bild wich nicht aus dem Blickpunkt der Seele Idas.
Ida Baumann war um zehn Jahre älter. Ihre Wiege stand in einem kleinen Orte des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen, wo ihr Vater ein armer jüdischer Lehrer war. Mit fremder Hilfe kämpfte sie sich durch und wurde Kindergärtnerin. Als solche kam sie nach Wien und entschloß sich, mit 27 Jahren (1872) in die Lehrerinnenbildungsanstalt einzutreten, wo sie Auguste Fickert kennen lernte. Beide wirkten in Währing als Volksschullehrerinnen. Wie ein getreuer Eckart stand Ida der jüngeren Freundin zur Seite und war untröstlich zu sehen, wie deren unermüdliches öffentliches Wirken und Arbeiten ihre Gesundheit untergrub. Als Auguste Fickert ihre Augen schloß, brach auch ihrer Freundin Herz. Fast drei Jahre rang Ida Baumann mit der Sehnsucht nach der Freundin. Dann entschloß sie sich. Ruhig und fest, das Kleinste beachtend, ordnete sie ihre Angelegenheiten. Am 12. März fuhr sie nach Greifenstein und - ging in die Donau. Ihre Leiche wurde in Höflein aufgefangen und am 21. März in Zittau verbrannt.
Treu, tapfer und still, wie sie lebte, ist sie gestorben.
E. Berner
(...) Aber noch ganz etwas anderes, etwas, wodurch ich mich ganz beseligt fühlte, bot sich mir in diesen Jahren. Schon im Kurs lernte ich ein junges Mädchen kennen, das um 10 Jahre jünger als ich war. Sie näherte sich mir, weil, wie sie sagte, ich eine große Anziehung auf sie ausübe, da mein Aeußeres und mein ganzes Wesen sie an eine Lehrerin in einem Kloster erinnere, die sie sehr geliebt hatte. Ich war und bin noch jetzt sehr scheu Fremden gegenüber und es brauchte lange, bis ich das warme, herzliche, liebenswürdige Entgegenkommen, das mir Auguste Fickert bot, mit derselben Wärme erwiderte.
Dann aber schloß ich mich ihr mit der ganzen Anhänglichkeit, deren ich fähig bin, an. Hatte ich mich doch die ganzen Jahre her, seitdem ich von meiner Lehrerin, Fräulein Naveau, fortgekommen, nach einem gleichgesinnten Wesen gesehnt, das Verständnis für mein Denken und Fühlen hätte und nur durch die viele, viele Arbeit und die steten Sorgen war diese Sehnsucht etwas zum Schweigen gebracht worden. Nun hatte ich ein solches Wesen gefunden. Wohl bat ich Auguste, mir nicht so lieb entgegenzukommen, wenn sie nicht glaube, daß sie wirklich freundschaftliche Gefühle für mich hege; denn es werde mir entsetzlich schwer, mich loszulösen, wo ich mich einmal angeschlossen; sie aber lachte und meinte, ich solle nicht tragisch sein.
Vielleicht wars eine Ahnung der Zukunft, die mich zu dieser Tragik bewog. - Es wird mir so schwer, Augustens Wesens [sic!] zu schildern, sie war ein Adelsmensch im vollsten Sinne des Wortes, zeigte aber in ihrem Charakter Widersprüche eigentümlicher Art. Opferfähig im höchsten Grade, von einer Güte, die sie an sich selbst vergessen ließ, hilfsbereit, wo sich nur eine Gelegenheit bot, liebenswürdig, daß man ihr nicht widerstehen konnte, konnte sie doch die ihr Nahestehenden mitunter schmerzlich verletzen. Manchmal, ich will es gestehen, fühlte ich mich deshalb gedemütigt. Allein wir versöhnten uns immer wieder, denn sie war eine großangelegte Natur. Wir kamen in immer näheren Verkehr, machten während der Fereien Reisen zusammen. Ich hatte sie so lieb, wie vor- und nachher keinen Menschen mehr, sodaß ich mir oft Vorwürfe machte, weil ich Auguste viel mehr liebte als alle meine Verwandten.
Fünfundzwanzig Jahre war sie alt, als ihr Vater starb, es waren unversorgte Geschwister da, die Mutter hatte keine Pension, und so mußte Auguste, trotzdem sie schon eine Anstellung hatte, Nebenerwerb durch Stunden suchen.
Ich zog zu ihrer Familie, es machte mich ja glücklich, ihre Lage ein wenig [zu] erleichtern und mit ihr immer beisammen sein zu können. Aber, aber, es ging wie immer, wenn wir ganz beisammen waren, so gern wir uns hatten, so gut wir uns verstanden, ganz ohne Mißhelligkeiten ging es nicht ab. Mit der zeit entdeckte ich nun auch, daß Auguste die Freundschaft, wie ich sie ihr gegenüber fühlte und so gern erwidert gesehen hätte, nicht geben konnte; ich hätte mit ihr genug gehabt und wäre glücklich gewesen, wenn sie auch so empfunden hätte. Ihr aber genügte das nicht, und sie bedauerte oft selbst, daß sie sich nicht e i n e m Menschen so hingeben könne. Bei ihrem Bedürfnis zu helfen, zu wirken, war es nur natürlich, daß es sie lockte, wie allen Unterdrückten, auch den Frauen zu helfen, für ihre Rechte zu kämpfen, vor allem aber ihr geistiges Niveau zu heben. So wurde Auguste Fickert die Begründerin der österreichischen Frauenbewegung und was in dieser Edles und Ideales liegt, das hat vor allem s i e hineingebracht. Leidenschaftlich, wie sie alles angriff, war sie auch hier; außer ihrem Beruf als Lehrerin, dem sie mit Treue und Tüchtigkeit oblag, widmete sie sich dem "Allgemeinen österr. Frauenverein", den sie gegründet, ebenso wie der Zeitschrift "Neues Frauenleben", und allem, was damit in Verbindung stand.
Sie opferte ihre Gesundheit, denn die Arbeit für Schule u n d Verein überstieg ihre Kräfte, und da es wenige tüchtige Frauen gab, lag die Vereinsarbeit fast ganz in ihren Händen. Warum half i c h nicht? Ja, weil ich nicht konnte, das Vereinswesen widerspricht durchaus meiner Natur. Auch war ich schon viel zu abgearbeitet, um neben der Schule noch andere Arbeit leisten zu können. Dies war der Hauptgrund zu unserer gegenseitigen Entfremdung, wir fühlten uns wohl immer zu einander hingezogen, denn unser beider Charaktereigenschaften beruhten im Grunde auf demselben Streben nach Wahrem und gutem, aber einen Punkt gab es, in dem wir uns nicht einigen konnten: die Oeffentlichkeit, in der Auguste sich jetzt herumtummelte, wie ein Fisch in seinem Element.
Vielleicht hätte ich mich leichter drein gefunden, wenn ich nicht mit Kummer und Schrecken gesehen hätte, wie Auguste ihre Kraft aufrieb, wie sie von Jahr zu Jahr schwächer wurde. Mag ja sein, daß dieser Kummer, diese Angst, meine Freundin zu verlieren, engherzig war, wenn man die Liebe zu einer Freundin, wie ich sie für Auguste hegte, engherzig nennen will.
Jetzt frage ich mich oft, ob es nicht besser gewesen wäre, alles, was sie tat, gut zu heißen, mich in allem und jedem unterzuordnen? Das konnte ich eben nicht über mich gewinnen, sie stand mir zu nahe, ich hatte sie zu lieb, um nicht zu warnen und zu widersprechen, wenn sie ihre Gesundheit untergrub. Wie bat ich sie, e i n Jahr, nur e i n Jahr, sich vollständig Ruhe zu gönnen, um ihren Organismus wieder zu kräftigen. Trotz ihres jammervollen Gesundheitszustandes ließ sie sich nicht hindern, sich weiter mit der Ausführung eines Planes zu beschäftigen, den sie schon seit langem gefaßt. Es sollte ein Heim für arme Beamtinnen gegründet werden. Gewiß, die Idee war ja sehr schön, aber die Durchführung schwierig und für sie, die Schwache und schon Kranke, war es zu viel. Wohl rieten ihr die Aerzte, sich auszuruhen, aber ein energisches Veto legten sie nicht ein. Und ich, die ich sie so liebte, predigte tauben Ohren. Monate später fühlte sie endlich selbst, daß es nicht mehr weiter gehe, und entschloß sich, in ein Sanatorium zu gehen. Das begrüßte ich mit Freude; denn ich glaubte, in einer solchen Anstalt werde sie bei Ruhe und guter Pflege sich bald erholen, da sie ja ursprünglich von ganz kräftiger Konstitution war. Aber ihr Zustand wurde immer bedenklicher und nach fünfwöchentlichem Krankenlager verschied sie.
Dem Alter nach hätte sie noch Jahrzehnte leben können, sie hatte ja kaum das fünfundfünfzigste Jahr erreicht; ihr ist wohl. Und ich? In den zwei Jahren, die seit ihrem Tode dahin, ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht mit Tränen der Sehnsucht ihrer gedacht hätte. Und nur den einen Wunsch habe ich noch, meiner geliebten Freundin bald zu folgen.
Letztes Update: 24. November 2000