Entstehungskontext

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Der »Roman« In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus ist das vierte Buch Peter Handkes, dessen Handlung ganz oder teilweise an Schauplätzen in Salzburg spielt – nach Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Der Chinese des Schmerzes (1983) und Nachmittag eines Schriftstellers (1987). Auf die Erzählung wird bereits in Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) angespielt, dort unter dem fiktiven Titel »Der Apotheker von Erdberg«. Bei der Buchveröffentlichung gab sich der Salzburger Pharmazeut Roland Hell, der die Adler-Apotheke in Taxham von 1965-1999 führte, »als Freund des Dichters zu erkennen« (Pichler 2002, S. 179). Tatsächlich pflegten der Autor und der Apotheker über längere Zeit einen regelmäßigen Kontakt, aus dem sich die Idee zur Romanfigur entwickelt haben dürfte.

Verschiebung des geplanten Schreibbeginns

Zu Beginn des Jahres 1996 hatte Handke seinen Essay Eine Winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien veröffentlicht. Siegfried Unseld notierte kurz darauf in seinem Reisebericht Madrid, 13.-15. Januar 1996 zu Handkes Arbeitsplänen: »Er wird jetzt zwei Monate "herumhängen". Von April an würde er wieder schreiben, eine Erzählung, etwa 200 Seiten, er wisse nicht, wie lange er dazu brauche, er rechne vier Monate. Dann möchte er wieder an eine größere Prosaarbeit gehen.« (Handke / Unseld 2012, S. 658) Mit der »Erzählung« könnte bereits In einer dunklen Nacht gemeint gewesen sein, da dieser Text im Manuskript zuerst noch als solche bezeichnet wurde. Der Hinweis auf die »größere Prosaarbeit« könnte aber auch auf die wesentlich umfangreichere Arbeit Der Bildverlust bezogen werden. Doch aufgrund des enormen Echos, das auf die Winterliche Reise folgte, absolvierte Handke nach kurzfristiger Planung von Februar bis Juni 1996 zahlreiche Auftritte im Rahmen einer internationalen Lesereise; an diese anschließend verfasste er im Juni und Juli den Sommerlichen Nachtrag zu einer winterlichen Reise, bevor er am 25. Juli tatsächlich mit der Niederschrift von In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus begann. Der Sommerliche Nachtrag erschien laut Verlagsangaben am 30. September 1996, darauf folgte das »Königsdrama« Zurüstungen für die Unsterblichkeit am 22. Jänner 1997 sowie am 15. oder 21. April die Erstausgabe von In einer dunklen Nacht. Siegfried Unseld bedankte sich bei Peter Handke am 30. Juli und schloss seinen Brief mit den Worten: »Nochmals, Peter, dir ist ein großes Buch gelungen. 33 Abende Leseglück.« (Handke / Unseld 2012, S. 671)

Erste Textfassung, Bleistiftmanuskript

Die Entstehung und das Erscheinungsbild der handschriftlichen Erstfassung vom 25. Juli bis zum 30. Oktober 1996 wurde hinreichend von Adolf Haslinger beschrieben, anlässlich der Herausgabe einer Faksimileausgabe durch die Stiftung Salzburger Literaturarchiv im Jahr 2002 (vgl. Haslinger 2002). Die Arbeit am Manuskript wurde zwei Mal unterbrochen, erstmals am 9. August, als Handke nach Spanien reiste. Auch hatte der Verlag am 8. August die Druckfahnen zu Ein sommerlicher Nachtrag und Zurüstungen für die Unsterblichkeit fertiggestellt. (Der im Text genannte 15. August, Mariä Himmelfahrt (INH 97), ist der einzige konkrete Anhaltspunkt für die Zeit der Erzählung.) Am 30. September setzte er das Manuskript im spanischen Cuenca wieder fort, wobei er lediglich eine Kopie der begonnenen Seite 35 mitgenommen haben dürfte, wie das Blatt 35[a] zeigt. Bis zum 11. Oktober arbeitete Handke durchgehend in Cuenca und unterbrach seine Arbeit erst wieder von 12. bis 15. Oktober während seiner Rückreise nach Chaville. Ab 16. Oktober schrieb er wieder täglich bis zum 30. Oktober, an dem er die Erstfassung um »15h 40« (vgl. Beiblatt ÖLA 326/W79/5, Bl. 14) bzw. nach einer Korrektur des letzten Manuskriptblattes um »19h 06« (vgl. LAS/AHL, Textfassung 1, Bl. 111) beendete. Der Roman entstand somit in 42 Tagen, an denen er jeweils zwischen eineinhalb und viereinhalb Seiten fertigstellte. Lediglich am letzten Tag schrieb Handke den Epilog im Umfang von rund sieben Seiten.

Verlagsabschrift und Korrekturen

Der an die Fertigstellung des Bleistiftmanuskripts anschließende Entstehungsprozess ist aufgrund fehlender Daten nicht exakt rekonstruierbar. Fest steht, dass auf Grundlage der handschriftlichen Erstfassung eine Abschrift fremder Hand angefertigt wurde, die dann von Handkes Lektor Raimund Fellinger und wohl auch von Handke selbst korrigiert wurde. Beide Arbeitsschritte, die Abschrift und die anschließenden Korrekturdurchgänge, müssten im November und Dezember 1996 erfolgt sein.

Druckfahnen und Bucherscheinung

Am 16. Jänner 1997 wurde dem Datumseindruck zufolge der erste Lauf der Druckfahnen produziert. Über die daran vorgenommenen Korrekturen kann derzeit noch keine Aussage getroffen werden, da die Materialien noch nicht im Detail gesichtet wurden. Ein zweiter Lauf der Druckfahnen datiert auf den 28. Februar 1997. Rechnet man einen darauf folgenden letzten Korrekturgang ein, so entspricht das Erscheinungsdatum mit 15. April 1997 dem üblichen Produktionszeitlauf.

Literarische Referenzen

Neben dem Grundgerüst der Erzählung, das Peter Handke – nebst unzähligen Anspielungen – bei Chrétien de Troyes' französischer Fassung des Yvain entlehnte, fallen vor allem die zahlreichen Querverweise in der Erzählung auf, die sowohl auf früher wie auch auf später entstandene Werke Handkes bezogen werden können. Die Verfolgung des Protagonisten durch eine unbekannte Frau ruft den Kurzen Brief zum langen Abschied in Erinnerung. Die schlafende »Kompanie von Soldaten, hingestreckt ins Unterholz« (INH 83) findet ihre Entsprechung in der Lehre der Sainte-Victoire, wo eine ähnliche Beschreibung lautet: »Beim Anstieg lagen auf einer Lichtung im Gras große graue Säcke, aus denen sich dann schlaftrunkene Soldaten aufrichteten.« (DLS 96) Der verschollene »Freund Andreas Loser« (INH 9) – eine Anspielung auf Der Chinese des Schmerzes – kehrt am Ende der Erzählung wieder als »Steppeneinsiedler« (INH 237). Aktueller zum Zeitpunkt der Niederschrift war dagegen eine Anspielung auf die Jugoslawien-Thematik, wenn ein »Apotheker von Liefering« zitiert wird mit den Worten: »"Das mit Jugoslawien mußte ja böse ausgehen" [...] "Über jedem Land dort ein Zeichen, das von vornherein unverträglich und im Krieg war mit dem Nachbarstern."« (INH 56). Dass ein Weg des Protagonisten von der Steppe in eine spanische Stadt quer über Autobahnen, Bahndämme und Flugfelder führt, lässt unzweifelhaft an Der Große Fall (2011) denken, dessen Handlung Handke folgendermaßen vorwegnimmt: »"Doch wenn Sie einmal ein ganz heutiges Abenteuerbuch schreiben, dann sollt es von so einem Fußmarsch draußen vom freien Land – wo es da noch gibt – hinein in die Metropolen handeln"« (INH 272-273). Über die Verwandtschaft der Hausiererfigur (z.B. INH 274) mit Handkes frühem Prosatext von 1967 ließe sich zumindest spekulieren. Und zuletzt im Versuch über den Pilznarren (2013) griff Handke mehrere Motive wieder auf, die mit erstaunlicher Ähnlichkeit in In einer dunklen Nacht zu finden sind, so etwa die »Pilzleidenschaft«, die den Apotheker und dessen »Frau auseinandergebracht hat« (INH 40), die Pilze, »von ihm gesammelt und dem Koch zum zubereiten überlassen« (INH 61), das »Pilzbuch, das er nach seiner Rückkehr endlich fertigschreiben wollte« (INH 233) oder dass »die Pilzleidenschaft [...] meine Frau von mir abrücken lassen [...]« habe (INH 253). (ck)

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