Entstehungskontext

Druckversion

Der Versuch über den geglückten Tag ist das erste Werk, das Peter Handke in seinem neuen Haus in Chaville bei Paris fertigstellte, wo er seit Juli 1990 wohnte (Pichler 2002, S. 164). Auf zwei erhaltenen Beiblättern mit Notizen zum Manuskript notierte Handke dazu: »gehört zum 1., was ich im Haus hier schrieb, Nov./Dez. 1990 PH« (ÖLA 326/07/W5). Der Text ist nach Versuch über die Müdigkeit (1989) und Versuch über die Jukebox (1990) der letzte von drei in kurzen Abständen veröffentlichten Versuchen.

Frühe Notizen ab 1976

Bereits in Das Gewicht der Welt (1977) kommt die Formel vom »geglückten Tag« zur Anwendung: »Einen geglückten Tag beschreiben« (DGW 51; vgl. analog dazu den Notizbucheintrag vom 11. März 1976 in DLA, A: Handke Peter, Notizbuch: 002). In Langsame Heimkehr (1979) lässt Handke seinen Protagonisten Sorger überlegen: »Einmal hatte Sorger die Idee von einem geglückten Tag gehabt: an einem solchen müßte allein die Tatsache, daß es Morgen und Abend, hell und dunkel würde, Schönheit genug sein« (LH 203). Dass das Motiv des geglückten Tags in Peter Handkes Notizen bis zum Ende der 1970er-Jahre präsent war, belegt weiters ein Journaleintrag in Die Geschichte des Bleistifts (1982), dessen Texte aus Notizbüchern bis Ende Juli 1980 stammen: »Der "geglückte Tag" wäre ein Tag ohne Bedürfnis nach dem eigenen Spiegelbild, ein Tag ohne mein Zutun: "Heute bin ich da, und es gibt die Natur". Aber am Ende wird derjenige vielleicht doch heilfroh sein, daß der "geglückte Tag" vorbei ist: froh wie nach einer Geisterstunde – denn er hat schließlich Angst gehabt, an der Vollkommenheit zu sterben. [...]« (DGB 83) In den darauffolgenden Jahren, die Peter Handke in Salzburg verbrachte, tritt die Idee wieder in den Hintergrund. So ist im Journal Am Felsfenster morgens, in dem Handke seine Notizbücher von 1982 bis 1987 verarbeitete, die Formulierung vom »geglückten Tag« an keiner einzigen Stelle zu finden.

Schreibanlass und Projektbeginn

Wie schon beim Versuch über die Jukebox sind Handkes Vorüberlegungen zum Text und zu Schreibanlässen selbst Bestandteil der Erzählung, etwa das Lied Coney Island (1989 auf der LP Avalon Sunset veröffentlicht) des nordirischen Sängers Van Morrison (VT 18) oder eine Fahrt mit dem Vorortzug bei Paris, »wo die Idee vom geglückten Tag sich ihm verwandelte von einer Lebens- in eine Schreibidee.« (VT 63) Diese Zugfahrt verbindet er wiederum mit so unterschiedlichen Assoziationen wie der geschwungenen Linie in einem »Selbstbildnis des Malers William Hogarth« und einem Kieselstein »vom Ufer des Bodensees«. Peter Handkes Notizbücher, die nach dem 1. Juli 1990 entstanden und weiteren Aufschluss über die Werkgenese geben könnten, sind der Forschung gegenwärtig noch nicht zugänglich, sodass zu den Werknotizen aus den Wochen vor und während der Niederschrift keine Aussagen getroffen werden können. In einem langen Journaleintrag in Gestern unterwegs (2005), der Aufzeichnungen vom 28. Juni bis zum 16. Juli 1990 umfasst, ist zu lesen: »Zum glückenden Tag gehörte das Projekt.« (G 553)

Erste Textfassung

Das Bleistiftmanuskript mit der ersten Fassung schrieb Peter Handke zwischen dem 12. November und 8. Dezember 1990 nieder. Vom 30. November bis zum 2. Dezember unterbrach er seine Arbeit. Drei Tage nach Fertigstellung der Erstfassung, am 11. Dezember, meldet er sich bei Hermann Lenz: »Ich habe wieder einmal, auf meine spiralige, mich selber stechende Weise, herumgesucht, -gemurkst, -gespurt (= geschrieben, nicht viel).« (Handke / Lenz 2006, S. 252) Am selben Tag erhielt auch sein Lektor Raimund Fellinger eine kurze Notiz, zusammen mit der Manuskriptkopie: »Mein neuestes Meisterwerk – eher ein Quälwerk hoffentlich nicht gar. [...] Ich schicke die Kopie diesmal, weil sie lesbarer, weniger verschmiert ist als das Original. Das Weitere später.« Über die Anstrengung der Niederschrift ist einem Brief an den Literturkritiker Wolfgang Kraus am 16. Dezember zu entnehmen: »[...] ich bin mit einer kleinen Arbeit fertig, die schwer war, und heute spüre ich an Augen und Haut ein Fieber.« (ÖLA 63/97/B179) An seinen Freund Alfred Kolleritsch berichtete er über den Schreibprozess viel später, am 16. April 1991, dass er sein »Tun [...] für Tage – ungewohnt für meine Art – unterbrach [...]«, womit die dreitägige Schreibpause gemeint ist (Handke / Kolleritsch 2008, S. 191).

Zweite Textfassung und Druckfahnen

Im Verlag dürfte die Kopie der Erstfassung wenige Tage nach dem 11. Dezember eingetroffen sein. Fest steht, dass auf dessen Grundlage eine Abschrift angefertigt wurde, die den Text der ersten Fassung unter Berücksichtigung aller Sofortkorrekturen der Erstfassung wiedergab. Nach weiteren Korrekturen von Peter Handke und dessen Lektor Raimund Fellinger wurde in der Folge ein erster Druckfahnenlauf hergestellt, der am 1. März 1991 vorlag. Am 5. März teilte Unseld Handke mit, dass »der Umbruch des "Versuchs über den geglückten Tag" [...] auf meinem Tisch [liegt]« (Handke / Unseld 2012, S. 578). Einen Vertretertext sowie einen Ankündigungstext dürfte Unseld allerdings noch anhand der Lektüre der Verlagsabschrift entworfen haben. Am selben Tag erschien zugleich Handkes Shakespeare-Übersetzung Das Wintermärchen, an der er von März bis Juni 1990 gearbeitet hatte.

Veröffentlichung

In einem Brief vom 16. April 1991 bedankte sich Handke bei Unseld für die Ankündigungstexte (Vertretertext und Programmvorschau), die dieser am 2. April geschickt hatte (Handke / Unseld 2012, S. 579-585). Die unterschriebenen Verlagsverträge für Versuch über den geglückten Tag und für seine Übersetzung von Shakespeares Das Wintermärchen sandte Handke am 29. April 1991 an die Leiterin der Abteilung Rechte & Lizenzen Helene Ritzerfeld, Siegfried Unseld retournierte sie am 8. Mai. Das Wintermärchen erschien am 15. Juli, der Versuch am 31. Juli 1991 (Handke / Unseld 2012, S. 586). Verlagsangaben zufolge wurde das Buch am 5. August ausgeliefert. Kurz davor, am 27./28. Juli, war in der Süddeutschen Zeitung der Essay Abschied des Träumers vom Neunten Land veröffentlicht worden; und zwischen 24. Juli und 6. August hatte Handke das Manuskript des Stücks Die Stunde da wir nichts voneinander wußten verfasst. Am 28. August wurde Peter Handkes zweite Tochter Léocadie geboren. Unabhängig von der Überschneidung mit und den kritischen Reaktionen auf Abschied des Träumers konnte ihm Siegfried Unseld am 2. September mitteilen, dass das »Buch [...] die Nr. 1 der Bestenliste [des SWR, Anm.] des Monats September [ist]« (Handke / Unseld 2012, S. 590). Bereits am 15. September vereinbarten Autor und Verleger bei einem Treffen in Paris, dass zum 50. Geburtstag Handkes am 6. Dezember 1992 die Manuskripte der drei Versuche als Faksimile-Ausgabe erscheinen sollten (Handke / Unseld 2012, S. 590). (ck)

Siglenverzeichnis  Editorische Zeichen