Entstehungskontext

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Der »Sommerdialog« Die schönen Tage von Aranjuez ist Peter Handkes zwanzigste Arbeit für die Bühne. Das Stück spielt »an einem schönen Sommertag« (DTA 7). Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch in einem Garten und sprechen über die Liebe, über ihre Lieben. Das Gespräch beginnt unmittelbar, ohne Einleitung, mit den Fragen des Mannes an die Frau, die zuerst noch ablenkt, dann aber ins Erzählen kommt. Obwohl der Mann die Frau fragt, beginnt er nun in seinen Reaktionen auf ihre Antworten selbst abzulenken und von seinen Naturerlebnissen zu sprechen. Im Verlauf ihres Gesprächs wird immer deutlicher, dass die glückliche Liebe ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Die unheilvolle Welt bricht, wie die Szenenanweisungen zeigen, in Form von Geräuschen, die sich immer mehr zu Katastrophengeräuschen steigern, in den utopisch wirkenden, abgeschlossenen Garten ein: »Sie wirft ihm sachte den Apfel zu, und er fängt ihn? Läßt ihn fallen? Zunahme der Außengeräusche: Schreie, ein einzelner Schußknall, ein rhythmisches Hupen, alles in Distanz, zugleich gegenwärtig.« (DTA 65) »Und erinnerst du dich«, fragt die Frau dann, »an das Gedicht von Mann und Frau, verstrickt, zugleich getrennt voneinander, irgendwo in den Macchia-Dornen? Und wie sie, einer zur anderen, eine zum anderen, zueinanderdunkeln wollen, hinüberdunkeln wollen "zu dir" – unmöglich: Denn es herrschte "Lichtzwang"!? Herrscht er denn, der Lichtzwang?« (DTA 68) »Es gibt keine glückliche Liebe« (DTA 69), meint der Mann gegen Ende und versucht, ihr den Apfel zurückzuwerfen, sie fängt ihn aber nicht: »"Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende. Wir sind vergebens hier gewesen." Ich bin nicht gesättigt. "O wer weiß, was in der Zeiten Hintergrunde schlummert?" ... Tengo hambre. Ich habe Hunger, Soledad.« Und die Frau antwortet: »Y yo tengo sed. Und ich habe Durst. Es ist so seltsam, nackt zu sein, sogar allein.« (DTA 69ff.)

Intertextualität

Handke unterlegt den Sommerdialog mit einem dichten Netz an Anspielungen auf eigene Werke wie auch auf Songs, Filme und literarische Texte anderer Autoren und stellt das Gespräch damit in einen größeren Rahmen. Die Verweise auf eigene Werke seien aber nicht das, »was man heute selbstreferentiell nennt«, meint er in seinem 2014 erschienenen Theatergespräch mit Thomas Oberender (Handke / Oberender 2014, S. 71). Bereits der Titel des Stücks zitiert Friedrich Schillers Don Karlos, der mit jenem Satz beginnt, mit dem Handke seinen Dialog enden lässt: »Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende.« Im Gespräch mit Oberender erklärt Handke jedoch, der Stücktitel sei nicht als bewußte Anspielung geplant gewesen, »ich hatte ihn eher als einen Arbeitstitel oder so einen Spieltitel: Die schönen Tage von Aranjuez. Und dann habe ich gedacht: Ich lasse den.« (Handke / Oberender 2014, S. 142; siehe weiters 140-142) Darüber hinaus nimmt Handke, um nur ein paar Beispiele zu nennen, Bezug auf Tennessee Willams' Die Katze auf dem heißen Blechdach und Endstation Sehnsucht, auf Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wienerwald, Joseph von Eichendorffs Ahnung und Gegenwart oder Bob Marleys Redemption Song.

Mann-Frau-Dialog

Die Idee, eine Liebesgeschichte in Form eines Gesprächs zwischen Mann und Frau zu schreiben, könnte bis in die 1980er Jahre zurückdatieren – im Oktober 1985 erzählte Handke Raimund Fellinger, der ihn in Salzburg besuchte, von seinem Plan, »ein Theaterstück zu schreiben, über eine "Zweierbeziehung", über die Erotik einer solchen Beziehung« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz). Einige Passagen am Anfang des Sommerdialogs erinnern zudem an eine Szene im 1989 veröffentlichten Theaterstück Das Spiel vom Fragen, in der ein Schauspieler und eine Schauspielerin über ihre Liebe und die Liebe generell sprechen (DSF 23ff., 92ff.). Der Schauspieler fragt zum Beispiel »Wer war dein erster Mann?«, und die Schauspielerin antwortet ihm: »Die Welt – in jenem Fall der Sommerhimmel. Ich war noch ein Kind und saß auf einer Schaukel. Ich tauchte immer höher. Am Punkt vor dem Kippen, in dem Stau zwischen unten und oben, hat es mich übermannt.« Er fragt daraufhin: »War es Lust?«, worauf sie erklärt: »Nein, Süße. Ein Blitz von Süße, der jäh in mich schoß und mich dann langsam entzündete. "Ich begehre dich!", sagte die Welt, sagte der Himmel, und ich meinerseits erwachte zum Begehren. Damals wurde ich zur Frau. Nie wieder habe ich solch eine Süße erlebt. Seit jenem Augenblick war ich bereit.« (DSF 93ff.) In den Schönen Tagen von Aranjuez antwortet die Frau über mehrere Seiten lang (DTA 8-14) auf die Frage, wie das erste Mal mit einem Mann gewesen sei: »Es war Nachmittag. Ich auf einer Schaukel irgendwo tief in dem Obstgarten. Ein Apfel-, kein Kirschgarten, keine roten Flecken auf meinem Kleid, nicht vorher, und nicht danach. [...]« (DTA 10) Im Spiel vom Fragen gab Handke dem Liebesgespräch der Schauspieler mit Blick auf Dantes Vita Nova (dem Motto des Stücks) zugleich eine größere, symbolische Bedeutung, als Liebe des Künstlers zur Kunst. Diese Bedeutungsebene spielt im Sommerdialog zwischen Mann und Frau ebenfalls eine Rolle.

Verwendung des Titels

In seinem 2006 erschienenen Theaterstück Spuren der Verirrten spielt Handke in der Dialogsequenz zweier Männer bereits auf den ersten Satz von Schillers Don Karlos an. Darin heißt es: »Der Zorn packt mich, daß ich dein Elend mitansehen muß, Zorn über dich Unglückshaufen hinaus auf die Weltgeschichte, von Anfang an, seit der sogenannten Schöpfung. Küß die Hand, krepier. Die schönen Tage von Aranjuez hat's nie gegeben. [...] Wie schön hatten wir es damals in Dithmarschen: das türkische Schaschlik, mitten im Schneesturm. Und in Aranjuez habe ich seinerzeit eine Stunde lang Liebe zur Menschheit gespürt, einfach so, beim Zuschauen, als am Abend die Markthalle mit den Wasserschläuchen gereinigt wurde.« (SV 31) Im Stück kommen auch immer wieder kleinere Sequenzen zwischen Paaren vor, die an den Mann-Frau-Sommerdialog erinnern (z.B. SV 24, 35ff.).

Ankündigung des Stücks

Eine regelrechte Ankündigung der Schönen Tage von Aranjuez findet man in der nur ein Jahr vor dem Stück geschriebenen Erzählung Der Große Fall. Darin fantasiert der Schauspieler (oder auch der Erzähler) eine Szene zwischen sich und der Frau, in deren Haus er sich befindet. Er denkt sich aus, wie er nach seiner Preisverleihung in der Stadt gegen Mitternacht »mit der Frau am Tisch säße und ihr, wie er das nicht zum ersten Mal tat und wie sie es heiter geschehen ließ, sachlich Fragen nach ihren, der Frau, innersten Regungen bei der leibhaften Liebe stellen und sie ihm ebenso sachlich erzählen und immer weiter fort erzählen würde, was es von ihr, als Frau zu erzählen gäbe. Sie säßen da bei offenem Fenster zur Nacht. Der Tisch wäre der auf dem Podest dort, so daß sie ein Paar bildeten wie auf einer Bühne. Ihrer beider Hände lägen im Abstand voneinander auf der Tischplatte, ruhig, fast unbeweglich, von Anfang bis Ende ihres Gesprächs. Und so begänne der Mann, die Frau zu befragen [...]. Und sie, die Befragte, würde erst einmal mit einem Lachen das "kurz und gut" wiederholen, und dann bemerken, seine Frage sei ja eine epische gewesen, da müsse ihre Antwort ebenso eine epische sein, und ob das denn ein Drama ergäbe?, und aus dem Wald hätte in dem Moment zum zweiten Mal die Eule oder das Käuzchen, oder was es eben war, in die Szenerie hereingerufen.« (DGF 41-43) Das hier vom Schauspieler ausgedachte Fragespiel entspricht genau dem Setting der Schönen Tage. Im Gespräch mit Thomas Oberender erklärt Handke dazu: »ich wußte schon, daß ich einmal einen Sommerdialog schreiben werde, in dem ein Mann und eine Frau auf einer Terrasse sitzen, und der Mann fragt sie nicht geradeaus, aber er stößt sie mit einer Frage an. Es belustigt mich einfach, in dieser Prosageschichte Der Große Fall ein Zeichen zu setzen für das, was ich später in Die schönen Tage von Aranjuez erzählen werde.« (Handke / Oberender 2014, S. 81)

Entstehung

Die Entstehung des Stücks lässt sich aufgrund der äußerst lückenhaften Quellenlage nur ansatzweise rekonstruieren. Eine Hauptquelle zur Erschließung der Textgenese sind für gewöhnlich Handkes Notizbücher mit seinen Aufzeichnungen zum Stück, diese sind der Öffentlichkeit aber noch nicht zugänglich. Wann genau Handke mit der Arbeit an der ersten, auf Französisch geschriebenen Textfassung begonnen hat und welche Vorarbeiten es gab, ist nicht bekannt. Die erste, auf Französisch geschriebene Textfassung Les Beaux Jours d' Aranjuez befindet sich vermutlich (evt. zusammen mit Handkes beim Schreiben üblicherweise angefertigten Beiblattnotizen) im Privatbesitz seiner Frau Sophie Semin, der er das Stück auch gewidmet hat; sie dürfte Handkes Angaben im veröffentlichten Stück zufolge im Juli 2011 entstanden sein (DTA 70), also noch vor der Uraufführung von Immer noch Sturm im August 2011. Die Übertragung ins Deutsche erfolgte wahrscheinlich erst im Oktober 2011, allerdings enthält das Bleistiftmanuskript der ersten deutschen Fassung, das im Privatarchiv von Hans Widrich aufbewahrt wird, keine exakte Datierung, die diese Annahme bestätigen würde. Die ebenfalls in Widrichs Privatarchiv erhaltene Druckfahnenkopie des zweiten Laufs ist auf 27. November 2011 datiert (Privatarchiv Hans Widrich, Bl. I). Was ab der Fertigstellung der deutschen Erstfassung im Oktober 2011 bis zur Korrektur des zweiten Fahnenlaufs Ende November 2011 passierte, ob es eine Abschrift des Verlags gab oder wie viel Handke in den Druckfahnen des ersten Laufs korrigiert hat, ist bislang unklar. Die Erstausgabe von Die schönen Tage von Aranjuez erschien am 13. Februar 2012. Uraufgeführt wurde das Stück am 15. Mai 2012 im Akademietheater Wien als Koproduktion von Wiener Festwochen und Burgtheater Wien. Regie führte Luc Bondy, das Bühnenbild gestaltete Handkes Tochter Amina Handke, und die Hauptrollen spielten Jens Harzer und Dörte Lyssewski. (kp)

Siglenverzeichnis