Die Dreifachnummer des »Marbacher Magazins«: »Aus der Hand«, umfangreich und üppig (wenn auch schwarz-weiß) bebildert, begleitete
die Ausstellungen gleichen Titels in den Nationalmuseen der deutschen Dioskuren – in Weimar und in Marbach von September 1999
bis Januar 2000. »Vom Schreiben 6« bildet den letzten Band einer Reihe von »Marbacher Magazinen«, die der Chronologie des
Entstehungsprozesses literarischer Texte nachempfunden ist: Vom Anfangen im Angesicht des noch jungfräulich weißen Blatts
Papier (»Vom Schreiben 1«) über die Schreibgeräte, die Stimulanzien und die Schreiborte der Dichter bis hin zu den nicht eingelösten
Versprechungen, Ankündigungen, (Selbst-)Verpflichtungen der Autoren (»Vom Schreiben 5«) reichte bislang das Spektrum, um nun
– zu guter Letzt – zu Schriftstellers Glück und Ende vorangetrieben zu werden, zum Moment der Vollendung, in dem das ›manu
scriptum‹ die Hand, der es sich verdankt, auf diese oder jene Weise verläßt. Nämlich: leichten Herzens, mit Glück-auf-dem-Weg!
der Obhut eines anderen anvertraut durch Widmung oder Zueignung; mit verführerischen Zutaten, die dem in die Welt entlassenen
Werk rasch eine neue Heimstatt auftun sollen: im Regal des geneigten Käufers. Oder, auf weniger ehrbarem Weg, durch Kassation
übelwollender Zensoren oder infamer Plagiatoren, die sich die fremden Federn an den eigenen Hut stecken wollen; mitunter bedarf
es für den endgültigen Abschied auch neuerlichen Hand-ans-Werk-Legens. Vielfältig sind die Geschicke der Bücher, sobald sie
ihre Urheber verlassen haben, und noch vielfältiger sind die ausgewählten und dokumentierten Stücke, die sie veranschaulichen,
in der überwiegenden Mehrzahl aus den Marbacher Beständen zusammengestellt. In den »Nachbemerkungen« der Bearbeiter Helmuth
Mojem und Reinhard Tgahrt heißt es etwas kokettierend von der Zahl der beschriebenen Stücke, sie sei »geradezu unverschämt
groß«, und tatsächlich ist der Katalogumfang mit seinen an die 300 Positionen (und rund 150 flankierenden Abbildungen) beträchtlich,
indessen kein Grund zum Abbitte-Leisten. Der Mut zur reinen Bücherausstellung, dessen es in den Zeiten von Multimedialität,
Bilderflut und Eventkultur zweifellos bedarf, wenn nichts die Sinne vom gedruckten oder geschriebenen Wort ablenken, die Konzentration
stören soll, macht sich bezahlt: Selbst das Buch über die Bücher, losgelöst von den immerhin visuellen Reizen der Ausstellung,
ist niemals trocken bei aller philologischen Sorgfalt der Kommentierung, niemals verstaubt bei aller archivalischen Findigkeit
und Präzision, sondern vielmehr: anschaulich und vergnüglich geraten. Kein Anmerkungsapparat stört den Lesefluß, und dennoch
ist dem instruktiven Charakter der Darstellung kein Abbruch getan. Wer die Nachweise (»oft knapper als üblich«, konzedieren
die Herausgeber) verfolgen will, findet genügend Wegweiser, um ihnen auf der Spur zu bleiben.
»Schicksale Scheusale Labsale – Bücher« beschwört eingangs, auf gut zehn essayistischen Seiten, der Schriftsteller Detlef
Opitz, der den Nimbus vom »erhabensten Moment im Leben eines Bücherschreibers« so entschieden wie wortreich relativiert, indem
er weidlich das metaphorische Feld von Geburt und Gebären, pardon, abgrast. Das Werk, mit dem man lange schwanger gegangen
ist, als ein Kind, das endlich unter Qualen und Anstrengungen den behüteten Innenraum verlassen muß, um in eine unbehauste
Außenwelt zu gelangen, aus der schriftstellerischen Obhut ans Licht der Welt befördert zu werden, die so unbarmherzig und
emotionslos mit ihm verfahren wird, wie es ihr in den Sinn kommt. Der lang ersehnte und zugleich befürchtete Augenblick der
Entbindung des Werks, des »Kindeleins«, der Freiraum = Leere schafft – für ein neues Beginnen, ein neues Austragen doch bloß.
»Was mit den Büchern geschieht«, eben nicht nur mit den eigenen, reiht Opitz in autobiographischer Manier und anekdotischer
Folge aneinander: Bücher als Köder, ihrem Liebhaber von der Staatssicherheit zugeworfen oder zum erotischen Lockmittel funktionalisiert,
das nur begrenzt sein Ziel erreicht; als Objekt der Begierde für den Adoleszenten; als Einsatz beim Glücksspiel, der, wenn
Fortuna ihrem Herausforderer nicht gewogen ist, unwiederbringlich verloren geht. Die Schicksale der Bücher sind Legion. Wie
diejenigen der Menschen, die sie geschrieben oder denen sie einmal gehört haben.
Die kenntnis- und detailreichen Exponatbeschreibungen, die diese Schicksale exemplarisch rekonstruieren, sind im wesentlichen
vier Abteilungen zugeordnet: »Zueignung / Eigentum«, »Beiwerk«, »Markt und Policey«, »Verbesserungen? Verbesserungen!«. Ein
Stück geht vorneweg, einige, die »für sich selber sprechen«, tun dies zwischendrin: »Außer der Reihe«. Unter den ausgestellten
und beschriebenen Stücken aus drei Jahrhunderten finden sich entlegenere und berühmte (wie etwa die kreuzweise zwischen Weimar
und Mailand ausgetauschten Widmungen Goethes und Manzonis, die als Aggregationsmoment von »Weltliteratur« seit 1999 auch die
ständige Ausstellung des Goethe-Nationalmuseums schmücken, oder die Zueignung par excellence: Hölderlins nämlich an seine
Diotima Susette Gontard, versteckt zwischen dem ersten und dem zweiten Band des »Hyperion«. »Wem sonst als Dir« – könnte man
Schöneres sich wünschen?)
Sie alle laden ein zum Vor- und Zurückblättern, zum kursorischen An- und zum Festlesen, zum Weiter- und zum Wiederlesen. Auch
ein Bücherschicksal, fraglos der erfreulicheren Sorte.
Anneke Thiel
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