Marlen Haushofer ist wieder oder immer noch im Gespräch. Sie gehört zu den Autorinnen, deren Werk zu Lebzeiten weitgehend
ignoriert bzw. kritisch rezipiert wurde, um dann postum als ›Hausfrauenliteratur‹ vergessen zu werden. Als repräsentatives
Beispiel der ›präfeministischen‹ Literatur wurde Haushofers Werk Anfang der 80er Jahre wiederentdeckt bzw. mit dem Instrumentarium
feministischer Theorie in Anspruch genommen und vereinnahmt. Auf diesen für das Werk vieler Autorinnen der 50er und 60er Jahre
nicht untypischen Rezeptionsweg wird in dem von Anke Bosse und Clemens Ruthner edierten Sammelband über Marlen Haushofer sorgfältig
und facettenreich reflektiert.
Fast alle Beiträge sind überarbeitete Referate, die im Rahmen eines 1998 veranstalteten Haushofer-Kolloquiums gehalten wurden.
Wie die Herausgeber angeben, war einer der wichtigsten Impulse für dieses Kolloquium heuristischer und epistemologischer Natur:
Zunehmende Kritik an feministischen Analyseverfahren brachte eine Neubewertung jener Texte in Gang, die zeitweilig als ›Paradetexte‹
eines engagierten Aktivismus gelesen worden waren. Dementsprechend lassen sich an der Rezeptionsgeschichte von Haushofers
Werk »nicht nur die Entwicklungslinien der Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur, sondern auch die der Literaturwissenschaft«
(S. 10) ablesen. Die thematisch und methodisch weit gefächerten Beiträge des Sammelbandes geben einen klaren und aufschlußreichen
Eindruck von der Bandbreite gegenwärtiger Herangehensweisen an Texte einer Autorin, deren Werk man entweder völlig vergaß
oder überaus lobte. Beeindruckend ist die Bandbreite der Beiträge, die von produktionstheoretischen, editionsphilologischen,
philosophisch-anthropologischen und komparatistischen Aspekten zu Aspekten der Geschlechter›differenz‹ und der Rezeptionsgeschichte
reicht. So können sich interessierte Leserinnen und Leser einen Eindruck sowohl von geschichtlichen Prämissen und Paradigmenwechseln,
als auch vom gegenwärtigen Stand der Haushofer-Forschung machen.
In ihrer Einleitung verweisen die Herausgeber auf noch offene Felder und Desiderata, die auch die vorliegende Sammlung nicht
ganz füllen bzw. beseitigen kann. Zum einen besteht die Tendenz einer werkimmanenten Kanonisierung, bedingt durch das große
Interesse am Roman »Die Wand«. Obwohl Texte wie »Die Tapetentür«, »Die Mansarde«, »Himmel, der nirgendwo endet«, »Eine Handvoll
Leben«, »Wir töten Stella« und auch die Kinderbücher behandelt werden, bleiben die kürzeren Erzählungen nach wie vor unausgewertet.
Zum anderen kann die besprochene Sammlung nur einen Anfangspunkt darstellen zu »einer umfänglicheren Analyse der vielfältigen
intertextuellen Bezüge wie überhaupt der Funktion und Funktionalisierung von Lektüre in Haushofers Werk« (S. 20). Des weiteren
würde sich eine Lektüre von Haushofers Texten in bezug auf aktuelle »Memoria«-Konzeptionen, die »Poetik des Leidens« und die
Geschlechter›differenz‹ lohnen, ebenso wie ernsthafte Untersuchungen von Ironie und Groteske im Werk der Autorin (S. 21).
Diese offene Stellungnahme zu möglichen Lücken und Mängeln des vorliegenden Bandes ist bemerkenswert. Im folgenden werden
nur diejenigen Beiträge detaillierter beschrieben, die besonders eindringliche, innovative oder komplexe Analysen von Haushofers
Texten liefern.
Der Beitrag von Elke Brüns zur Funktion Autor und Funktion Mutter und der psychosexuellen Autorposition Marlen Haushofers
besticht durch seine klare Historisierung und Kontextualisierung der weiblichen Autorposition. Brüns zeigt, auf welche Art
und Weise Haushofer biographische Erfahrungen fiktionalisiert und transformiert, um derart »Bilder der weiblichen Existenz
und ihrer Behinderungen zu gewinnen, die kulturkritischen Charakter haben« (S. 30). Die Autorin entlarvt Weiblichkeit als
ein kulturelles Konstrukt, das auf der Vernichtung des Subjekts aufbaut. Brüns' Analyse zeigt, wie die im Roman »Himmel, der
nirgendwo endet« beschriebenen Aporien der weiblichen Autorposition in »Die Wand« nicht nur radikal weitergedacht, sondern
zugleich aufgebrochen werden. In »Die Wand« durchquert Haushofer die Sackgassen der mütterlich-sexuellen Autorposition, um
mit dem Schriftzug der phallischen, das Gewehr ergreifenden Frau zu enden und eröffnet mit diesem radikalen ›tableau‹ möglicherweise
einen neuen weiblichen Schreibraum. Was Brüns Beitrag historisch so interessant macht, ist die Tatsache, daß dieses Bild der
aggressiven, ihren Existenzraum verteidigenden Frau noch vor nicht allzulanger Zeit als ›unweiblich‹ abgelehnt und keinesfalls
als Ausdruck eines utopischen weiblichen Begehrens nach einem Ort in der Schrift bewertet wurde. So zitiert z. B. Ulrike Landfester
in ihrem Beitrag zur Rezeptionsgeschichte Haushofers den Bericht Regula Venskes über ein Frauenseminar, in dem eine Teilnehmerin
1984 emphatisch einwarf, »daß die Frau am Schluß einen Mann tötet, das könne ja wohl keine Frauenutopie sein« (S. 223).
Der präzise und ausführliche Überblick über Konfigurationen von »Kind« und »Kindheit«, wie sie sich historisch unterschiedlich
in der sogenannten Kinder- und Jugendliteratur niedergeschlagen haben, macht Iris Dennelers Beitrag über Haushofers Kinderbücher
lesenswert. Denneler geht vor allem dem beliebten Vorwurf nach, Haushofers Prosa für Kinder sei »nicht positiv« genug. Sie
arbeitet dabei heraus, daß die Autorin in ihren Kinderbüchern vieles offener und sogar kritischer formuliert als in ihren
anderen Texten. Hier fungiert »positive Standpunktbeziehung als souveräne Befreiung gegenüber den Katastrophen des bürgerlichen
Lebens« (S. 98).
Wolfgang Bunzel liest die Romane »Himmel, der nirgendwo endet« und »Die Wand« mit Blick auf die von Max Horkheimer und Theodor
W. Adorno in der »Dialektik der Aufklärung« entworfenen anthropologischen Problemfelder Mensch / Tier bzw. Kultur / Natur.
Damit werden diese Texte als kritische Kommentare zur Kulturgeschichte und Vergesellschaftung gelesen, sowie als Beitrag zur
Dialektik von ›Selbst‹ und dem ›Anderen‹. Obwohl überzeugend, ist die Gefahr einer solchen Lesart, daß das leitende theoretische
Paradigma die Interpretation einengt und dem ästhetischen Mehrwert des literarischen Textes nicht mehr gerecht werden kann.
Auch Daniela Strigls Beitrag zu Haushofers Existentialismus bemüht sich darum, das Werk der Autorin in einem größeren kulturtheoretischen
Zusammenhang aufzuarbeiten. Damit wird Haushofer bewußt nicht mehr als Exempel der ›Frauenliteratur‹ rezipiert, sondern als
eigenständiger Beitrag jenseits der ›gender stereotypes‹ wahrgenommen. In bezug auf die kritische Stellungnahme zur Wirtschaftwunderzeit
lassen sich laut Strigl Resonanzen zwischen Haushofers Werk und den Texten von Walter Buchebner und Hans Lebert herstellen.
Diese Hinweise sind hilfreich, insofern sie neue Kontexte anbieten und damit die ideologisch oft verengte Lesehaltung vieler
Interpreten auf neue Perspektiven hin aufbrechen.
Mireille Tabah analysiert drei für die feministische Theoriebildung wichtige Weiblichkeitskonzepte im Werk Haushofers: »Effekt
Frau«, »Mittäterschaft« und »Weiblichkeitsmaskerade«. Obwohl ihr Ansatz interessant und weitreichend ist, wirkt die Analyse
der literarischen Texte gegenüber dem theoretischen Bezugspunkt zum Teil kursorisch und summarisch. Der Stellenwert dieses
Beitrags ebenso wie der des Beitrags von Michael Hoffmann zu »Weiblichkeitskonzepten im Widerstreit zwischen Robinsonade und
Utopie« besteht darin, wichtige theoretische Ausgangspunkte für eine neue Betrachtungsweise von Haushofers Texten bereitzustellen.
Die Ausführungen von Ulrike Landfester zur Rezeption von Haushofer in der feministischen Literaturkritik bieten eine exzellente
historische Übersicht über die Vereinnahmung dieser Autorin für verschiedene Formen von Weiblichkeitskonzeptionen. Landfester
weist nach, daß das projizierende und identifikatorische Lesen aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mittlerweile in
Mißkredit geraten ist und einer differenzierenden Lektüre Platz gemacht hat. Sie glaubt, daß es nun möglich ist, »die Kunst
der Marlen Haushofer als Kunst zu betrachten, daß heißt, ihre Unschärfen weder als Defizit noch als Selbsterfahrungsmuster,
sondern als Textstrategien wahrzunehmen« (S. 227).
Ein anderer interessanter Beitrag zur Rezeptionsgeschichte ist der von Ulrike Vedder zu Parallelen und Bezügen zwischen Goethes
Drama »Stella« und Haushofers Novelle »Wir töten Stella«. Vedder weist nach, daß Haushofers Text als eine Radikalisierung
von Goethes Drama gelesen werden kann. Sie beschreibt, welche Liebesideale beiden Texten zugrunde liegen und auch den Prozeß
dieser Idealisierungen. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem Diskurs der Liebe, insofern die Stabilisierung und Destabilisierung
von Identität in der Liebeserfahrung als Erschütterung der kommunikativen und referentiellen Ordnung sichtbar werden. Sie
argumentiert, daß sowohl Goethe wie auch Haushofer den doppelten Sprachboden der Liebe, der die Vitalität der Liebesideale
inszeniert und garantiert, vorführen – eine ebenso interessante wie ungewöhnliche Kontextualisierung von Haushofers Novelle.
Auch der Bezug zum Werk von Anne Duden, den Franziska Gerlach in ihrem Beitrag über Gedächtnismodi herstellt, ist wichtig
für die Haushofer-Forschung. Gerlach liest Dudens Schreibweisen von weiblichem Überleben als Komplizen- bzw. Mittäterschaft
als Fortschreibung der von Haushofer offengelegten geschlechterdifferenten Gewaltzusammenhänge.
Alles in allem bietet dieser Sammelband eine ausgezeichnete Auswahl zu den unterschiedlichsten Forschungsansätzen der Haushofer-Forschung.
Haushofers Texte werden in sehr differenten und oft originären Kontexten gelesen, was Perspektiven sowohl auf die historische
und gegenwärtige Bandbreite als auch auf noch mögliche Ausweitungen der Haushofer-Forschung öffnet. In dieser Hinsicht hilfreich
ist auch die nachgestellte Biographie zur Autorin, die in übersichtlicher Form einen Überblick über alle Veröffentlichungen
der Autorin, sowie über die wichtigsten Forschungsbeiträge gibt.
Daniela Strigls im Claassen Verlag erschienene Haushofer-Biographie stellt eine weitere, wenn auch weniger fachspezifische
Kontextualisierung von Haushofers Texten dar. Strigl beschreibt in ihrem Vorwort einige der Prämissen ihrer Anstrengungen.
Ihr sei die Form der Biographie an sich suspekt und sie sei sich darüber im klaren, daß ein Biograph »das Leben der beschriebenen
Person nicht ›re‹konstruieren kann, sondern es konstruieren muß« (S. 10). Angesichts dieser heuristischen Feststellung scheint
es ein wenig paradox, wenn das Buch unter den Titel »Marlen Haushofer. Die Biographie« erscheint.
Die Biographie ist flüssig geschrieben, leicht zu lesen und hält den Leser in Bann. Strigl entwirft ein klares und oft sehr
eindrucksvolles wie einfühlsames Bild vom Leben der Autorin, denkt über psychische Konstellationen nach, die Haushofers Lebensentscheidungen
beeinflußt haben könnten, und legt Details offen, die die beschwerlichen Anstrengungen betreffen, publiziert und ernstgenommen
zu werden. Sie entwirft das Bild einer willenstarken Förstertochter, die relativ ungezwungen aufwächst, jedoch nach und nach
unter den gesellschaftlichen Regeln und den geschlechtsspezifischen Projektionen leidet, die eine weibliche Existenz einrahmen.
Nach den Jahren im Internat ist aus dem eigenwilligen kleinen Mädchen eine zu (psychosomatischen?) Erkrankungen neigende junge
Frau geworden, die kaum über Dinge spricht, die sie bedrücken. Ihre Erfahrungen im ›Reichsarbeitsdienst‹ sind von Depressionen
gekennzeichnet und ihre ambivalente Ehebeziehung zu Manfred Haushofer ist durch eine ungewollte frühere Schwangerschaft überschattet.
Als Zahnarztgattin versorgt sie Kinder und Ehemann, leidet unter der Untreue ihres Mannes, läßt sich heimlich von ihm scheiden,
um ihn später wieder zu heiraten. Strigl schildert die Förderung und Hilfestellung, die Hermann Hakel und Hans Weigel der
jungen Autorin zuteil werden lassen, den Kampf der pflichtbewußten aber widerwilligen Hausfrau um ihre Zeit zum Schreiben
und die Verletzungen, die die schleppende öffentliche Anerkennung ihrer literarischen Bemühungen verursacht haben muß.
Es entsteht das Bild einer konventionell wirkenden Frau, deren harmlos-freundliches Auftreten im Kontrast zu einer Frau steht,
die sowohl scharfsinnig und kritisch denkt, als auch große psychologische Scharfsicht besitzt. Im Gegensatz zu ihrer berühmten
Kollegin Ingeborg Bachmann wird Haushofer nie zu einer publikumswirksamen Autorin, sondern ist im Privatraum ihrer Küche mit
ihren Schreibanstrengungen beschäftigt. Am Ende ihres Lebens ist aus der lebhaften Person der frühen Jugend eine Frau geworden,
die kaum oder gar nicht über das spricht, was sie schmerzt oder bedrückt. Selbst als sie 1968 an Knochenkrebs erkrankt und
unter großen Schmerzen leidet, verschweigt sie dies gegenüber vielen Freunden und der Familie. Abgesehen von den vielen Details
zur Person Marlen Haushofers beschreibt Strigl auch, wie und wann die Autorin an der Literaturszene Österreichs teilnimmt,
wer sie in ihrer literarischen Arbeit fördert und unterstützt und wie sie sich gegenüber editorischen und verlagspolitischen
Forderungen zu behaupten versucht. Es entsteht, so scheint es zumindest, ein relativ vollständiges Bild von Haushofers Leben,
vollständig auf jeden Fall dann, wenn diese Biographie in Verbindung mit anderen literaturwissenschaftlichen Untersuchungen
zum Werk Haushofers gelesen wird.
Strigl schreibt, daß ihre Arbeit an der Biographie durch die Tatsache gekennzeichnet war, daß sie zwar wichtige Dokumente,
Briefe und Aufzeichnungen einsehen konnte, aber keinen unbeschränkten Zugang zum Nachlaß hatte. Angesichts dieser Situation
erwiesen sich insbesondere die frühen Fassungen der Texte »als Fundgruben für Biographisches. Angesichts der Materiallage
kam ich nicht umhin, Marlen Haushofers Texte daraufhin zu untersuchen, eine Zugangsweise, die die literarische Bedeutung natürlich
immer schmälert« (S. 11). Störend ist weniger die Tatsache, daß das biographische Interesse Fragen literarischer Qualität
ignoriert, als vielmehr die Instrumentalisierung von Literatur als Lebenskommentar. Auch wenn Strigl Haushofers Behauptungen,
alle von ihr erfundenen Figuren seien »abgespaltene Persönlichkeiten« ihrer selbst, und daß schriftstellerische Produktion
immer autobiographisch sei (S. 11f.), als Legitimation für ein solches Verfahren angibt, so scheint die biographische Verengung
der literarischen Texte doch fragwürdig; dies besonders, da Strigl teils eine eindimensionale Ineinssetzung von Person und
Autorin vornimmt – so vor allem im Kapitel über Haushofers Kindheit – andererseits aber in bezug auf »Die Mansarde« von »stilisierten
Selbstaussagen« spricht, die man nicht einfach als bare Münze nehmen kann (S. 126). Eine differenziertere Reflexion auf die
jeweilige Lesart des literarischen Materials hätte dieses epistemologische Problem wenn nicht gelöst, so zumindest gemildert.
Reflexionen dieser Art sind vor allem deswegen wichtig, da eine biographische Lesart der Texte von Autorinnen oft die Festlegung
der schreibenden Frau auf die Privatperson, die ihre Gefühle literarisiert, befördert. (Dieses Problem wird unter anderem
scharfsinnig in dem oben erwähnten Aufsatz von Elke Brüns behandelt.)
Alles in allem ist Strigls Biographie jedoch als aufmerksamer Versuch empfehlenswert, ein Bild von dem Leben einer Autorin
zu entwerfen, die keine großzügigen Spuren hinterlassen hat, zumindest was ihr ›Privatleben‹ betraf.
Susanne Baackmann
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