Entstehungskontext

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Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt zählt zu den kommerziell erfolgreichsten Büchern Peter Handkes. Es erschien am 5. März 1969 als Band 307 der edition suhrkamp und erlangte binnen kurzer Zeit Kultstatus. Handke versammelt darin 42 Texte unterschiedlichsten Zuschnitts – Gedichte, kurze Prosa, Readymades (objets trouvés) sowie Zeitungscollagen. Ihre Zuordnung zu einer Textsorte oder Gattung ist nicht ganz einfach. Manche Texte haben aufgrund der versähnlichen Zeilenbrechung Gedichtcharakter oder erinnern an konkrete Poesie, andere sind eher der experimentellen Prosa zuzurechnen. Handke selbst verwendete in einem Brief an seinen damaligen Lektor Urs Widmer den Begriff »Texte« und erklärte: »Wenn ich sage "Texte", meine ich das nicht in einem experimentellen Sinn, es ist eine Hilfsbezeichnung, die neutral ist. Den Ausdruck Gedichte würde ich vermeiden. Es sind Satzspiele oder was weiß ich was.« (Handke / Unseld 2012, S. 93 und 94) Im einleitenden Kommentar erläuterte Handke das poetologische Programm des Sammelbandes: »Die Texte dieses Buches haben in der Regel gemeinsam, daß sie ein grammatisches Modell benutzen und dieses mit Sätzen, die nach dem Modell formuliert sind, verwirklichen. Die Sätze sind jeweils Beispiele, Satzspiele.« Die Sätze sind »einzeln genommen, Beschreibungen«, machen durch die »Reihung jedoch das Modell« bzw. die »sprachliche Struktur« und damit die »Geschichte« der Sätze ersichtlich. »Ergebnis ist, daß die satzweise Beschreibung der Außenwelt sich zugleich als Beschreibung der Innenwelt, des Bewußtseins des Autors erweist, und umgekehrt und wieder umgekehrt.« (DIA 2) Die Texte machen deutlich, dass Welt- und Selbsterfahrung zuerst Spracherfahrung ist – dieser philosophische Grundgedanke verbindet die Texte des Sammelbandes mit Handkes Arbeiten der 1960er- und frühen 70er-Jahre wie den Sprechstücken (1966), Der Hausierer (1967), Kaspar (1968), Quodlibet (1969), Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970) oder Der Ritt über den Bodensee (1971). Durch Verfremdungen, die das Modell sichtbar machen, wird die Sprache und das damit verbundene Weltbild bewusst gemacht.

Idee zum Sammelband

Die Texte entstanden in den ersten drei Jahren nach der Annahme seines Romans Die Hornissen durch den Suhrkamp Verlag in Graz und Düsseldorf, parallel zu den Arbeiten an den bereits genannten ersten Romanen, Kurzprosatexten, Theaterstücken, Hörspielen und Aufsätzen. Das Wort Zeit sei allerdings der einzige Text aus dem Jahr 1965, meint Handke, alle anderen hätte er »1966 bis 1968 geschrieben, vor allem 67/68« (Handke / Unseld 2012, S. 94). Ein Großteil der Texte wurde in Zeitschriften wie Akzente, manuskripte, protokolle oder Die Zeit erstveröffentlicht oder in heute weniger bekannten Magazinen wie der streit-zeit-schrift, Es darf, Luchterhands Loseblatt-Lyrik oder Egoist abgedruckt; sie wurden für den Sammelband, wie ein Vergleich bestätigt, »durchwegs verändert und umgearbeitet« (Handke / Unseld 2012, S. 94). Die restlichen Texte dürfte Handke eigens für diesen Band geschrieben haben.

Wann Peter Handke den Entschluss fasste, die bereits erschienenen Texte zu überarbeiten, zu ergänzen und erneut in einem Sammelband zu publizieren, lässt sich aus den wenigen, in öffentlichen Archiven erhaltenen Werkmaterialien und Briefen – den Korrespondenzen mit Urs Widmer und Siegfried Unseld oder mit den beiden Autoren und Herausgebern Alfred Kolleritsch (manuskripte) und Otto Breicha (protokolle) – nicht eruieren. Der Titel Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt sei neben Handkes eigenen Verweisen auf Jean Paul, so vermutet etwa der Literaturwissenschaftler Manfred Mixner, vom Beatles-Song Everybody’s Got Something to Hide Except For Me and My Monkey inspiriert worden, in dem eine Songzeile lautet: "Your inside is out and your outside is in [/] Your outside is in and your inside is out [/] So come on come on [/] Come on is such a joy [/] Come on is such a joy"« (Mixner 1977, S. 77). Handke wünschte sich dieses Zitat zwar von Siegfried Unseld für die Werbung des Buches (Handke / Unseld 2012, S. 109), Inspiration zum Buch kann der Song aber nicht gewesen sein, da er erst im Mai 1968 entstanden ist. Auch wenn er bald in Bootleg-Versionen auftauchte, kam er doch erst im November 1968 auf Platte heraus. Handke erwähnte seinen Sammelbandtitel Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt jedoch bereits am 20. Mai 1968 einen Brief, in welchem er Unseld über seine laufenden Projekte informierte: »Im Herbst möchte ich ein Prosabuch anfangen, richtig spannend (na ja!), in klassischer ruhiger Prosa, wie Kleist oder Stifter. Zugleich möchte ich Herrn Widmer die Texte für einen Gedichtband in der Edition schicken, Herrn Busch [dem Leiter der Reihe edition suhrkamp]: "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt". Und allmählich habe ich auch Lust, wieder an ein Stück zu denken und es zu planen: über einen Theaterkiller, der Wirklichkeit heutzutage enttäuschend nachgebildet.« (Handke / Unseld 2012, S. 92ff.) Der »Gedichtband«, wie Handke ihn hier nennt, zeigt sich als eine Arbeit neben den zwei größeren Projekten – dem Prosatext Die Angst des Tormanns beim Elfmeter und dem Theaterstück Der Ritt über den Bodensee (mit seinen beiden Vorarbeiten Das Mündel will Vormund sein und Quodlibet). Der Band hat auch inhaltlich große Nähe diesen Werken, manche Texte oder Gedichte lesen sich wie Satzsammlungen zu diesen größeren Arbeiten, zum Beispiel Verwechslungen (DIA 65ff.) oder Reizwörter (DIA 87ff.); sie zeigen die Anwendung des Schemas auf unterschiedliche Textarten.

Ein in der Verlagskorrespondenz unter »Handke« abgelegtes Typoskript enthält den vom Autor getippten Vorschautext zum es-Band, der später im Buch auf der zweiten Seite als eine Art einleitender, einführender Kommentar abgedruckt wurde (siehe oben). Handke datierte ihn auf 26. April 1968 – zu diesem Zeitpunkt musste demnach nicht nur die Konzeption des Bands, sondern auch die Aufnahme in das nächste Verlagsprogramm fixiert gewesen sein. Rechnet man eine gewisse Vorlaufzeit hinzu, muss man die Idee zum Buch wohl zumindest auf Winter/Frühjahr 1968 datieren.

Satzvorlage

Urs Widmer bestätigte Handke am 20. Mai 1968 das Erscheinen der Texte als es-Band: »Nur damit es ganz klar ist: "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" ist jetzt definitiv als Band 307 für März 1969 eingesetzt. Das Manuskript sollte bis Ende Oktober da sein.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz) Widmers Brief macht deutlich, dass die Veröffentlichung des Buches nicht aufgrund eines dem Verlag übermittelten Typoskripts geplant wurde. Die Druckvorlage für die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt schickte Handke am 28. August 1968 an Widmer. Die Sendung enthielt ein Konvolut aus den zusammengestellten neuen und noch einmal überarbeiteten »alten« Texten und einen zweiseitigen Brief mit genauen Anweisungen für den Druck, in dem er aber auch erwähnt, dass er die Zeitungscollage Legenden in einer Zeitspanne von vier Monaten zusammengeklebt hat – das heißt, er musste sie spätestens Ende April begonnen haben (Handke / Unseld 2012, S. 93-95). Diese Collage muss deutlich größer als ein DIN-A4-Format gewesen sein, denn Handke schickte sie, wie aus dem Begleitbrief an Widmer hervorgeht, gesondert in einer Rolle; und sie dürfte bei der Erstellung der Druckfahnen Probleme bereitet haben, denn am 10. September 1968 schrieb Handke an Widmer: »Gerade heute früh habe ich einen Prospekt des Kiepenheuer & Witsch Verlages bekommen, in dem ein Abschnitt eines neuen Romans von Brinkmann abgedruckt war, mit Fotos dazu, die dazugehören. Darunter sah ich auch ein Foto, das eindeutig aus einer Zeitung genommen war. [/] Na jedenfalls, ich möchte nichts mehr sagen, ich möchte nur sehen, wie gut mans machen kann, wenn man zum Beispiel das Editionsbuch mit den Materialien zu Marat so ordentlich machen kann!« In einem Nachsatz merkte Handke an: »Wenn man mich durch einen Probedruck überzeugt hat, daß die Legenden ganz unbrauchbar sind, dann bin ich halt überzeugt.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz)

Widmer übermittelte Handke am Tag darauf, am 11. September 1968, den Vertrag für Die Innenwelt mit der Bitte um Unterschrift und Rücksendung. Am 12. September wurde im Verlag der Entschluss zur Herausgabe des Handke-Readers schriftlich fixiert, der Teile von Handkes Stücken, seiner Kurzprosa, Auszüge der Innenwelt und einige seiner Aufsätze enthalten sollte. Am 19. September 1968, einen Tag vor Handkes Abreise ins Burgenland, wo er Ende September zwei Wochen lang zusammen mit anderen Autoren und Künstlern im Atelierhaus Feri Zotters in Neumarkt wohnte und für seinen Roman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter recherchierte (Pichler 2002, S. 93; Handke / Unseld 2012, S. 97-98), berichtete er Urs Widmer, dass er das Typoskript eines neuen Stücks mit dem Titel Das Mündel will Vormund sein, das auch in den Reader aufgenommen werden sollte, an Karlheinz Braun, den Leiter des Suhrkamp Theaterverlags, geschickt habe. Nach seiner Rückkehr aus dem Burgenland schrieb Handke noch ein neues Hörspiel mit dem Titel Hörspiel Nr. 2 für den Reader, bevor er sich im Winter/Frühjahr 1969 an die Niederschrift von Die Angst des Tormanns machte. Die Arbeiten am Sammelband Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt dürften bei allen Aktivitäten im Hintergrund weitergelaufen sein.

Druckfahnen

Mit Jahreswechsel übersiedelte Peter Handke als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austausch-Dienstes (Pichler 2002, S. 89) zusammen mit seiner schwangeren Frau Libgart Schwarz (ihre gemeinsame Tochter wurde im April 1969 geboren) von der Gartenstraße 25 in Düsseldorf nach Berlin, in die Meinekestraße 6. Die Druckfahnen waren zu dieser Zeit bereits fertig, vielleicht sogar schon im zweiten Lauf, denn Handke berichtete Unseld am 4. Jänner 1969, dass er gerade »die letzten Korrekturen für das Buch "Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" an die Herstellungsabteilung« geschickt habe und zeigte sich erfreut über das Aussehen: »Ich bin sehr froh, daß der Verlag meinen Wünschen in bezug auf dieses Buch so entgegengekommen ist und möchte mich dafür pflichtschuldig bedanken. Ich bin, was die Arbeit des Verlags angeht, noch mit keinem Buch so zufrieden gewesen.« Aber auch ihm habe, trotz aller Unsicherheiten, besonders »diese strittige Collage« betreffend, bislang keine Arbeit »soviel Freude gemacht«. Die Bedeutung des Sammelbandes zeigt sich auch darin, dass Handke Unseld in dem Brief bittet, sich darum zu kümmern, dass die Collage »nicht in der Druckerei oder wo auch immer verloren geht. Wenn es Dir ein wenig Freude machen sollte, würde ich sie gern Dir überlassen.« (Handke / Unseld 2012, S. 100)

Erstausgabe

Unseld schickte Handke am 21. Februar 1969 das erste Exemplar des Buches mit den Zeilen: »Ich habe es jetzt in Ruhe gelesen, ich glaube, zum dritten Mal. Es wird mir eigentlich jedesmal wichtiger und schöner. Dir ist da ein ganz großes Buch gelungen. Ich bin ganz begeistert, wie Du hier mit den alten Inhalten spielst und wie hier wirkliche neue Literaturformen entstehen.« (Handke / Unseld 2012, S. 107) Handke bedankte sich zwei Tage später, am 23. Februar 1969, für den Brief und das Buch: »Ich habe am gleichen Tag in Bonn daraus gelesen, der Buchhändler dort hatte schon dreihundert vorweg gebundene Exemplare, er hat sie auch gleich alle bis auf ein paar Stück am selben Abend verkauft! Obwohl es doch ein wirklich schönes Buch ist, ist es auch noch billig, so daß vor allem die Studenten und Schüler, die ja vor allem meine Bücher kaufen, sich ziemlich darauf stürzen (sollten). In der Nacht habe ich mir noch im Hotel eine Stunde lang im Bett nur das Buch angeschaut, so kindisch das auch sein mag.« (Handke / Unseld 2012, S. 107-108) Handke äußerte in diesem Brief auch Befürchtungen, sein zur gleichen Zeit im Frankfurter Euphorion Verlag in einer kleinen Auflage von 1000 Exemplaren erschienener Band Deutsche Gedichte – eine »pure Nebenarbeit«, wie er Unseld gegenüber beteuerte, könne dem Verkauf der Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, die ihm »sehr wichtig« (Handke / Unseld 2012, S. 108) sei, schaden. Diese Befürchtung erwies sich jedoch als unbegründet – schon ein Monat später war die erste Auflage von 12.000 Stück vergriffen (Handke / Unseld 2012, S. 116). (kp)

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