Entstehungskontext

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Peter Handke lebte 1968 bereits seit zwei Jahren zusammen mit Libgart Schwarz in Düsseldorf, hielt sich aber auch in Frankfurt, Paris oder eben in Salzburg auf. Den dort lebenden Verleger und Gründer des Residenz Verlags, Wolfgang Schaffler, hatte er 1966 kennengelernt. Im Vorwort zu Der gewöhnliche Schrecken erinnert sich Peter Handke an das Zustandekommen des Sammelbandes: »Als ich im Sommer 1968 für einige Tage in Salzburg war, besuchte ich den Residenz Verlag. Unter anderem kam das Gespräch auf die klassischen Horror-Geschichten. [...] Darauf wurde ich gefragt, ob ich einigen Autoren schreiben wolle, damit wenigstens annähernd vielleicht so eine Ansammlung von Geschichten zusammenkäme. Ich sagte zu, und so ist dieses Buch entstanden.« (DSch 5)

Im Archiv des Residenz-Verlages (Literaturarchiv der Universität Salzburg) findet sich eine umfangreiche Korrespondenz zwischen Peter Handke und dem Verlag, aus der sich die Entstehungsgeschichte der Anthologie ziemlich genau rekonstruieren lässt. Bei den Briefen des Verlags, die großteils von der Lektorin Gundl Nagl (bzw. nach ihrer Hochzeit 1969 Hradil) und in geringerem Ausmaß vom Verlagsgründer und -leiter Wolfgang Schaffler stammen, handelt es sich um nicht gezeichnete Durchschläge, sodass es nicht in jedem Fall möglich ist, die Verfasserin bzw. den Verfasser (aus dem Kontext) zu ermitteln. In einem an Handkes Düsseldorfer Adresse adressierten Brief vom 20. August 1968 »freut« sich Wolfgang Schaffler, dass »Ihnen meine "Gruselgeschichtenanthologie"-Idee gefällt«, und »noch mehr, daß Sie diese Geschichten sogar herausgeben würden«. Einerseits überlässt er die Auswahl der einzuladenden AutorInnen Handke, andererseits hat auch Schaffler offenbar bei Autoren vorgefühlt, merkt er doch schon in diesem ersten Brief an, »Thomas Bernhard und Gerhard Amanshauser z.B. wären […] durchaus nicht abgeneigt«.

Auswahl der Autoren

In der Folge führt dann vor allem Gundl Nagl die Korrespondenz, auch Handkes Antwortbrief vom 30. August 1968 ist an sie gerichtet. Er wolle kein »Gruselkabinett«: »Mir wäre es viel mehr recht, Prosa zu kriegen, in denen der Horror das Modell oder die Methode ist, ganz übliche Vorgänge klarzumachen. Thomas Bernhard schreibt eh nur Horrorgeschichten. […] Viele sanfte Geschichten, die Romane von Robert Walser sind ja Horrorgeschichten. Also: der Horror nicht als Inhalt, sondern als Methode darüber zu schreiben, und zwar nicht stupid realistisch […], wie manche Hitchcockfilme. Wäre den Vorgängen in Prag mit dem Modell einer Horrorgeschichte beizukommen?« Und auch schon eine umfangreiche Liste möglicher BeiträgerInnen enthält Handkes erster Brief: H.C. Artmann, Thomas Bernhard, Peter O. Chotjewitz, Wolfgang Bauer, Peter Bichsel, Gregor Laschen, Wilhelm Hengstler, Gerhard Amanshauser (»den ich nicht kenne«), Dominik Steiger, Barbara Frischmuth, Oswald Wiener, Peter Pongratz, Günter Grass (»vielleicht ist er trotz seiner Klassik noch einmal für Ernsthaftes zu haben«), Ernst Augustin, Wolfgang Maier und Gundl Nagl selbst.

Vor seiner Abreise ins Burgenland (vgl. Entstehungskontext zu Die Angst des Tormanns beim Elfmeter) verschickt Handke offenbar erste Einladungsbriefe, Mitte Oktober kann er Nagl dann schon von ersten Zusagen berichten, unter anderem der von Thomas Bernhard; der Arbeitstitel lautet vorerst »Horror der Idylle«. Neben technischen Fragen (Verträge, Honorare, welche Beiträge liegen schon vor) kreist die Korrespondenz in der Folge vor allem um den Titel, mit dem Handke unzufrieden ist. Am 20. Dezember 1968, noch vor Handkes Übersiedlung nach Berlin Anfang 1969, berichtet er Gundl Nagl von einer weiteren möglichen Beiträgerin, die schließlich tatsächlich im Band vertreten sein sollte: »Eine junge Wienerin, die ich nicht persönlich kenne, Frl. Elfriede Jelinek, würde noch gern was schreiben. Sie schreibt gute Sachen (?) […] Horrorgeschichten von Frauen sind ja an sich interessanter.« Er selber werde »über einen Tantenbesuch in Ostberlin schreiben, bald«.

Titelfrage

Am 20. Jänner 1969 schickt Handke aus Berlin seinen Herausgeber- und seinen Autoren-Vertrag unterzeichnet an Renate Buchmann zurück und lässt ausrichten, dass seine »Geschichte für die Anthologie« schon geschrieben sei, »11-12 Druckseiten mit einem Foto«. Mitte Februar fragt Gundl Hradil wegen des Titels nach (dann könne Walter Pichler Umschlagentwürfe machen), worauf Handke als »mögliche[n] Titel: / "Frankensteins Monster schläft unter dem Farnkraut". / (Das ist aus einem Gedicht von mir)« nennt. Auf eine gewisse Skepsis Hradils hin nennt er ihr am 5. März 1969 (neben der Mitteilung, dass er »heute« Jandls Geschichte bekommen habe: »Ein sehr schöner Text.«) andere Titelvorschläge: »Die weiß-blau karierten Tischtücher«, »Der falsche Handschuh an der falschen Hand«, »Der Erstickte unter dem Stroh«. Am 14. März schreibt er Wolfgang Schaffler, er hätte bisher neun Manuskripte, bittet um Überweisung des ersten Honorarteils an Maria Handke und macht neue Titelvorschläge: »Der gewöhnliche Horror« oder »Der tägliche Horror«. Schaffler gefallen beide. Es treffen weitere Beiträge ein, Anfang April auch »Midland in Stilfs« von Thomas Bernhard.

In Schwebe bleibt dagegen noch einige Zeit die Titelfrage, auch noch nachdem Handke in einem Brief vom 28. April meint, den »zutreffende[n] Titel« gefunden zu haben: »Der gewöhnliche Schrecken«. Anfang Mai trifft die Geschichte von Elfriede Jelinek ein – Handke findet sie »sehr poetisch«. Auch beschäftigt er sich mit der Reihenfolge der Beiträge und legt sich in einem Brief vom 4. Juni 1969 an Gundl Hradil auf den Titel »Der gewöhnliche Schrecken« fest: »man kann mir nicht ausreden, daß das ein Titel ist, der die Geschichten ungleich besser und genauer beschreiben kann. Es läge mir sehr viel daran!!!!« So wird der Titel geändert, und Handke gehen im Verlauf des Juni die Fahnen zu. Schließlich schickt er auch noch ein Vorwort: »Und so habe ich wohl mein Soll an diesem Buch, das ich, was auch immer kommen mag, für schön und vor allem für wichtig halte, ganz erfüllt. Jetzt liegts am Verlag.«

Produktion

Im August bekommt Peter Handke noch die Umbruchabzüge zugesandt; und am 4. September 1969 kann ihm Gundl Hradil die Belegexemplare nach Berlin schicken. Am 11. November wird das Buch in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur präsentiert, Friederike Mayröcker, H.C. Artmann und Gert Jonke lesen aus ihren Beiträgen. Wolfgang Schaffler kann Peter Handke schließlich in einem Brief vom 18. November 1969 berichten, dass »das Buch doch sehr gut verkauft wird«. (Martin Huber)

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