Entstehungskontext

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Peter Handke hat das kleine Theaterstück Pourquoi la Cuisine? / Warum eine Küche? für seinen Freund, den bosno-serbischen Regisseur Mladen Materić, und dessen Schauspiel La Cuisine geschrieben, das am 5. Juni 2001 vom Ensemble Théâtre Tattoo am Théâtre Garonne in Toulouse uraufgeführt wurde. Die genauen Umstände des Auftrags sind unbekannt. Materić erzählt in einem Interview aus dem Pressedossier des Festival d'Automne à Paris, bei dem das Stück im Oktober 2001 gespielt wurde, über seine Zusammenarbeit mit Handke. Ihn habe die Möglichkeit, mit Handke Ideen auszutauschen und sie auszuprobieren, zu dieser Zusammenarbeit bewogen. Handke habe ihn zu den von ihm verdrängten Räumen vergangener Schauspiele zurückgebracht, und auf eine besondere Weise war er es, der auf die Küche oder »in die Küche« gekommen sei. Materić berichtet in dem Interview weiters, dass er mit Handke viel über die Form und Zusammenstellung der fragmentarischen Texte diskutiert hat. Gerade vor den konkreten Arbeiten am Schauspiel hätten sie lange darüber gesprochen, ihre Standpunkte verglichen und ihre Meinungen diskutiert. Auch wenn es ganz klar ist, dass die Autorschaft des Textes Handke zugerechnet werden müsse und die szenische Gestaltung bzw. Umsetzung auf ihn zurückgehe, seien die Szenen bei den Proben ebenso von ihren vorangehenden Gesprächen wie durch Handkes Texte initiiert worden. Letzten Endes habe das Schauspiel dieser langen Vorbereitungszeit, die durch ihren Austausch genährt wurde, viel zu verdanken. Auf der einen Seite hätten sie sich in zahlreichen Gemeinsamkeiten wie etwa in einer bestimmten Art des Wahrnehmens der Dinge wiedergefunden. Aber es gab auch Divergenzen, die, wie Materić meinte, die dem Spiel nützten, ihre unterschiedlichen Sichtweisen hätten das Spiel bereichert (Pressedossier des Festival d’Automne à Paris 2001, S. 31).

Erste Textfassung

Die erste Textfassung des Stücks, ein auf Französisch geschriebenes Manuskript mit einem Umfang von 14 Blatt, entstand zwischen 5. und 11. Dezember 2000; es wird als Kopie im Bestand des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Die Übersetzung ins Deutsche dürfte Handke schon unmittelbar im Anschluss – Ende Dezember 2000/Anfang Jänner 2001 – vorgenommen haben. Das Bleistiftmanuskript der deutschen Erstfassung des Stückes konnte bislang noch nicht gesichtet werden; es wird über ein österreichisches Antiquariat zum Verkauf angeboten (Stand September 2014). Das Stück besteht aus acht Sequenzen – Liedern, Litaneien, Erzählungen, auch Erinnerungen zum Thema Küche. »Die Küche war voll von Ameisen, [/] der Herd war das Zentrum des Winters, [/] der Wasserhahn leuchtete gleich einem Kelch, [/] der Lehmboden war gefleckt vom Blut der [/] Hühner, der Schweine und meiner kleinen Finger, [/] und das ganze kalte Haus war warm wie ein Maiskolben auf der Herdplatte, [/] als ich jung war.« (WK 14), lautet zum Beispiel ein Absatz des ersten Abschnitts. Handke erzählt dabei immer wieder von autobiografischen Erlebnissen, die auch in anderen Texten vorkommen, wie etwa von den Tablettenschachteln in der Küche am Tag nach dem Tod der Mutter (WK 18) – von ihrem Suizid handelt auch Wunschloses Unglück (1972) –, oder von der Nachricht über den Tod ihres Sohnes, die er Großvater der Großmutter in der Küche überbracht hat (WK 19) – eine Szene, die Handke auch in Immer noch Sturm (2010) vorkommen lässt.

Buchveröffentlichung und Aufführung

Für die Buchveröffentlichungen im Pariser Verlag Gallimard (2001) und in einer zweisprachigen Ausgabe im österreichischen Verlag Edition Korrespondenzen (2003) ergänzte Handke den Text um zwei weitere Teile, die eine erste, aus »Bruchstücken« zusammengestückelte Annäherung an das Thema Küche und eine »Entwicklung und Verwicklung des "Themas"« darstellen. »Ich habe die Küche immer gemieden. – Warum eine Küche?«, fragt Handke darin. »– Aber warum träumt der Inszenator von einer Küche, die nirgends ihren Ort hat – weder in einem Palast, noch in einer Villa, noch in einem Bauernhof – oder, im Gegenteil, überall? – Warum, wenn ich mir schon eine Küche vorstellen soll, nicht eine Wander-Küche, die Küche einer Armee auf der Flucht? Ich ziehe Aktionen im Freien vor, epische Szenen, den Wind, der über die Bühne geht!« (WK 11ff.) Die französische Uraufführung fand in der deutschsprachigen Presse kaum Beachtung, ebenso die ab Oktober gestartete Frankreichtournee oder die Aufführung bei den Wiener Festwochen (Mai 2002). Die deutsche Erstaufführung fand in der Regie und Choreografie von Pavel Mikuláštik am 5. Oktober 2002 am Choreographischen Theater Bonn statt. (kp)

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