Entstehungskontext

Druckversion

Die Unvernünftigen sterben aus ist nach Der Ritt über den Bodensee von 1970 Peter Handkes neunte Bühnenarbeit, von der er in einem Gespräch mit Thomas Oberender meinte, es sei »im Grunde [s]ein einziges konventionelles Theaterstück« (Oberender 2012, S. 15). Formal scheint Handke mit dem Stück tatsächlich von seinen experimentell-konstruktivistischen Arbeiten »zu traditionelleren Formen des illusionistischen Theaters (Gesellschaftskomödie, Konversationsstück) zurückzukehren«, bemerkte Rolf Michaelis nach der Uraufführung in Die Zeit. Bei genauerer Betrachtung jedoch bestehe seine Tragikomödie aber wieder nicht aus Dialogen, sondern zeige sich als langer »Monolog«, in dem »ein Ich sich selbst befragt, sein Leiden an sich und der Welt ausspricht« (Michaelis 1974).

Inhalt

Das Stück besteht aus zwei ineinander verflochtenen Handlungssträngen: Der Unternehmer Quitt trifft sich mit seinen befreundeten Konkurrenten und vereinbart einen Kartellzusammenschluss, hält sich aber nicht an die Abmachungen und ruiniert damit die anderen Unternehmer. Zugleich versucht Quitt »sein individuelles Ich gegen alle Rollenansprüche durchzusetzen« (Nägele / Voris 1978, S. 92), scheitert jedoch daran, da individuelles und berufliches Handeln nicht zu trennen sind und sich seine Individualität sogar »geschäftsfördernd« auswirkt. Am Ende rennt er in seiner Verzweiflung so lange mit dem Kopf an einen Felsblock, bis er tot umfällt. »Der Quitt versucht auf eine präzise Weise unvernünftig zu sein, indem er beispielsweise den winzigen Rucken im Bewußtsein nachgibt. Und weil er sich am Ende zugrunderichtet, habe ich dem Stück diesen Titel gegeben«, erklärte Handke in einem Interview mit Christian Schultz-Gerstein vom April 1974 zum Titel seines Stücks. (Schultz-Gerstein 1974)

In seiner Thematisierung von Ökonomie und Gesellschaft bzw. der Problematik der Hauptfigur, eines sensiblen Unternehmers, knüpft Handke an Bertolt Brechts Stücke Die heilige Johanna der Schlachthöfe und Herr Puntila und sein Knecht Matti oder an Carl Sternheims Snob oder 1913 (vgl. Michaelis 1974) an. Im Gespräch mit Thomas Oberender nennt Handke diese beiden Bühnenautoren auch als Vorbilder für sein Stück, das »ohne Brecht und Sternheim sicher nicht möglich gewesen [wäre]. Aber natürlich ist es auch von mir. Ich wollte die nicht nachahmen. Den Ablauf wusste ich nicht.« (Oberender 2012, S. 15) Bei Handke stehen aber nicht Kritik am kapitalistischen System und Parodie im Vordergrund, sondern es geht um die Fragen, wie man leben soll, welchen Sinn das Leben hat oder wie sich das Politische und das Poetische miteinander vereinen lassen. Begriffe, die immer wieder vorkommen, sind: Einsamkeit, Angst, Ekel, Sinnlosigkeit und Glück. Diese Themen und Begriffe bestimmen auch Handkes im zeitlichen Kontext von Die Unvernünftigen sterben aus entstandene Werke – die Gedichte, Reden, Essays im Sammelband Als das Wünschen noch geholfen hat, die Filmerzählung Falsche Bewegung oder die Erzählung Die Stunde der wahren Empfindung.

Projektidee

Ab wann Peter Handke die Idee zu dem Stück hatte, lässt sich anhand der erhaltenen Materialien und Selbstzeugnisse in Interviews nur mehr schwer herausfinden. Im Jänner 1971 war er von Paris nach Düsseldorf zurückgekehrt und suchte schon bald zusammen mit seiner Frau Libgart Schwarz einen neuen, für ihre zweijährige Tochter Amina geeigneteren Wohnort. Der Ritt über den Bodensee war gerade erst Ende Jänner in Berlin uraufgeführt worden, als Handke seinem Verleger Siegfried Unseld bei einem Treffen am 8. Februar 1971 in Düsseldorf mitteilte, er wolle »vorläufig nichts mehr für das Theater schreiben«. Unseld fügte dieser Gesprächsnotiz in seinem Reisebericht hinzu: »aber das kann sich bei Handke ja von einer Woche zur anderen ändern«. Handke plante, wie sich Unseld ebenfalls notierte, nachdem er einen »neuen Wohnsitz gefunden hat«, mit dem Roman Der kurze Brief zum langen Abschied zu beginnen und bis Mai 1972 damit fertig zu sein (Handke / Unseld 2012, S. 189). Der Umzug verzögerte sich allerdings, sodass er erst im November 1971 mit seiner Familie in das neue Eigentumshaus in Kronberg im Taunus einziehen konnte, wo er bis Dezember 1973 wohnte. In Kronberg entstand auch das Stück Die Unvernünftigen sterben aus.

Die Idee zum Stück dürfte er in der Übergangszeit zwischen Düsseldorf und Kronberg entwickelt haben, wo er bei Freunden in Köln gewohnt und auch den Kurzen Brief geschrieben hat, der schon bald nach dem Einzug ins Kronberger Haus im Frühjahr 1972 erschien. Vielleicht entstand die Stückidee aber auch schon im November 1970 während der Dreharbeiten an dem thematisch verwandten Film Chronik der laufenden Ereignisse. Im Interview mit Christian Schultz-Gerstein nennt Handke zwei Beweggründe für das Stück: »Ich war in Köln am Rudolfplatz und habe oben auf den Dächern der Bürohäuser die Reklamen gesehen. Am gleichen Morgen hatte ich etwas von Absprachen über Schuhpreise gelesen. Und da kam plötzlich dieser fremde Moment. Ich dachte, daß Unternehmer die Gefühle, die in Shakespeareschen Königsdramen auf Menschen bezogen waren – Verrat und Liebe und Treue und Haß –, daß bei ihnen diese Gefühle nicht mehr auf abendländische Begriffe, sondern auf technokratische Kartellabsprachen bezogen sind.« Einen weiteren Anstoß zum Stück gab ihm, wie er Schultz-Gerstein erzählte, ein Erlebnis in der Bahn: »Mir saß in der Bahn eine Frau gegenüber. Ich schaute sie an, sie schaute mich an. Es war ein schöner Blick, und ich dachte, sie sei neugierig. Aber plötzlich streckte sie mir mit dem äußersten Ekel gräßlich die Zunge heraus. Und mir geht es oft so ähnlich. Es gibt so kleine Minimalaktionen im Vorbewußtsein, wo man erschrickt, daß die einem plötzlich herausrutschen könnten. […] Man sieht etwas, das man immer übergeht; diese verschwiegenen Vorbewußtseinszustände, die drängen zur Sprache. Und von diesen beiden Wahrnehmungspositionen aus habe ich dann mich selber und die Figuren in dem Stück angeschaut.« (Schultz-Gerstein 1974)

Erste Erwähnungen des Theaterprojekts

Schon bald nach dem Umzug in das Kronberger Haus erhielt Handke die Nachricht vom Freitod der Mutter. In der im Jänner / Februar 1972 über seine Mutter geschriebenen Erzählung Wunschloses Unglück heißt es am Schluss: »Manchmal bin ich freilich während der Arbeit an der Geschichte all der Offenheit und Ehrlichkeit überdrüssig gewesen und habe mich danach gesehnt, bald wieder etwas zu schreiben, wobei ich auch ein bißchen lügen und mich verstellen könnte, zum Beispiel ein Theaterstück.« (WU 94) Handke hatte das Stück demnach beim Schreiben der Erzählung im Winter 1972 bereits in Planung. Kurz nach Erscheinen von Wunschloses Unglück im Herbst 1972 erwähnte er in einem Gespräch mit Andreas Müller, das zusammengefasst am 16. Oktober 1972 in der Münchner Abendzeitung erschien, tatsächlich konkrete Theaterpläne: »Inzwischen hat sich die Mutter das Leben genommen. Handke hat darüber ein Buch geschrieben, "Wunschloses Unglück", in dem er nicht lügen konnte, weil die Wahrheit zu stark war. Jetzt will er wieder "ein bißchen lügen" und ein Theaterstück schreiben: "Die Unvernünftigen sterben aus", ein Stück, zu dem er sich nicht wie sonst Notizen gemacht hat, "etwas Menschlicheres, noch so sehr Behauptendes, wahrscheinlich gefühlvoller, unvermittelter" als die bisherigen Stücke. "Ein letzter Versuch, auf dem Theater was Genaueres, Schöneres zu erreichen, aus einigem Trotz heraus. Ein Stück, das nicht aus vielen kleinen Beobachtungen, sondern einer großen Geste besteht, geschrieben aus einem großen Überschwang, damit es nicht in lauter Einzelheiten auflösbar ist."« (Müller 1972)

Die Pläne bzw. die Konstruktion des Stücks musste zu diesem Zeitpunkt bereits weit fortgeschritten sein. Ein Monat später, am 10. November 1972, berichtete Handke in einem im Österreichischen Rundfunk gesendeten Gespräch mit Adalbert Krause noch einmal von seinen Schreibplänen und -projekten. Auf die Frage, woran er gerade arbeite, antwortete er: »ich hab ganz konkret vor, ein Stück zu schreiben, jetzt im nächsten Monat damit anzufangen, ein Stück, in dem es wieder so eine märchenhafte Geschichte gibt und nicht nur Bekenntnisse, wie in den letzten zwei Büchern, also eine Fortsetzung des Ritts über den Bodensee, nur konkreter in einem bestimmteren Milieu angesiedelt. Es wird heißen Die Unvernünftigen sterben aus und handelt von einem Unternehmer, der wirklich ein guter Mensch sein will und wie das dann wird, wie katastrophal sich das dann auswirkt.« (Krause 1972)

Notizen

Dass Handke, wie er gegenüber Andreas Müller erwähnte, keine Notizen zum Stück gemacht hat, deckt sich nicht mit den vorhandenen Quellen. In der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek befindet sich ein Notizbuch mit dem Projekttitel "Die Unvernünftigen sterben aus", in welchem er vermutlich von Dezember 1972 bis zum Schreibbeginn Ende Februar 1973 Notizen und Sätze zum Stück sammelte. Die Einträge zeigen, dass er sich bei seinen vorbereitenden Recherchen mit anderen Theaterautoren (Brecht und Sternheim) und mit wirtschaftlichen Themen und Ökonomen (Schumpeter) beschäftigt hat. Das Notizbuch enthält etliche Zitate aus Zeitungen oder anderen Medien zu wirtschaftlichen Themen.

Erste Textfassung

Die erste Textfassung von Die Unvernünftigen sterben aus, ein 35 Blatt umfassendes Typoskript, entstand zwischen dem 28. Februar und 22. April 1973 (ÖLA SPH/ LW/W45). Es enthält noch etliche Textergänzungen und Korrekturen, sodass Handke vermutlich im Anschluss eine überarbeitete zweite Textfassung als Reinschrift und Satzvorlage für das Bühnenbuch und die Erstausgabe hergestellt hat. Eine solche konnte aber bisher nicht gefunden werden. Die Herstellung der Bühnenbücher für Die Unvernünftigen sterben aus und die damit verbundene Vermittlung des Stücks an die Theaterhäuser übernahm der Verlag der Autoren in Frankfurt, der seit Ende 1969 die Aufführungs- und Verwertungsrechte für Handkes Theater-, Hörspiel- und Filmarbeiten vertrat. (Es ist das letzte Stück Handkes im Verlag der Autoren; das erst acht Jahre später geschriebene Stück Über die Dörfer wurde wieder vom Suhrkamp Theaterverlag vertrieben.) Die Druckrechte von Handkes Theatertexten lagen weiterhin bei Suhrkamp, wo auch die Erstausgabe erschien. Die Lektoratsarbeit zu den Unvernünftigen lief in dieser Verlagsdoppelung einerseits über Karlheinz Braun vom Verlag der Autoren, andererseits über Siegfried Unseld und den Lektor Thomas Beckermann vom Suhrkamp Verlag.

Das Typoskript von Die Unvernünftigen sterben aus (in der ersten oder zweiten Textfassung) muss Handke bereits Anfang Mai 1973 an die Verlage geschickt haben, allerdings findet man in der Korrespondenz weder Hinweise zur Versendung noch zum Erhalt des Typoskripts. Vielleicht übergab Handke das fertige Stück auch persönlich, da er ja zu dieser Zeit in der Nähe seiner beiden in Frankfurt angesiedelten Verlage wohnte. Im Mai musste es jedenfalls dem Verlag der Autoren vorgelegen haben, denn Handke erhielt am 23. Mai 1973 den »Autorenvertrag« für das Stück (UAF, Bestand Verlag der Autoren).

Erstdruck

Etwa zur gleichen Zeit dürfte Handke das Stück auch seinem Freund Alfred Kolleritsch für den Abdruck in der Literaturzeitschrift manuskripte geschickt haben. In welcher Fassung Kolleritsch es erhielt und ob er das ganze Stück oder nur einen Auszug zu lesen bekam, lässt sich nicht mehr feststellen. Scheinbar schickte ihm Handke zuerst nur den halben Stücktext, denn er antwortete auf einen (nicht erhalten gebliebenen) Brief seines Freundes: »Dein Brief las sich beleidigt. Ich entnahm daraus auch, daß Du das Stück so zur Hälfte nicht so gern möchtest. Trotzdem schicke ich es Dir so. Natürlich war es meine Idee, Dir das Stück ganz zu geben. Aber ich sagte gleich dazu, daß gerade diesmal, da er doch nicht die Aufführungsrechte hat, Unseld besonders berücksichtigt und gefragt werden müßte. Man könnte den 2. Teil ja im nächsten Heft drucken, vorausgesetzt natürlich … Wenn Du aber nichts drucken willst, ist es mir auch recht.« (Handke / Kolleritsch 2008, S. 61) Das Stück erschien als Erstdruck schließlich 1973 in den manuskripten in zwei Teilen – in Heft 39 (S. 5-16) und Heft 40 (S. 5-15).

Bühnenbuch und Aufführungen

Im Bestand des Verlags der Autoren befindet sich ein von dem Theaterwissenschaftler und Regisseur Ingo Waszerka vermutlich für den Verlag erstelltes Gutachten vom 19. Juni 1973, in welchem er das Stück beschreibt und bewertet: »Nicht ganz so schlecht wie der letzte Dürrenmatt. Bildreicher, sensibler, eine schönere Prosa. Dafür ähnliche Macken: Sprechblasen-Pappkameraden, welche Maximen und Reflexionen von sich geben; Unternehmerwelt in Klischees (Klischee eines bürgerlichen Intellektuellen); dramaturgischer Konstruktivismus (keine Situation oder ausgedachte), kein Fleisch, kein Leben, Langeweile (außerdem: die meisten Sprüche kennen wir). Mißlungene Vermischung von privater Empfindungswelt und wirtschaftlichen Vorgängen.« Und »Handke als Unternehmer, seine Sensibilität in die Eingeweide des Unternehmers gedacht. Nicht Analyse, sondern Denkspiel. Guter Hörspieltext (bis auf den Anfang, der vom Einfall her, wie auch als Text schwach ist).« Am Schluss gibt Waszerka als »Empfehlung: Nicht machen. Es sei, ein Regisseur hat das Gefühl, er kann damit Bäume ausreissen.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren)

Das vernichtende Gutachten hat dem Stück dennoch nicht geschadet: am 21. August 1973 übermittelte der Verlag der Autoren Peter Handke die Nachricht: »Eben hat das Neumarkttheater angerufen, wir machen den Vertrag für die UNVERNÜNFTIGEN. Premiere ist am 17. April. Regie Horst Zankl, das weißt Du. Die Besetzung ist noch nicht fest.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren) Ein weiteres Monat später stand schon ein erster Aufführungsplan für die Spielzeit 1974 fest, in welchem das Stück an dreizehn Bühnen gespielt werden sollte. (UAF, Bestand Verlag der Autoren)

Erstausgabe

Am 23. Juli 1973 schickte Handke Unseld aus Venedig, wo er zwei Tage zuvor am Filmdrehbuch für Falsche Bewegung zu arbeiten begonnen hatte, den für die Erstausgabe von Die Unvernünftigen sterben aus noch einmal korrigierten Text (vermutlich das Bühnenskript oder die Druckfahnen): »endlich habe ich den Text zu "Die Unvernünftigen sterben aus" fertig korrigiert. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. [...] Hier arbeite ich jetzt täglich an dem Filmdrehbuch, ganz frei nach "W. Meister", und komme irgendwie voran, obwohl die Anfangsschwierigkeiten wie immer scheußlich sind.« (Handke / Unseld 2012, S. 233) Eine Woche später, am 31. Juli 1973, sandte ihm Helene Ritzerfeld, die damalige Leiterin der Abteilung Rechte und Lizenzen im Suhrkamp Verlag, den Vertrag für sein »neues Stück« zu, das »für die "suhrkamp taschenbücher" vorgesehen« sei (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz). Am 4. August besuchte Unseld Handke in Venedig bei seiner Arbeit am Filmdrehbuch und vermerkte im Reisebericht: »Gespräch mit Peter Handke. Vorbereitung des "st"-Bandes "Die Unvernünftigen sterben aus". Präsentation des Bandes. Anzeigen aus Anlaß der Büchnerpreisverleihung.« (Handke / Unseld 2012, S. 233) Das Stück erschien am 25. September 1973 als Band 168 der suhrkamp taschenbücher (Handke / Unseld 2012, S. 233).

Der Georg-Büchner-Preis wurde Handke am 21. Oktober 1973 übergeben. Im Dezember 1973 zog er mit seiner Tochter Amina nach Paris und schrieb Unseld am 31. Jänner 1974 in einem Brief, dass er ein Gedicht mit dem Titel Die Sinnlosigkeit und das Glück geschrieben habe und einen Sammelband mit weiteren Texten und Gedichten plane (es handelte sich um Als das Wünschen noch geholfen hat). »Darauf möchte ich noch ein paar Aenderungen an "Die Unvernünftigen sterben aus" schreiben – und dann fängt die Arbeit an mit "Die Stunde der wahren Empfindung".« (Handke / Unseld 2012, S. 242)

Korrekturen Februar 1974

Das Stück beschäftigte Peter Handke auch noch nach Erscheinen der Erstausgabe weiter. Am 6. Februar 1974 kündigte er Karlheinz Braun einige »Ergänzungen und Streichungen« an und bat ihn, den Theatern, die bereits mit den Proben begonnen hatten, mitzuteilen, »dass noch kleine, meist satzweise Änderungen zu erwarten sind. Die einzelnen Änderungen werde ich Dir in spätestens drei Tagen schicken.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren) Am 11. Februar 1974 folgten dann die angekündigten Änderungswünsche – ein sechsseitiges Typoskript mit dem Zusatz: »Ich möchte mich auf dich verlassen, dass alle aufführenden Theater sie zu Gesicht kriegen. Bitte schick eine Kopie an Roloff [Michael Roloff, Handkes amerikanischer Übersetzer] und eventuelle andere Übersetzer. Ich würde die Änderungen im grossen und ganzen als verbindlich bezeichnenl.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren) Braun bedankte sich am nächsten Tag für die Änderungen und versicherte: »Wir werden sie schnell vervielfältigen und allen Theatern zuschicken, die das Stück proben.« Er werde auch Suhrkamp unterrichten, »damit die Änderungen in einer Neuauflage des Buches berücksichtigt werden«. Weiters berichtete er Handke, dass die USA starkes Interesse an dem Stück ankündige, eine amerikanische Produzentin wolle es machen (UAF, Bestand Verlag der Autoren). Am 13. Februar 1974 folgten dann noch einmal kleine Änderungen von Handke: »jetzt habe ich doch  n o c h  einige Kleinigkeiten vergessen. Dann ist aber Ende – auch wenn ich es nicht ganz versprechen kann: es ist halt so, dass das Stück mich notgedrungen wieder beschäftigt hat.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren).

Nach einer Konzeptionsbesprechung mit dem Regisseur Günther Büch im Verlag der Autoren, die Handke im Vorfeld skeptisch beurteilte (Brief an Braun vom 17. Februar 1974), berichtete ihm Braun in einem undatierten Schreiben von dem Treffen. Sie hätten mit Büch und seinem Team das Stück gemeinsam gelesen und durchbesprochen. »[I]ch habe Vieles anders gelesen, Vieles erst gefunden, was ich vorher überlesen oder nicht so gelesen hatte. Und es ist so vertraut, als hätte ich es schon ein Dutzendmal auf der Bühne gesehen. Merkwürdig. [/] Die Änderungen sind alle vorzüglich, bis auf den Strich auf Seite 88 (Lichtveränderung, Wolkenschatten, Zikaden, wolliger Baumsamen). Dar[u]m trauere ich, das solltest Du doch alles lassen. Meine ich. [/] Natürlich machen der Teppich und die Schlangen am Schluß Kopfzerbrechen. Wie soll man das nur machen? Kann man da richtige Schlangen nehmen? Schwierig.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren)

Schlangen auf der Bühne

Nachdem Horst Zankl die Korrekturen erhalten hatte, schrieb er Handke am 14. März 1974 einen Brief mit Fragen zu zehn unklaren Stellen: ob man im Augenblick des Erwachens erzählen kann, ob Quitt willentlich gegen den Sandsack läuft, wer Schumpeter ist, ob der Eisblock dort stehen muss, wo die Sitzgruppe stand, wie der Zusammenhang von Sätzen am Felsblock und Kinderzeichnungen ist oder wann Paula den Schleier vom Gesicht nimmt. Handke schickte Zankl am selben Tag schriftlich Erklärungen und fügte eine neue Schlussvariante hinzu, die das Problem mit den echten Schlangen auf der Bühne entschärfen sollte. »Ja, mit den Schlangen habe ich, seit ich sie beschrieben habe, selber Schwierigkeiten. Ich war nur einmal vor langer Zeit im Theater und war sehr müde und alles auf der Bühne erschien mir sehr gegenstandslos. Da hatte ich so eine Art Halbschlafbild, dass auf der Bühne Schlangen herumkriechen, und diese Vorstellung oder dieses Gefühl hat mir einen unvergesslichen Theaterabend verschafft. Ich denke aber an eure kleine Bühne – und dass da Schlangen, vor allem reale, doch ein bisschen was Seltsames wären. Nun, natürlich habe ich mir in dem Jahr, seit ich das Stück geschrieben habe, den Kopf zerbrochen, was man anderes tun könnte. Ich habe mich halt verbohrt in die Schlangen. Sie sind gewagt und vielleicht lächerlich, sicher pathetisch.« Handke lässt in seinen Antworten aber viel offen und rät Zankl: »Sei nicht zu gehorsam dem Text gegenüber – auch wenn Ihr jetzt die erste Aufführung macht.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren; auch abgedruckt im Programmheft der Uraufführung: Handke 1972)

Vom neuen Schluss, den er Zankl geschickt hatte, unterrichtete Handke am 14. März 1974 auch Karlheinz Braun: »Zankl schrieb mir gerade einen Brief mit einigen Fragen und Problemen, die eigentlich, bis auf eins, keine waren. Ich habe ihm im Brief Vorschläge gemacht, leider keine Durchschrift von dem Brief. Er soll Dir bitte eine Kopie des Briefes schicken. Es handelt sich vor allem um einen Änderungsvorschlag für den Schluss. Wenn Quitt daran ist, gegen den Felsen zu rennen, erklingt eine heitere Klaviermusik, und, vielleicht noch während er rennt, tanzen, ohne ihn zu beachten, im Hintergrund Quitts Frau und Hans vorbei. Quitt bleibt liegen, die beiden tanzen weg ... Vorhang bei heiterer Musik. Das, einmal als Vorschlag, könnte man zu Erleichterung den anderen Theatern bekanntgeben. Die Schlangen gibt es dann nicht mehr.«  (UAF, Bestand Verlag der Autoren)

Neuauflage

Am 7. März 1974, eine Woche vor dem Briefwechsel mit Zankl, informierte Handke Unselds Sekretärin Burgel Zeeh über die Korrekturen: »Für die nächste Auflage wäre es wichtig, zu beachten, dass ich mehrere Korrekturen gemacht habe! Der Verlag der Autoren wollte sie an den Suhrkamp Verlag schicken.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz) Am 22. März 1974 schrieb Thomas Beckermann an Handke: »Wenn es auch ein wenig langwierig war: die Korrekturen zu Deinem neuen Stück habe ich gern übertragen«. Er fragt noch drei kleinere Dinge nach und schreibt weiter: »Ich finde, wir sollten die korrigierte Fassung zumindest auf dem Titelblatt kenntlich machen, z.B. durch den Zusatz: Version 1974.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz) Im gleichen Brief bestätigte Beckermann, die Satzvorlage für Als das Wünschen noch geholfen hat in die Herstellung gegeben zu haben und fragt ihn, wie er mit seiner Erzählung – Die Stunde der wahren Empfindung – vorankommt. Handke beantwortete fünf Tage später, am 27. März 1974, seine Fragen und meint: »Vielleicht kann man auf die linke Seite, gegenüber dem Titel setzen: korrigierte Fassung Februar 1974. Aber nicht so groß.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz) Am 1. April 1974 schließlich schickte Beckermann Handke sein »hoffentlich sorgfältig geklebtes Exemplar« und bat ihn: »Schau doch bitte nach, ob alle Korrekturen übertragen wurden und ob dies richtig geschah. [/] Ist alles berücksichtigt? Karlheinz Braun erzählte mir, daß Du ihm verschiedene Varianten für den Schluß zugeschickt hast. Sollen wir die aufnehmen? Und wenn ja, wie? Als Anhang? Als Fußnote? etc.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz) Der Schluss ohne Schlangen galt nur für die Theater und wurde nicht in die gedruckte Fassung übernommen. Der neue Text von Die Unvernünftigen sterben aus erschien (mit dem alten Schluss) noch vor der für Herbst 1974 angesetzten Neuauflage im Juli 1974 in der Zeitschrift Theater heute (S. 34-46).

Uraufführung

Die Unvernünftigen sterben aus wurde am 17. April 1974 im Theater am Neumarkt Zürich in der Regie von Horst Zankl uraufgeführt. In den Hauptrollen spielten Norbert Schwientek als Quitt und Horst Mendroch als Quitts Vertrauter Hans. Siegfried Unseld besuchte die Uraufführung und hielt anschließend in seinem Bericht fest: »Das kleine Theater war sicherlich zu zwei Dritteln mit Experten besetzt, die von überall her angereist waren. Doch an diesem Abend ging so ziemlich alles schief, was schief gehen konnte. Horst Zankls Regie gelang es nicht, mit den drittklassig wirkenden Schauspielern und der viel zu kleinen Bühne das Stück über die Runden zu bringen. […] Es war ein klarer Fehler vom Verlag der Autoren, bei dieser ersten Aufführung eines so wichtigen Stückes nicht anders disponiert zu haben.« (Handke / Unseld 2012, S. 260)

Weitere Aufführungen

Ein Monat nach der Uraufführung reiste Handke für eine Woche nach Deutschland, um sich dort verschiedene Inszenierungen anzusehen und berichtete am 23. Mai 1974 seinem Freund Alfred Kolleritsch: »Fassbinder hat das Stück in Frankfurt inszeniert, sehr stilisiert, abstrahiert, unnötig elitär. Und natürlich werde ich als der Elitäre bezeichnet werden (obwohl ich glaube, daß "Die Unvernünftigen …" ein ganz volkstümliches Stück sein könnten; in Wiesbaden [unter der Regie von Günther Büch] habe ich es auch fast so gesehen). Heute nachmittag fahre ich nach Berlin, wo es an der Schaubühne inszeniert werden wird, von Peter Stein. Ich hoffe, wenigstens einmal es ohne Überdruck, ohne "Stil" zu sehen.« (Handke / Kolleritsch 2008, S. 75ff.) Bei der Berliner Premiere, am 6. Juni 1974 in der Schaubühne am Halleschen Ufer, trafen sich Unseld und Handke wieder. In seinen Gesprächsnotizen vermerkte Unseld: »Es gibt nichts Besonderes zu berichten. Er sitzt an seiner Erzählung und hofft, sie noch im Sommer abschließen zu können. Die Aufführung an der Schaubühne war wirklich einsame Spitze. Ich glaube kaum, daß das je besser zu machen ist; die Reaktionen waren darauf freilich sehr gespalten.« (Handke / Unseld 2012, S. 260f.) (kp)

Siglenverzeichnis Editorische Zeichen