Entstehungskontext

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Peter Handkes erstes – mit der Gattungsbezeichnung betiteltes – Hörspiel entstand im Jahr 1968 im Kontext einer sprachexperimentellen Wiederbelebung des Hörspiels (»Neues Hörspiel«) (Renner 1985, S. 61-62). Handke lebte zur Entstehungszeit mit Libgart Schwarz in Düsseldorf.

Vorüberlegungen und Textentstehung

Aufschluss über die Werkentstehung von Hörspiel gibt der Briefwechsel zwischen dem WDR-Hörspieldramaturgen Klaus Schöning und Peter Handke sowie die allgemeine Korrespondenz der WDR-Hörspieldramaturgie. Schöning wandte sich am 1. März 1968 an Handke mit der Frage, ob sich für eine Ende 1968 geplante Hörspielreihe »Rekonstruktionen« aus dem Roman Der Hausierer ein »Sprechstück – um nicht Hörspiel zu sagen« entwickeln ließe. Schöning regte ein »Sprechstück mit kriminalistischem Einschlag« an (HA WDR, 11680). Handkes Antwort vom 7. März war positiv. Seinen Angaben zufolge hätte er bereits im Herbst 1967 eine Radioadaption von Der Hausierer schreiben sollen, dieses Vorhaben sei aber »an gegenseitigem Nichtstun gescheitert«. Somit konnte Handke bereits seine Vorüberlegungen skizzieren: »[...] zwar könnte man drei Abschnitte des Hausierers nehmen, Mord, Verfolgung + Folterung, dann Entlarvung und Tod, wobei ich Sätze aus den anderen Abschnitten hineinkomprimieren könnte.« (HA WDR, 11680) Ende April 1968 kam es zu einem Treffen zwischen Klaus Schöning und Peter Handke in Köln, bei dem die Realisation des Hörspiels besprochen wurde und die Titelwahl auf Hörspiel fiel. Den alternativen Titel »Fragen der Fragenden und Fragen des Gefragten« fand Handke am 20. Juni nachträglich »etwas preziös und geschwollen« (HA WDR, 11679). In einem Brief am 15. Mai bestätigte Schöning den geplanten Fertigstellungstermin mit »Ende Juni« und kündigte an, dass die Regie »wahrscheinlich« von Heinz von Cramer übernommen werden sollte (HA WDR, 11680). Das fertige Typoskript sandte Handke am 20. Juni an Klaus Schöning mit der Bitte, ihm eine Abschrift oder Kopie zurückzuschicken – »Das beiliegende ist das einzige brauchbare Manuskript!!« (HA WDR, 11679) Klaus Schöning bestätigte den Erhalt am 20. Juli und bemerkte, dass er es »mit großer Neugierde und wachsendem Interesse gelesen« habe (HA WDR, 11679). Die Abschrift zur Textfassung 2 erfolgte dem Briefwechsel nach zu schließen zwischen 20. Juli und 26. August, da Schöning die Abschrift an diesem Tag bereits an Dieter Wellershoff zur Publikation im wdr-hörspielbuch 1968 sandte. Im Brief vom 20. Juli äußerte Schöning auch den Vorschlag, mit Handke über ein vom Autor vorgeschlagenes neues Hörspielprojekt zu sprechen. Eine Einladung, bei der Produktion in der Zeit vom 7. bis 17. Oktober 1968 im Studio dabei zu sein, übermittelte Schöning am 18. September. Der Zeitraum 7. bis 18. Oktober ist laut Produktionsangaben auf dem Titelblatt der Textfassung 2 als »Probenzeit« für die Tonaufnahmen dokumentiert.

Ursendung und Abdruck in Sammelbänden

Hörspiel wurde als Koproduktion des Westdeutschen Rundfunks und des Hessischen Rundfunks unter der Regie von Heinz von Cramer am 23. Oktober 1968 in WDR I urgesendet (Produktionstitel: Hörspiel Nr. 1). Am 21. November folgte eine weitere Sendung, diesmal in Stereo, im Rahmen der Hörspielreihe »Rekonstruktionen« mit einer Einleitung von Jürgen Becker (HA WDR, 13873). Am 8. November bezeichnete Klaus Schöning in einem Brief an Handke die Sendung als »vielbesprochene[n] Erfolg«, die »Provinzpresse« habe sich zurückgehalten, die »große Presse« habe sich geäußert (HA WDR, 11680). Ein weiteres Mal bedankte er sich am 20. Dezember für die Zusammenarbeit bei Handke und übermittelte ihm das in diesen Tagen erschienene wdr-Hörspielbuch 1968, in dem Hörspiel erstmals gedruckt veröffentlicht wurde. Am 10. September des Jahres hatte sich Handke noch mit Urs Widmer im Suhrkamp Verlag auf die Überlassung an den WDR verständigt, »weil man ein Hörspiel eh kaum liest« (DLA SUA, A: Suhrkamp Verlag Verlagskorrespondenz). Ende 1969 erschien es ein weiteres Mal in der Anthologie Neues Hörspiel. Texte. Partituren, herausgegeben von Klaus Schöning. Das folgende Hörspiel mit dem Titel Hörspiel Nr. 2 war zu dieser Zeit schon fixiert, und ein drittes Projekt – dem Brief Schönings zufolge – angedacht (HA WDR, 11680). Zusammen mit Handkes späteren Hörspieltexten wurde Hörspiel in den 1970 bei Suhrkamp verlegten Sammelband Wind und Meer aufgenommen, eine Tonträgerveröffentlichung erschien 1973 als Kooperation des Luchterhand Verlags mit der Deutschen Grammophon. Eine Neufassung produzierte der ORF 1990/1991.

Inhaltliche Elemente

Hörspiel kann als Weiterentwicklung des Verhör-Motivs in Peter Handkes zweitem Roman Der Hausierer, im Besonderen der beiden Kapitel Die Befragung und Die falsche Entlarvung (WMS 4, Thuswaldner 1976, S. 14; Becker 1970, S. 117 und Ðorđević 1989) verstanden werden, es folgt zudem »dem Gestus der Sprechstücke« (Renner 1986, S. 61) der Jahre 1966 und 1967 – Selbstbezichtigung und Weissagung waren zuvor bereits vom WDR für den Hörfunk umgesetzt worden. In einem Brief an Klaus Schöning weist Handke auf diesen Bezug hin: »"Der Hausierer", wie Sie vielleicht bemerken werden, hat sich immer mehr verflüchtigt, so daß das Hörspiel ganz selbständig ist.« (HA WDR, 11679) Nach Handkes Definition ist es »ein Frage-Antwort-Spiel über einen Frage-Antwort-Vorgang, der ernsthaft bei einem Gefragten Antworten erreichen will, und zwar mit allen rhetorischen Mitteln: Schmeichelei, List, Erpressung, Gewalttätigkeit – der Frage-Antwort-Vorgang, über den ein Frage-Antwort-Spiel Auskunft geben soll, stellt sich als scharfes Verhör heraus, bei dem die Verhörenden die Macht zum Fragen haben. Schließlich stellt sich sogar heraus, daß auch das Frage-Antwort-Spiel über das Verhör zum Verhör selber gehört – das Spiel war die List des Verhörenden, aus dem Frage-Antwort-Spiel wird Ernst, wird "Herauskitzeln", "Ausquetschen", "Weichmachen", "Leermachen", schließlich das "Zum-Schweigen-Bringen": das ist der dramatische Vorgang des "Hörspiels"« (Schöning 1969, S. 444). (ck)

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