In dem zwischen 26. April und 8. Juli 1979 geführten Notizbuch werden Peter Handkes Vorüberlegungen und die Idee zu seinem Werkprojekt "Die Lehre der Sainte-Victoire" erstmals konkret fassbar. Ein Werktitel ist auf dem Vorsatzblatt noch nicht eingetragen, jedoch gibt die Auflistung der Reiseorte Auskunft über Handkes erste projektbezogene Reise nach Aix-en-Provence und zur Montagne Sainte-Victoire. Zuvor, am 15. Mai 1979, besuchte Handke die National Gallery in London, was ihn zu einem längeren Eintrag über Paul Cézanne veranlasste, der die spätere Kapitelüberschrift in der Erzählung, »Das Bild der Bilder«, vorwegnimmt: »solche Bilder kann man anbeten (sie haben auch die nötige Leere; es sind die Bilder meiner Heimat (die auf mich wartet, in Leere) [/] Die anderen machen Bilder; Cézanne zeigt, als einziger!, die Bilder hinter den Bildern (die Bilder der Bilder), die Erdfarben, und er zeigt ein Ding im anderen, einen Menschen im anderen, die Menschen in den Dingen« (S. 59). Ab dem 1. Juni las Handke eine Ausgabe der Briefe Cézannes und notierte daraus in der Folge immer wieder Zitate, die Briefe werden in der Erzählung an mehreren Stellen zitiert oder erwähnt.
Nach einem längeren Aufenthalt vom 23. Mai bis zum 8. Juni 1979 bei seiner Tochter Amina in Berlin gelangte Handke von München über Innsbruck, das Ötztal, das Passeiertal und Meran nach Bozen. Dort schien er sich am 13. Juni Aix-en-Provence bereits als kommendes Reiseziel vorgenommen zu haben, was die kurze Notiz: »Aix, ich komme!« (S. 101) bekräftigt. Später, am 28. Juni, als er von Italien über Griechenland nach Paris gelangt war, notierte er kurz vor dem Aufbruch nach Südfrankreich: »Und hat die Wirklichkeits-Empfindung nicht auch mit "Reinheit" zu tun? (Allein nach Aix...?)« (S. 119).
Am 2. Juli 1979 erreichte Handke schließlich nach wochenlangen Reisen, die ihn quer durch Europa geführt hatten, Aix-en-Provence, von wo er sowohl zwischen 3. und 5. Juli in drei Tagesetappen die Montagne Sainte-Victoire umrundete. Zwei Landkarten im Bestand der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich ergänzen die Notizbucheinträge und enthalten selbst wiederum Aufzeichnungen zu den Fußmärschen. »Die St. Victoire ist gerade weit genug weg (Und: Was gibt es für Möglichkeiten in der Welt, in der Jetztzeit! Stille auf der Route de C.« (S. 124) lautet eine der ersten Notizen, die er vor Ort festhielt und die in die Erzählung nahezu unverändert übernommen wurde: »Ich blieb stehen und schrieb auf: "Was gibt es für Möglichkeiten – in der Jetztzeit. Stille auf der Route de Cézanne."« (DLS 42)
Beginnend mit der Reise nach Aix-en-Provence diente Handke dieses Notizbuch als Textquelle für die Lehre der Sainte-Victoire, die Verarbeitung der Notizen ist, beginnend mit dem 3. Juli 1979, klar erkennbar (S. 124ff.), wie einzelne Beispiele zeigen: »Das Weiß-Dunkle von Elsterflügeln, groß am Ende eines Pinienweges« (S. 124) wird zu »Da waren die Pinien und säumten einen Seitenweg; am Ende des Wegs groß das Schwarzweiß einer Elster.« (DLS 42) – »Kinderfußabdrücke im karminroten Sand eines trockenen Bachbetts« (S. 125) erscheint als »Im roten Mergelsand eines ausgetrockneten Bachbetts die Abdrücke von Kinderfüßen.« (DLS 48) – »Die Hochwiese ist ganz weiß von den kleinen Schneckenhäusern auf den Gräsern ("weithin weiß")« (S. 126) formuliert er in der Erzählung als »Die trockenen Hochwiesen zogen sich bis zum Fuß der Felsflanken hin und erschienen wie weißgebleicht von den Schneckenhäusern, die in Scharen an den Stengeln klumpten.« (DLS 50-51). Eine relativ kurze Notiz wird später zur Grundlage für das Kapitel »Der Sprung des Wolfs«: »Die tief offenen Hunderachen (Boxer) Sieh das Böse an! [/] Ein Hund, der brüllt wie ein Stier« (S. 127) – die Stelle ist in der Erzählung wiederzufinden als: »Ja, vor mir, hinter dem Zaun, stand ein großer Hund – eine Doggenart –, in dem ich sofort meinen Feind wiedererkannte. [...] "Sieh dir das Böse an", dachte ich.« (DLS 55-56) Zahlreiche weitere Aufzeichnungen, die auf den Wegen rund um die Montagne Sainte-Victoire zwischen 3. und 5. Juli entstanden, sind – mitunter sogar im Wortlaut – vor allem in den Kapiteln »Die Anhöhe der Farben«, »Die Hochebene des Philosophen«, »Der Sprung des Wolfs« und »Der Maulbeerenweg« wiedererkennbar. Am 4. Juli notierte Handke unter anderem auch eine Überlegung, die sich auf den gesamten Erzählrahmen bezieht: »Die Geschichte: Man muß sein eigener Lehrer werden (sonst kein Begreifen)« (S. 130). Und zum Ort seiner Erzählung merkte er wie als ein Grundsatz an: »Damit eine Landschaft mein werde, ist ein Entschluß nötig, ein Sprung dahin (Yukon, Karst, Ste Victoire)« (S. 131). (ck)
Die Langsame Heimkehr (Rück) + "Die Wiederholung" (für wann?); (Eine Geschichte unter Freunden) [als Untertitel zu Langsame Heimkehr] [Bl. I]
Berlin → Hamburg → London → Düsseldorf → Frankfurt → Berlin → München → Innsbruck → Meran → Bozen → Ritten → Verona → Venedig → Corfu → Ithaka → Delphi → Korinth → Athen → Genf → Paris → Versailles → AIX → Ste. Victoire → Marseille → Zürich → München [Bl. I]
Hamburg (11.5.); Heathrow [S. 62]; Düsseldorf [S. 63]; Berlin [S. 78]; München [S. 92]; Innsbruck [S. 94]; nach Zwieselstein [S. 97]; Obergurgl [S. 98]; Passeiertal [S. 99]; Dorf Tirol [S. 99]; Meran [S. 99]; Bozen [S. 101]; Ritten [S. 102]; Signat [S. 104]; Verona [S. 106]; Venedig [S. 108], Corfu [S. 109], Ithaka [S. 109]; Golf von Korinth [S. 109], Bucht von Delphi [S. 110]; Parnaß [S. 111]; Vouliagmeni [S. 112]; Athen [S. 113]; Genf [S. 113]; Nyon [S. 115]; Versailles [S. 116]; Auteuil [S. 122], Aix [S. 123]; Tholonet [S. 125]; St. Antonin [S. 125]; Puyloubier [S. 126]; Aix [S. 127]; Le Tholonet [S. 128]; Roques-Hautes [S. 129]; Crête du Marbre [S. 129]; Aix-en-Provence [S. 130]; St. Victoire [S. 131]; Le Tholonet [S. 131]; Pas du Moine [S. 132]; Vauvenargues [S. 132]; Marseille [S. 132]; Zürich [S. 133]; M., Flugh. [S. 135]
Notizbuch mit schwarzem Umschlag, 138 Seiten, I, [51 unpag. Seiten], pag. 52-138, I*
Film:
Bildende Kunst:
Paginierung im Original erst ab Seite 52 eingetragen