Maribor; Der Tolminer Bauernaufstand 1713

Notizheft, 78 Seiten (51 Seiten beschrieben), 14.09.1981 bis 15.09.1981

Druckversion

Beschreibung

ÖLA SPH/LW/W98Dieses dünne, linierte Vokabelheft im DIN A6-Format verwendete Handke, um Notizen während eines kurzen Aufenthalts in Maribor am 14. und 15. September 1981 festzuhalten. Am Umschlag sind in der Art eines Inhaltsverzeichnisses mehrere Namen und Begriffe eingetragen: »Maribor«, darunter »Višja Agronomska šola« (die dortige Obstbauschule); »Zavod« [= Anstalt (der Land- und Forstwirtschaftskammer), Anm.], »Kalvarija« (ein Stadthügel, auf dem die Kalvarienkirche steht), »Piramida« (ein Stadtberg, auf dem einst die Burg von Maribor stand) sowie »Der Tolminer Bauernaufstand 1713«. Am Titelblatt hat Handke einen Papierstreifen mit der Datierung und dem Titel des Notizhefts aufgeklebt: »Sept 81 MARIBOR«.

Am vorderen Vorsatz des Notizhefts stehen Datierung und Ort sowie Handkes Salzburger Adresse. Als Werktitel ist am Vorsatzblatt »"Die Wiederholung"« notiert. Hinzu kommen zwei Mottos oder Zitate: »Die Freude des Wiederholens wird erst möglich, wenn ich, ins Ungewisse aufgebrochen, ratlos bin« sowie »Damit ein Tag als schön bezeichnet werden kann, muß er, schön wie er war, noch einmal schön geworden sein«. Das erstgenannte Zitat ist auch im vorangehenden Notizbuch von 2. April bis 14. September 1981 und im nachfolgenden Notizbuch vom 16. September bis 31. Dezember 1981 zu finden, das zweite Zitat ebenfalls im nachfolgenden Notizbuch. Das hintere Vorsatz ist leer, da das Notizheft nur bis Seite 51 beschrieben ist, wobei die Notizen zur zweitägigen Reise nach Maribor nur die ersten 21 Seiten betreffen. Die übrigen Seiten enthalten Exzerpte und Notizen zum Tolminer (bzw. Tolmeiner) und anderen Bauernaufständen, die Handke aus einer oder mehreren Lektürequellen entnommen haben muss.

Das Notizheft zählt zum umfangreichen Komplex an Vorarbeiten und Studien für die später entstandene Erzählung Die Wiederholung. Die Aufzeichnungen enthalten Beschreibungen der Gebäude- und Parkanlage rund um die Obstbauschule in Maribor. Darüber hinaus enthält das Heft einzelne Lektürenotizen zu den Briefen Franz Prešerens. (ck)

Werkbezüge

Die Wiederholung

ÖLA SPH/LW/W98Das Notizheft ist mit 51 beschriebenen Seiten dem Werkprojekt Die Wiederholung zuzuordnen. Die Notizen entstanden am 14. und 15. September 1981 anlässlich einer Reise Handkes nach Maribor, die in Die Wiederholung erwähnt wird: »Ich fuhr nach Marburg, oder Maribor, um die Schule des Bruders zu suchen« (DW 319). Auf den ersten 21 Seiten des Notizhefts erkundet Handke in einem Rundgang die Anlage und die nähere Umgebung der in Die Wiederholung beschriebenen Landwirtschaftsschule: »Es ist tatsächlich Herumschweifen, das ich betreibe« (ÖLA SPH/LW/W98, fol. 6).

Bei den im Anschluss an die Reiseaufzeichnungen eingetragenen Notizen (von Seite 22-51) handelt es sich um Lektüreexzerpte und Stichwörter zu den historischen Bauernaufständen in Tolmin 1713, in Kärnten 1478 sowie in Slowenien 1515, von denen Handke den Tolminer Aufstand an mehreren Stellen in Die Wiederholung verarbeitet (DW 10, 70, 181, 216, 244, 270).

Die Notizen der Maribor-Reise sind mitunter überdeutlich in Die Wiederholung wiederzuerkennen, wie der direkte Vergleich zweier ausgewählter Stellen belegt. Im Notizbuch formuliert Handke: »Hatte er den Blick auf die Kapelle oben? (1 Jahr, im letzten?) [...] Pappel mit so tiefen Schründen, daß darin wilder Wein aufwächst [...] dahinter BIENENHÜTTE, verfallen, versteckt unter Holunder [...] vor dem gelben Nebenhaus saß er oft mit andern auf den Haustorstufen [...] Schon fühle ich ich mit dem Gebäude fast vertraut (macht keine Kälte, wie einst bei mir Tzbg.) [...] oben im Weinberg, Lehm, Schiefer, Kohle; [...] die Obstbäume helle Haine, wie Olivenbäume [...] (gerade kam ein Mann den Berg emporgelaufen, und wir schauten einander momentlang angstvoll an) [...] Tropfen von der Kapellendachrinne; der Blitzableiter dick mit Stacheldraht umwickelt [...] In der Kirche drinnen ist alles beschmiert, auch die Fresken (Kreuzigung), von Engeln über den nicht mehr vorhandenen Tabernakel gerafft auf dem Boden liegt eine große Plastik, Stein, von Christus, der "unter dem Kreuze fällt" [...] dem Christus unter dem Kreuz ist der Kopf abgeschlagen« (ÖLA SPH/LW/W98, fol. 4-7).

In Die Wiederholung ist analog zu diesen Notizen zu lesen: »schon vom Zug aus zeigte sich der Hügel mit der Kapelle obenauf, mir vertraut von dem Vorkriegsphoto. [...] Verfallen nur das eine große bemalte Bienenhaus [...] den wilden Wein, sich rankend in den Schründen einer Pappel [...] die vielen Stufen, emporführend zur Tür eines der Nebengebäude ("da saß er am Abend mit den andern"), und wünschte mir im nachhinein, dieser Betrieb, diese Plantage, dieses Musterland sei mein Internat gewesen. Ich stieg den Weinhügel hinauf – immer höher wurden dabei die Lehmabsätze unter den Füßen [...] In dem Schieferberg waren Brocken von Kohle eingeschlossen [...] die Baumkronen mit dem Schimmer eines Olivenhains [...] am Boden, begraben unter Schutt und Brettern, die Statue des unter das Kreuz gefallenen Christus, daliegend mit abgehauenem Kopf, die Dornenkrone ersetzt durch Stacheldraht [...] ein junger Mann stellte sich neben mich, verschränkte die Arme, und dann hörte ich ihn nur noch tief atmen;« (DW 319-320).

ÖLA SPH/LW/W98Ebenso nah an den Notizbuchaufzeichnungen ist die Beschreibung der Namensinschrift des Gregor Kobal an der Außenwand der Kapelle, die in Die Wiederholung eine halbe Seite umfasst: »Außen an der Fassade fand ich dann den Namen des Bruders. Er hatte ihn in Großbuchstaben, in seiner schönsten Schrift, eingeritzt in den Verputz, so hoch oben, daß er dabei auf dem Sockel gestanden sein mußte: GREGOR KOBAL.« (DW 321) Der Stelle entspricht im Notizbuch der Eintrag: »Ostwand, außen: G. SIVEC [...] rasch und schwungvoll, selbstbewußt; er muß dabei unten auf dem Sims gestanden haben [...]« (ÖLA SPH/LW/W98, fol. 7-8).

ÖLA SPH/LW/W98Auffällig ist eine am 15. September 1981 zwischen den Zeilen angefertigte Zeichnung von Dachziegeln – die einzige im Notizheft enthaltene Illustration –, die Handke mit der Bezeichnung »Karawane der Firstziegel, gegen Osten« beschriftete. In Die Wiederholung erscheint dieses Bild verarbeitet in der Stelle: »[...] vor mir die Fichtenzacken, den Blick weiterleitend zu einem Nachbarhaus, wo die Firstziegel oben, den Zeilen im Heft entsprechend, von links nach rechts liefen.« (DW 156)

Über diese Beispiele hinaus enthält das Notizheft zahlreiche weitere Einträge, die Handke mit der Abkürzung »DW« oder »HdW« versah, deren Verarbeitung in Die Wiederholung oder anderen Werken jedoch in weiteren Detailvergleichen zu überprüfen ist. (ck)

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorsatzblatt): 

"Die Wiederholung" [Bl. I]

Entstehungsdatum (laut Vorlage):  14./15. September 1981 [Bl. I]
Datum normiert:  14.09.1981 bis 15.09.1981
Entstehungsorte (laut Vorsatzblatt): 

Maribor [Bl. I]

Zusätzlich eingetragene Entstehungsorte: 

Maribor

Materialart und Besitz

Besitz 1:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

Notizheft mit orangem Umschlag (Vokabelheft mit rotem Mittelstreifen der Marke Lida Mill Zagreb), 78 Seiten, I, 51 Seiten beschrieben, unpag., 27 leere Seiten, I* (ein leeres hinteres Vorsatz); am Titelblatt ein von Handke aufgeklebter Papierstreifen mit der hs. Datierung und Titel des Notizhefts

Format:  9,8 x 14,3 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (blau, schwarz), Fineliner (schwarz), Bleistift
Weitere Beilagen: 

 

  • 1 getrocknetes Blatt (am DLA aus konservatorischen Gründen separat abgelegt), eingelegt im vorderen Vorsatz

Nachweisbare Lektüren

  • Franz Prešeren: Briefe

Ergänzende Bemerkungen

Bemerkungen: 

 

  • Besitz 1: restaurierungsbedürftig, einige Seiten lose
  • Besitz 2 (Kopie): Bl. 30 ist ein eingebundenes Trennblatt