Das Mündel will Vormund sein (1969)

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Mit dem Theaterstück Das Mündel will Vormund sein greift Peter Handke auf seine 1965 geschriebene Kurzgeschichte mit dem Titel Augenzeugenbericht zu­rück. Darin bringt ein Mann seinem »geistig zurückgebliebenen« Mündel das Rübenhacken bei. In der Anwendung des Gelernten hackt das Mündel seinem Vormund mit der Rübenhackmaschine den Kopf ab. Auch im Stück geht es um Herrschaftsverhältnisse. In der Fortsetzung von Kaspar, wo Handke den Zusammenhang von Sprache, Weltbild und Macht zeigte, werden im Mündel eingespielte, »natürlich« gewordene Gesten der Un­terdrückung, der Rebellion und Emanzipation vorgeführt und durch verfrem­dende Effekte bewusst gemacht. Es ist Handkes erstes stummes Stück. Die Re­bellion deutet der Titel bereits an; er bezieht sich auf eine Stelle in Shakespeares Der Sturm, in welcher der Diener des Zauberers Prospero Herr werden will. Im Stück gibt Handke keine Veränderung der Verhältnisse mehr vor. Der Vorgang des Rübenhackens weckt Erwartungen, erfüllt sie aber nicht. Erst die Abwesen­heit des Vormunds ermöglicht Rebellion durch einen spielerischen, zweckfreien Akt: Das Mündel füllt Wasser in eine Wanne und wirft dann Sand hinein.

Die Handlung spielt im ländlichen Umfeld – dargestellt werden eine katho­lische Bauernstube, ein Mais- und ein Rübenfeld. Sie verweist damit erstmals auf die Welt jenseits der Bühne. Auch lassen sich Bezüge zu Handkes Biogra­fie erkennen – seiner ländlichen Herkunft und seiner Zeit im Internat für Priesterzöglinge in Tanzenberg (Kärnten). Der Szenenwechsel geht im Dunkeln vor sich. Eine kurze Sequenz lang sieht man nichts, hört aber wie in Kriminalfilmen Atemgeräusche. Sie deuten auf die Anwesenheit eines weiteren (feindlichen) Beobachters und vermitteln eine Atmosphäre von Angst und Schrecken. Im Kontrast zum volksstückhaften Charakter des Bühnenbilds wurden die Handlungen vom Instrumentalsong Colors For Susan von der Anti-Vietnamkriegs-Platte I Feel Like I’m Fixin To Die der Gruppe Country Joe and The Fish begleitet. Handke verknüpfte somit nur über die Musik (auch hier instrumental ohne direkte Botschaft) die Revolte und Emanzipation im »Kleinen« (der Familie) mit der großen, politischen Revolte.

Das Stück wurde Ende 1968 geschrieben. Die Uraufführung fand schon kurz darauf, am 31. Jänner 1969 im Frankfurter Theater am Turm (TAT) unter der Regie von Claus Peymann statt. Sie wurde durch heftige Tumulte des Sozi­alistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) gestört, von der Kritik aber gut aufgenommen. (kp)

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