Die
romanische Buchmalerei Göttweigs (NÖ.) ist bis zum Zeitraum um 1200 von W.
Telesko monographisch behandelt worden[1]. Die
chronologische Ordnung der Handschriften spielt in dieser Untersuchung keine
größere Rolle, die Entstehungszeit der behandelten Handschriften wird ab etwa
1160 bis um 1200 vermutet[2].
Allerdings zeigt der in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigte
Traditionscodex B des Stiftsarchivs (Signatur GA A II-2) mit drei
Rankeninitialen (fol. 9r, 9v und 20v) im 1135/36 datierbaren Grundstock[3],
daß die Herstellung illuminierter Bücher in Göttweig spätestens im 2. Viertel
des 12. Jahrhunderts einsetzte. Die Initialen des Traditionskodex B gehören
stilistisch einer relativ großen Gruppe 'schwäbisch beeinflußter' Handschriften[4]
mit Knollenblattrankeninitialen in unterschiedlichen Varianten an, der sich
hier auch Cod. 748, 749, 1001 und 1582 zuordnen lassen. Teilweise werden
Codices der Gruppe bis in das 4. Viertel des 12. Jahrhunderts datiert[5],
doch gibt es weder von Buchschmuck und Schrift als auch vom Inhalt her
Argumente dafür, daß diese Handschriften überhaupt noch im späteren dritten
Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden sind. Einen zeitlichen Anhaltspunkt
bietet z.B. das vor 1173 datierbare, in Göttweig entstandene Missale in Vorau
(Stiftsbibliothek, Cod. 303)[6],
dessen Initialen mit den Göttweiger Codices 49 und 119 zusammenhängen[7]
und sich deutlich von der 'schwäbischen Gruppe' absetzen; eine ebenfalls mit
dem Vorauer Missale und den genannten Codices im Initialstil verwandte
Handschrift, Cod. 181 in Göttweig[8], ist
aus inhaltlichen Gründen frühestens um 1170 anzusetzen[9] -
damit ist das Abgehen von Knollenblattrankeninitialen in Göttweig sicher im
Zeitraum um 1170, vermutlich aber schon früher anzunehmen - die hier mangels
einer verläßlichen Chronologie vorgeschlagenen Datierungen für Cod. 748, 749,
1001, 1582 und der zum Vergleich genannten Handschriften bedürfen daher einer
Überprüfung, die am besten nochmals alle Handschriften miteinbezieht.
Eine
andere Problematik, die nur angedeutet werden soll, ergibt sich bei Cod. 2176
und 2177, die hier ebenfalls Göttweig zugeordnet werden: Beide sind in Teilen
ihrer Ausstattung engstens mit dem Cod. 99 der Stiftsbibliothek Göttweig
verwandt, der zusammen mit Cod. 96 und 119 in Göttweig und Cod. 691 und 702 in
Wien einer 'regensburg-prüfeningischen' Handschriftengruppe[12]
zugerechnet wird, doch sind stilistische Beziehungen zu Prüfeninger Codices[13]
so gering, daß ein Einfluß von dort zu bezweifeln ist. Zu untersuchen wären
dagegen Verbindungen mit der steirischen Buchmalerei, insbesondere Admont, da
in den Wiener Cod. 2176 (fol. 20r) und Cod. 691 (fol. 26r)[14]
Details wie kleine, in Blätter eingelegte Früchte auf Kontakt mit der Admonter
Buchmalerei schließen lassen. Zwischen 1157 und 1174 stand der Admonter
Stiftspriester Johannes I. dem Kloster als Abt vor[15],
und schon A. Fuchs hat bei seiner Analyse des Traditionscodex B vermutet, daß
in dieser Zeit in Admont ausgebildete Schreiber, darunter vielleicht der Abt
selbst, in Göttweig tätig waren[16]. Es
ist anzunehmen, daß auch Bücher aus Admont nach Niederösterreich kamen. Ein
Importwerk hat sich höchstwahrscheinlich mit Cod. 109 der Stiftsbibliothek
Göttweig[17]
erhalten, der durch einen Besitzvermerk auf fol. 154v schon im 12. Jhdt. in
Göttweig nachweisbar ist: Die Betonung des Umrisses der Figuren, die
Modellierung des Gewandes mit parallelen, 'kammstrichartigen' Linien sowie die
einzelnen Gesichtstypen in der Miniatur mit dem Martyrium des hl. Blasius auf
fol. 1r hängen eindeutig mit Admonter Arbeiten des 3. Viertels des 12.
Jahrhunderts wie z.B. Cod. 92 (fol. 1r) der Stiftsbibliothek Admont[18]
zusammen. Gleiches gilt für die einzige Initiale auf fol. 133v, zu der
Göttweiger Parallelen fehlen: Das Durchzeichnen des Initialkörpers mit feinen
Linien und die plastisch wiedergegebenen Blätter mit eingelegten
kreuzschraffierten Früchten finden sich z.B. im Cod. 83 der Admonter
Stiftsbibliothek[19]
auf fol. 1v. Schließlich sprechen auch inhaltliche Gründe für eine Entstehung
in Admont - der hl. Blasius, dessen Vita den ersten Text bildet, ist
Hauptpatron des steirischen Benediktinerklosters, und die Vita Basilii am
Schluß des Codex war in Göttweig schon in Cod. 31 vorhanden[20],
so daß es keiner neuen Abschrift bedurft hätte.
Aufgrund dieser Beziehungen ist sehr wahrscheinlich, daß weitere
Nachforschungen noch mehr Gemeinsamkeiten in der Buchkunst Admonts und
Göttweigs ergeben werden.
Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 92, fol. 1r |
Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 109, fol. 1r |
|
|
Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 83, fol. 1v |
Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 109, fol. 133v |
Bei dem
Versuch, die Neuzuschreibung der Codices der ÖNB an das Skriptorium des
niederösterreichischen Benediktinerstifts über den kunsthistorischen Befund
hinaus abzusichern, ergab sich, daß sich keine Handschrift mit den in der
sogenannten Bücherschenkung des 'Frater Heinricus' verzeichneten Texten
identifizieren läßt (Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 33, fol. 148v). Der
Umstand, daß von den ca. 50 dort aufgezählten nur drei Handschriften in bzw.
aus Göttweig belegbar sind und das Stift namentlich nicht genannt wird, hat
schon öfter dazu geführt, den Göttweiger Ursprung des Verzeichnisses und damit
auch von Cod. 33 in Frage zu stellen[21], und
es gibt auch nun keine Argumente, die für eine lokale Entstehung sprächen.
Immerhin
läßt sich bei drei Handschriften - Cod. 748, 749 und 1001 - anhand der Einbände
nachweisen, daß sie sich im 15. Jahrhundert in der Stiftsbibliothek befunden
haben. Charakteristisch für eine Gruppe von Göttweiger Einbänden, der diese
Handschriften angehören, sind Streicheisenlinien, die - jeweils dreifach -
einen Rahmen bilden und die Deckel mit meist zwei Diagonalen unterteilen. Das
auffallendste Merkmal ist das kreisförmige Gruppieren von eher unspezifischen
Einzelstempeln in den Zwickelfeldern und/oder beim Schnittpunkt der Diagonalen.
Diese Einbände vertreten vermutlich eine frühe Stufe des Göttweiger
Bucheinbands (Stempel Nr. 1-9), der dann eine von den Motiven her etwas
anspruchsvollere folgt (Nr. 10-23). Die zusammengestellten Stempel stellen
allerdings nur eine Auswahl dar, die von romanischen Handschriften abgerieben
wurden - eine Detailuntersuchung ist noch ausständig.
Einzelstempel auf Göttweiger Einbänden - Auswahl |
Einen
weiteren Hinweis auf Göttweiger Provenienz bieten Nähte im Pergament. Das
Vernähen von Löchern und Rissen ist im ÖNB-Bestand an romanischen Handschriften
öfters zu beobachten, wesentlich seltener ist das Annähen oder Ersetzen von ab- bzw.
ausgerissenen Partien, die sich zumeist am unteren Rand eines Blattes befinden.
In Cod. 702 (fol. 148, 152), Cod. 784 (fol. 33) und Cod. 2177 (fol. 62), alle
im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden, finden sich vereinzelt
Nähte mit grünen, roten und dunkelvioletten Fäden, die sich in regelmäßigen
Abständen keilförmig erweitern - bei Cod. 984 hat der Schreiber den Riß und
offenbar auch die Naht (oder zumindest den Raum dafür) berücksichtigt, in Cod.
2177 erfolgte das Nähen nach dem Abschreiben, wobei zugunsten des Musters wenig
Rücksicht auf die Schrift genommen wird. Gleichartig ausgeführte Nähte, nun mit grünen, rosa,
gelben und beigen Fäden, finden sich wesentlich häufiger in Cod. 2442 aus dem
frühen 13. Jahrhundert und in den etwa gleichzeitigen Cod. 57, 1059 und 1060,
die mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls in Göttweig entstanden sind.[22]
Cod. 984, fol. 14 | Cod. 2177, fol. 62 |
Cod. 2442, fol. 53 | Cod. 1060, fol. 11 |
Cod. 2442, fol. 73 | Cod. 2442, fol. 82 | Cod. 57, fol. 76 | Cod. 1060, fol. 31 |
(FS)
[1] W. Telesko, Göttweiger Buchmalerei des 12.
Jahrhunderts - Studien zur Handschriftenproduktion eines Reformklosters
(Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner
Zweige, Ergänzungsband 37), St. Ottilien 1995.
[2] Ebenda, 33.
[3] A. Fuchs, Die Traditionsbücher des
Benediktinerstiftes Göttweig (Fontes Rerum Austriacarum 2. Abteilung, Band 69),
Wien 1931, bes. 5-14; die Initiale von fol. 9r (D) auf Tafel I. -
Ausstellungskatalog "900 Jahre Stift Göttweig. Ein Donaustift als
Repräsentant benediktinischer Kultur", Bad Vöslau 1983, Nr. 12 (Ch.
Tropper), mit Farbabbildung von fol. 9v.
[4] Telesko, Göttweig, 1995,33.
[5] Z.B. Cod. 42 oder 44 der Stiftsbibliothek Göttweig -
Telesko, Göttweig, 1995, 94-98.
[6] Zuletzt W. Telesko, Die Buchmalerei in den
Reformklöstern des Hochmittelalters, in: H. Fillitz (Hrsg.), Geschichte der
bildenden Kunst in Österreich, Bd. 1, Früh- und Hochmittelalter, München - New
York 1998, Kat.-Nr. 232, mit älterer Literatur - Abbildungen von Initialen bei
P. Buberl, Die illuminierten Handschriften in der Steiermark, Teil 1: Die
Stiftsbibliotheken zu Admont und Vorau (Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten
Handschriften in Österreich IV), Leipzig 1911, Nr. 233, und M. Mairold, Die
datierten Handschriften in der Steiermark außerhalb der Universitätsbibliothek
Graz bis zum Jahre 1600 (Katalog der datierten Handschriften in lateinischer
Schrift in Österreich VII), Text- und Tafelband, Wien 1988, Nr. 266, Abb.
29-31.
Eine ganz eng mit dem Kanonbild verwandte Griffelzeichnung enthält Cod. 97
(fol. 105v) in Göttweig (vgl. Telesko [zit. Anm. 7], Abb. 448); vermutlich
handelt es sich hier um eine Skizze zu dieser oder einer verlorenen
Kreuzigungsdarstellung. Thematisch vergleichbar ist eine von einem Melker
Zeichner des beginnenden 13. Jahrhunderts in Cod. 405
(fol. 1r) der Stiftsbibliothek Melk nachgetragene Federzeichnung mit Christus
am Kreuz - da seitlich des Kreuzes die Namen von Maria und Johannes eingetragen
sind, scheint auch diese Zeichnung eine Vorstudie zu Kreuzigungsdarstellungen
zu sein, wie sie z.B. der stilistisch unmittelbar zusammenhängende Cod. 14 der
Diözesanbibliothek in St. Pölten auf fol. 5v enthält (vgl. Ausstellungskatalog
'Die Gotik in Niederösterreich', Krems-Stein 1959, Kat. Nr. 81 [G. Schmidt],
Abb. 7).
[7] Zahlreiche Abbildungen der genannten Göttweiger Handschriften
finden sich bei W. Telesko, Göttweiger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts -
Studien zur Handschriftenproduktion eines Reformklosters, Diss. phil. Wien 1993
(masch.).
[8] Wie Anm. 7.
[9] Die glossierte Kurzfassung des Decretum Gratiani 'Exceptiones
ecclesiasticarum regularum' auf fol. 32vb-95ra ist nach Weigand um 1170
entstanden- siehe R. Weigand, Die Dekretabbrevatio "Exceptiones
ecclesiasticarum regularum" und ihre Glossen, in: Cristianitè ed Europa. Miscellanea di studi in
onore di Luigi Prosdocimi a cura di Cesare Alzati. Bd. I/2, Rom 1994, 511-529, bes. 525. - Die
vermeintliche Abhängigkeit des Figurenstils vom Schäftlarner Clm 17161 in
München (Telesko, Göttweig, 1995, 163) ist eher daraus zu erklären, daß diese
Handschrift ein Decretum Gratiani überliefert und in Göttweig eine
ikonographisch zum Teil verwandte Vorlage für dessen Kurzfassung verwendet
wurde.
[10] Telesko, Göttweig, 1995,
33, 131-133 und 151-153.
[11] Zur Handschrift siehe die
1996 und 1997 im Internet publizierten Listen zu
den Handschriften in Lilienfeld von A. Haidinger und F. Lackner sowie M.
Roland, Buchschmuck in Lilienfelder Handschriften. Von der Gründung des Stiftes
bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Studien und Forschungen aus dem
Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 22). Wien 1996, 17, mit dem
Hinweis auf Südwestdeutschland.
[12] Telesko, Göttweig, 1995, 33.
[13] Ebenda, 139f.
[14] Vgl. Hermann, Handschriften, 1926, Nr. 121, Fig. 125
- Telesko, Göttweig, 1995, Abb. 40.
[15] J. Wichner, Das Benedictiner-Stift Admont in
Steiermark in seinen Beziehungen zu Niederösterreich, Separat-Abdruck aus den
Blättern des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich 1894, 4 - Telesko,
Göttweig, 1995, 21 Anm. 66.
[16] Fuchs, Traditionsbücher, 1932, 13 und 490.
[17] Literaturstand zusammengefaßt bei Telesko,
Buchmalerei, 1998, Nr. 235.
[18] Zur Handschrift siehe Buberl, Steiermark, 1911, Nr.
32.
[19] Buberl, Steiermark, 1911, Nr. 66.
[20] Vgl. Telesko, Göttweig, 1995, 74f.
[21] Gottlieb, Bibliothekskataloge, 1915, 9-12 -
Zusammenstellung von kritischen Stellungnahmen bei V. I. J. Flint, The career
of Honorius Augustodunensis, in: Revue Bénédictine 82 (1972), 64f.
[22] Zu Cod. 57 siehe Hermann, Handschriften, 1926, Nr.
367 mit Fig. 222: Die nicht fertig ausgestattete Handschrift besitzt nur eine
ungewöhnliche Deckfarbeninitiale, die keine Göttweiger Parallelen hat. Cod 1059
und 1060 waren, wie u.a. die spätmittelalterliche Foliierung ergibt,
ursprünglich zusammengebunden. Alle drei Handschriften stammen aus dem Besitz
des Wolfgang Lazius.