Cod. Ser. n. 3350

Bibel (Fragment)

Salzburg, St. Peter, um die Mitte des 12. Jahrhunderts

2 beschnittene Blätter (33,5 x 21,5 und 35 x 25,5 cm). 2 Spalten, ursprünglich vermutlich 36 oder 37 Zeilen.
Linierung: 10mm - 97-98mm (1. Spalte) - 10mm - 10mm - 97-98mm (2. Spalte) - 10mm

Einband: Halbleinenband, ÖNB 1928

Provenienz: Salzburg, Stiftsbibliothek Nonnberg. Die im 15. Jhdt. als Umschläge verwendeten Blätter sind identisch mit Fragmenten einer Bibel, die 1911 von Tietze am Nonnberg beschrieben wurden (Fig. 265 bei Tietze zeigt Cod. Ser. n. 3350, fol. 1v); ein damals noch vorhandenes Blatt mit einer ca. 13,5 cm hohen Initiale V (zu IV Regum 2,1) ist nach freundlicher Auskunft von Gerold Hayer (Salzburg) nicht mehr im Nonnberger Bestand und wohl ebenfalls in den Kunsthandel gelangt. 1926 wurden die Fragmente von der ÖNB aus dem Wiener Antiquariat Heck erworben.

Inhalt: Bibelfragmente: Foll. 1r-1v aus Numeri und Deuteronomium, ff. 2r-2v aus IV Regum (genaue Beschreibung bei Mazal/Unterkircher).

Buchschmuck: Rote, zweizeilige Majuskeln. Fol. 1v ca. 13zeilige Spaltleisteninitiale H, rot gezeichnet, gelb koloriert; in den Buchstabenstämmen und im Querbalken rechteckige Felder mit verschiedenen Flechtwerkmustern in Grün, Blau und Rot, als oberer Abschluß der Stämme eine rote und eine blaue Löwenmaske. Den Textanschluß im Binnenfeld bilden oben zwei rot gezeichnete Knollenblattrankeninitialen auf blauem Grund (E und C), unten rot gezeichnete Initialen SUNT, durch die eine blaue Ranke geflochten ist, sowie abwechselnd rot und blau ausgeführte Majuskeln.
Fol. 2r ca. 31zeilige rot gezeichnete, gelb kolorierte Spaltleisteninitiale F, deren Leisten an Stamm- und Balkenenden verflochten sind; als Füllmotive dominieren Rechteckfelder mit Flechtwerk, Blattformen und Mäandermuster in Grün, Blau und Rot.

Stil und Einordnung: Die Schrift der aus dem Frauenkloster am Salzburger Nonnberg stammenden Fragmente ist nach Wind von derselben Hand, die ein heute in Klagenfurt verwahrtes Klosterrituale geschrieben hat (Klagenfurt, Kärntner Landesarchiv, Cod. 6/4). Fraglich ist jedoch, ob es sich dabei - wie von Wind angegeben - um eine Schreiberin aus dem Frauenkonvent von St. Peter in Salzburg handelt, da bislang keine schlüssigen Argumente genannt worden sind, wie Frauen- von Männerhänden zu unterscheiden wären. Auch die Provenienz gibt in dieser Frage wenig Aufschluß: Im Fall der Fragmente ist sie nicht näher bestimmbar, und das inhaltlich mit Cod. a VIII 1 der Stiftsbibliothek St. Peter zusammenhängende Rituale wurde noch im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts an das Benediktinerstift Millstatt abgegeben (Wind), was nicht unbedingt dafür spricht, daß es für den Eigenbedarf des um 1130 gegründeten Frauenklosters von St. Peter angelegt wurde.
Sowohl die Bibelfragmente als auch das Rituale, dessen Ausstattung von Wind zu Unrecht mit dem Initialstil im Antiphonar von St. Peter (Cod. Ser. n. 2700) verglichen wird, sind aufgrund von Schrift und Buchschmuck um 1150 anzusetzen: Die Kombination von gerundeten knollenförmigen Rankenabschlüssen mit dreiteiligen Blüten begegnet z.B. in der um 1150 in St. Peter in Salzburg entstandenen Admonter Riesenbibel (Cod. Ser. n. 2701-2702); vergleichbar ist weiters der gleichzeitige Cod. 1743 aus der Salzburger Dombibliothek, der von Hermann (Handschriften, 1923, Nr. 211) noch dem frühen 13. Jahrhundert zugeordnet wurde. Ähnliche Blatt- und Blütenformen, wie sie die Initialen im unteren Binnenfeld auf fol. 1v zeigen, besitzt Clm 15905 (fol. 71r) der Bayerischen Staatsbibliothek in München, der gleichfalls um 1150 in Salzburg entstanden ist.
Mit der Kombination von italienisch beeinflußten großen Initialen mit Rankeninitialen, die der lokalen Tradition folgen (fol. 1v), bilden die Fragmente eine fast gleichzeitige Parallele zur Riesenbibel von St. Florian (vgl. zu Cod. Ser. n. 4236); innerhalb der Salzburger Buchmalerei erscheint dieses Phänomen um 1165 auch in der Genesis-Initiale der sogenannten 'Größeren Bibel von St. Peter' (Salzburg, Stiftsbibliothek, Cod. a XII 18, fol. 6r).


Cod. Ser. n. 3350, fol. 1v

Vgl. Klagenfurt, Kärntner Landesarchiv, Cod. 6/4, fol. 42r
© Kärntner Landesarchiv
Vgl. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 15905, fol. 71r
 

Cod. Ser. n. 3350, fol. 1v (Detail)

Vgl. Cod. Ser. n. 2702, fol. 209v
 

Cod. Ser. n. 3350, fol. 1v (Detail)

Vgl. Cod. 1743, fol. 60v
 

Cod. Ser. n. 3350, fol. 2r


Literatur: H. Tietze, Die Denkmale des Stiftes Nonnberg in Salzburg. Mit archivalischen Beiträgen von Regintrudis von Reichlin-Meldegg (Österreichische Kunsttopographie VII). Wien 1911, 188 und Fig. 265 - O. Mazal u. F. Unterkircher, Katalog der abendländischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, 'Series Nova' (Neuerwerbungen), Teil 3: Cod. ser. n. 3201 - 4000 (Museion N.F. 4. Reihe, 2. Bd.), Wien 1967, 85f. - L. M. Ayres, A Fragment of a Romanesque Bible in Vienna (ÖNB, Cod. ser. nov. 4236) and its Salzburg Affiliations, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 42 (1982), 139, Abb. 11 - P. Wind, Aus der Schreibschule von St. Peter vom Anfang des 11. Jahrhunderts bis Anfang des 14. Jahrhunderts, in: Ausstellungskatalog "Hl. Rupert von Salzburg 696-1996". Salzburg 1996, 375, 388 (Anm. 98), 447 (zu Nr. 163).

(FS)



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