Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand besitzt die
Österreichische Nationalbibliothek alle Zeugnisse der romanischen Buchmalerei
des oö. Benediktinerklosters. In der jüngeren Literatur sind zwar einige
Handschriften mit Mondsee in Zusammenhang gebracht worden, doch bei keiner ist
die Entstehung in Mondsee wahrscheinlich: Im neuen Katalog des Prager
Nationalmuseums werden zwei Handschriften aus der Mitte des 12. Jahrhunderts kurz beschrieben, die nach Mitteilung des Vorbesitzers, Prof. Paul Ototzki,
von einem 'Rudolfus de Mondsee' in Wien geschrieben worden sein sollen[1];
ein Schreiber dieses Namens ist zwar tatsächlich im Skriptorium nachweisbar[2],
doch läßt sich weder bei Cod. X. F. 22, einem Gebetbuch, noch bei dem Psalter
Cod. XV F 26 eine engere Verwandtschaft mit Mondseer Arbeiten feststellen, die
eine Lokalisierung nach Oberösterreich stützen könnten. Gleiches gilt für den
aus dem nö. Kollegiatsstift Ardagger stammenden Cod. 238 der Stiftsbibliothek
Seitenstetten an, von dem aufgrund der Schrift eine Mondseer Entstehung im 3.
Viertel des 12. Jahrhunderts vermutet wurde[3]
- auch hier gibt es keine Parallelen im Buchschmuck[4].
Schließlich ist noch Cod. 58 der Stiftsbibliothek Göttweig aus der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts mit der Mondseer Buchmalerei in Beziehung gesetzt
worden[5],
doch ist fraglich, ob diese Handschrift überhaupt im heutigen Österreich
entstanden ist[6].
Die gesamte Provenienzgruppe Mondsee in der ÖNB ist 1967 von
C. Pfaff im Rahmen seiner Studie zum hochmittelalterlichen Skriptorium
durchsucht worden, die auch Fragmente im Oberösterreichischen Landesarchiv in
Linz einbezog. Obwohl seither in weiteren Linzer Beständen ebenfalls Überreste
von Mondseer Handschriften entdeckt worden sind[7],
beschränken sich alle illuminierten Neufunde ausschließlich auf den Wiener
Bestand. Kunsthistorisch gehören die hier vorgestellten Fragmente zu einer
Phase der Mondseer Buchmalerei im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts, die von
Kontakten mit dem Rheinland geprägt ist. Der dem Kloster 1127 bis 1145
vorstehende Abt Konrad wurde als Gefolgsmann des Regensburger Bischofs Kuno aus
Siegburg am Rhein[8] nach Mondsee
berufen, und damit wurde eine Verbindung geschaffen, die offenbar in der
Blütezeit des Skriptoriums im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts andauerte.
Bereits P. Wind hat darauf verwiesen, daß die Berücksichtigung der im Rheinland
verehrten Heiligen Eucharius, Valerius und Maternus im Mondseer Passionale
(Cod. 444) Einfluß aus diesem Gebiet voraussetzt, und er hat weiters Teile des
Initialstil in Cod. 444 und 723 von dort abgeleitet[9];
mit Cod. 791 läßt sich nun auch eine niederrheinische Importhandschrift
benennen, die im genannten Zeitraum nach Mondsee kam.
Wenn auch derzeit keine illuminierte Mondseer Handschrift
der Romanik außerhalb der ÖNB namhaft gemacht werden kann, soll dennoch auf einen Codex
verwiesen werden, der unmittelbar in den skizzierten Zusammenhang gehört.
Bereits K. Holter hat bei dem aus dem oö. Benediktinerstift Lambach stammenden
Cod. 1115 der Stiftsbibliothek Göttweig darauf hingewiesen, daß ein Teil der
Ausstattung von einer Hand geschaffen wurde, die sonst im Lambacher Skriptorium
nicht nachweisbar ist[10].
Die rheinländisch geprägten Initialen stimmen stilistisch ganz eng mit solchen
im Mondseer Cod. 444, (fol. 3r, 14v)[11]
überein: Abgesehen von der gleichartigen Behandlung der Blattformen durch
modellierende Schraffierung und dem Betonen der gebogten Blatt- und Blütenenden
durch Kreise oder Halbkreise werden z.T. identische Blattformen verwendet, aber
zu anderen Motiven zusammengesetzt (vgl. vor allem die plastischen
Profilblätter fol. 13r, 27v); gut vergleichbar sind auch die etwas zerknautscht
wirkenden, die Initialleisten plastisch umfassenden Schließen. Damit ist
höchstwahrscheinlich, daß ein Mondseer Maler gemeinsam mit Lambacher Händen den
Codex geschaffen hat, der, da die Handschrift um 1200 im Lambacher
Bücherverzeichnis genannt wird[12],
wohl für Lambach bestimmt war[13].
Cod. 444, fol. 3r | Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 1115, fol. 13r |
Cod. 444, fol. 14v | Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 1115, fol. 27v |
[1] Brodský, Katalog Iluminovaných Rukopisu Knihovny Národního Muzea v Praze, Praha 2000, Nr. 215 (Cod. XV F 22) und 217 (Cod. XV F
26), mit Abb.
[2] In Cod. 723 - vgl. vor allem Pfaff, Mondsee, 1967,
97f. mit älterer Literatur.
[3] B. Wagner, Archiv und Bibliothek des Stiftes
Ardagger, in: Kollegiatstift Ardagger. Beiträge zu Geschichte und
Kunstgeschichte (Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 3), St.
Pölten 1999, 17-29, bes. 19f., Abb. 3 und 4.
[4] Dem Inhalt nach wäre eine Entstehung in Ardagger
selbst möglich.
[5] G. M. Lechner, 1000 Jahre Buchmalerei in Göttweig,
Göttweig 1996, Nr. C 3. Die hier in die zwei letzten Jahrzehnte des 13.
Jahrhunderts datierte Handschrift stammt aus dem Besitz einer "Magdalena
Hawserin", die sie - offenbar als Schloßherrin oder -bewohnerin (... in
dem Schloss daselbs ...) - zu ihrem und ihres Bruders Seelenheil einer der hl.
Maria und dem hl. Georg gewidmeten Schloßkapelle vermachte (fol. 1r); der von
Lechner genannte Name "wiegenreut (?)" kommt in diesem Eintrag nicht
vor.
[6] Im Kalender fehlt das Fest des hl. Kolomann.
[7] Holter, Mondsee, 1981, Nr. 11.20 (S. 455), hat auf ein weiteres, in der Bibliothek der Katholisch-Theologischen Hochschule verwahrtes Fragment verwiesen. In den Inkunabeln Mondseer Provenienz der OÖ. Landesbibliothek finden sich mehrere Fragmente - vgl. folgende Liste.
[8] Pfaff, Mondsee,
1967, 18.
[9]P. Wind, Aus der Schreibschule von St. Peter vom Anfang des 11. Jahrhunderts bis Anfang des 14. Jahrhunderts, in: Ausstellungskatalog 'Hl. Rupert von Salzburg 696-1996', Salzburg 1996, 376; er nennt als Vergleichsbeispiel Köln,
Schnütgen-Museum, Inv. Nr. G. 532. Mit den plastischen, im Profil
wiedergegebenen Blättern in Cod. 444 (fol. 3r) läßt sich besser Cod. 112 der
Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek in Köln vergleichen - siehe
Ausstellungskatalog 'Ornamenta ecclesiae II, Köln 1985, Nr. E 26 (S. 230).
[10] Holter, Lambach, 1989, Nr. VIII.24 (S. 206f.), Abb.
12 (statt fol. 122r fälschlich als 122v beschriftet) - Initialen des
'Mondseers' auf fol. 1r, 1v, 13r, 27v, 40r, 52r, 64v, 99r, 122r, 144r und 133v,
die Lambacher Hand auf fol. 85v und 111r.
[11] Vgl. Anm. 9.
[12] Rupertus Tuitiensis, De
gloria et honore Filii hominis super Mattheum - vgl. Paulhart,
Bibliothekskataloge, 1971, 57 mit Anm. 60.
[13] Stimmt diese Überlegung, wäre sie ein weiterer Beleg
für die vielfältigen Beziehungen und Kooperationen des Lambacher Skriptoriums
zu bzw. mit anderen Benediktinerklöstern wie Kremsmünster und Melk - zu diesem
Themenkomplex hat A. Haidinger eine Untersuchung angekündigt (Haidinger /
Glaßner, Melk, 1996, 88).