Mondsee

(Benediktinerkloster in Oberösterreich, gegründet 748, aufgehoben 1791)

Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand besitzt die Österreichische Nationalbibliothek alle Zeugnisse der romanischen Buchmalerei des oö. Benediktinerklosters. In der jüngeren Literatur sind zwar einige Handschriften mit Mondsee in Zusammenhang gebracht worden, doch bei keiner ist die Entstehung in Mondsee wahrscheinlich: Im neuen Katalog des Prager Nationalmuseums werden zwei Handschriften aus der Mitte des 12. Jahrhunderts kurz beschrieben, die nach Mitteilung des Vorbesitzers, Prof. Paul Ototzki, von einem 'Rudolfus de Mondsee' in Wien geschrieben worden sein sollen[1]; ein Schreiber dieses Namens ist zwar tatsächlich im Skriptorium nachweisbar[2], doch läßt sich weder bei Cod. X. F. 22, einem Gebetbuch, noch bei dem Psalter Cod. XV F 26 eine engere Verwandtschaft mit Mondseer Arbeiten feststellen, die eine Lokalisierung nach Oberösterreich stützen könnten. Gleiches gilt für den aus dem nö. Kollegiatsstift Ardagger stammenden Cod. 238 der Stiftsbibliothek Seitenstetten an, von dem aufgrund der Schrift eine Mondseer Entstehung im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts vermutet wurde[3] - auch hier gibt es keine Parallelen im Buchschmuck[4]. Schließlich ist noch Cod. 58 der Stiftsbibliothek Göttweig aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit der Mondseer Buchmalerei in Beziehung gesetzt worden[5], doch ist fraglich, ob diese Handschrift überhaupt im heutigen Österreich entstanden ist[6].

Die gesamte Provenienzgruppe Mondsee in der ÖNB ist 1967 von C. Pfaff im Rahmen seiner Studie zum hochmittelalterlichen Skriptorium durchsucht worden, die auch Fragmente im Oberösterreichischen Landesarchiv in Linz einbezog. Obwohl seither in weiteren Linzer Beständen ebenfalls Überreste von Mondseer Handschriften entdeckt worden sind[7], beschränken sich alle illuminierten Neufunde ausschließlich auf den Wiener Bestand. Kunsthistorisch gehören die hier vorgestellten Fragmente zu einer Phase der Mondseer Buchmalerei im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts, die von Kontakten mit dem Rheinland geprägt ist. Der dem Kloster 1127 bis 1145 vorstehende Abt Konrad wurde als Gefolgsmann des Regensburger Bischofs Kuno aus Siegburg am Rhein[8] nach Mondsee berufen, und damit wurde eine Verbindung geschaffen, die offenbar in der Blütezeit des Skriptoriums im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts andauerte. Bereits P. Wind hat darauf verwiesen, daß die Berücksichtigung der im Rheinland verehrten Heiligen Eucharius, Valerius und Maternus im Mondseer Passionale (Cod. 444) Einfluß aus diesem Gebiet voraussetzt, und er hat weiters Teile des Initialstil in Cod. 444 und 723 von dort abgeleitet[9]; mit Cod. 791 läßt sich nun auch eine niederrheinische Importhandschrift benennen, die im genannten Zeitraum nach Mondsee kam.

Wenn auch derzeit keine illuminierte Mondseer Handschrift der Romanik außerhalb der ÖNB namhaft gemacht werden kann, soll dennoch auf einen Codex verwiesen werden, der unmittelbar in den skizzierten Zusammenhang gehört. Bereits K. Holter hat bei dem aus dem oö. Benediktinerstift Lambach stammenden Cod. 1115 der Stiftsbibliothek Göttweig darauf hingewiesen, daß ein Teil der Ausstattung von einer Hand geschaffen wurde, die sonst im Lambacher Skriptorium nicht nachweisbar ist[10]. Die rheinländisch geprägten Initialen stimmen stilistisch ganz eng mit solchen im Mondseer Cod. 444, (fol. 3r, 14v)[11] überein: Abgesehen von der gleichartigen Behandlung der Blattformen durch modellierende Schraffierung und dem Betonen der gebogten Blatt- und Blütenenden durch Kreise oder Halbkreise werden z.T. identische Blattformen verwendet, aber zu anderen Motiven zusammengesetzt (vgl. vor allem die plastischen Profilblätter fol. 13r, 27v); gut vergleichbar sind auch die etwas zerknautscht wirkenden, die Initialleisten plastisch umfassenden Schließen. Damit ist höchstwahrscheinlich, daß ein Mondseer Maler gemeinsam mit Lambacher Händen den Codex geschaffen hat, der, da die Handschrift um 1200 im Lambacher Bücherverzeichnis genannt wird[12], wohl für Lambach bestimmt war[13].


Cod. 444, fol. 3r

Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 1115, fol. 13r
 

Cod. 444, fol. 14v

Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 1115, fol. 27v

(FS)


[1] Brodský, Katalog Iluminovaných Rukopisu Knihovny Národního Muzea v Praze, Praha 2000, Nr. 215 (Cod. XV F 22) und 217 (Cod. XV F 26), mit Abb.

[2] In Cod. 723 - vgl. vor allem Pfaff, Mondsee, 1967, 97f. mit älterer Literatur.

[3] B. Wagner, Archiv und Bibliothek des Stiftes Ardagger, in: Kollegiatstift Ardagger. Beiträge zu Geschichte und Kunstgeschichte (Beiträge zur Kirchengeschichte Niederösterreichs 3), St. Pölten 1999, 17-29, bes. 19f., Abb. 3 und 4.

[4] Dem Inhalt nach wäre eine Entstehung in Ardagger selbst möglich.

[5] G. M. Lechner, 1000 Jahre Buchmalerei in Göttweig, Göttweig 1996, Nr. C 3. Die hier in die zwei letzten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts datierte Handschrift stammt aus dem Besitz einer "Magdalena Hawserin", die sie - offenbar als Schloßherrin oder -bewohnerin (... in dem Schloss daselbs ...) - zu ihrem und ihres Bruders Seelenheil einer der hl. Maria und dem hl. Georg gewidmeten Schloßkapelle vermachte (fol. 1r); der von Lechner genannte Name "wiegenreut (?)" kommt in diesem Eintrag nicht vor.

[6] Im Kalender fehlt das Fest des hl. Kolomann.

[7] Holter, Mondsee, 1981, Nr. 11.20 (S. 455), hat auf ein weiteres, in der Bibliothek der Katholisch-Theologischen Hochschule verwahrtes Fragment verwiesen. In den Inkunabeln Mondseer Provenienz der OÖ. Landesbibliothek finden sich mehrere Fragmente - vgl. folgende Liste.

[8] Pfaff, Mondsee, 1967, 18.

[9]P. Wind, Aus der Schreibschule von St. Peter vom Anfang des 11. Jahrhunderts bis Anfang des 14. Jahrhunderts, in: Ausstellungskatalog 'Hl. Rupert von Salzburg 696-1996', Salzburg 1996, 376; er nennt als Vergleichsbeispiel Köln, Schnütgen-Museum, Inv. Nr. G. 532. Mit den plastischen, im Profil wiedergegebenen Blättern in Cod. 444 (fol. 3r) läßt sich besser Cod. 112 der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek in Köln vergleichen - siehe Ausstellungskatalog 'Ornamenta ecclesiae II, Köln 1985, Nr. E 26 (S. 230).

[10] Holter, Lambach, 1989, Nr. VIII.24 (S. 206f.), Abb. 12 (statt fol. 122r fälschlich als 122v beschriftet) - Initialen des 'Mondseers' auf fol. 1r, 1v, 13r, 27v, 40r, 52r, 64v, 99r, 122r, 144r und 133v, die Lambacher Hand auf fol. 85v und 111r.

[11] Vgl. Anm. 9.

[12] Rupertus Tuitiensis, De gloria et honore Filii hominis super Mattheum - vgl. Paulhart, Bibliothekskataloge, 1971, 57 mit Anm. 60.

[13] Stimmt diese Überlegung, wäre sie ein weiterer Beleg für die vielfältigen Beziehungen und Kooperationen des Lambacher Skriptoriums zu bzw. mit anderen Benediktinerklöstern wie Kremsmünster und Melk - zu diesem Themenkomplex hat A. Haidinger eine Untersuchung angekündigt (Haidinger / Glaßner, Melk, 1996, 88).




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