Göttweig

(Niederösterreich; 1083 als Chorherrenstift gegründet, 1094 in ein Benediktinerkloster umgewandelt)

Die romanische Buchmalerei Göttweigs (NÖ.) ist bis zum Zeitraum um 1200 von W. Telesko monographisch behandelt worden[1]. Die chronologische Ordnung der Handschriften spielt in dieser Untersuchung keine größere Rolle, die Entstehungszeit der behandelten Handschriften wird ab etwa 1160 bis um 1200 vermutet[2]. Allerdings zeigt der in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigte Traditionscodex B des Stiftsarchivs (Signatur GA A II-2) mit drei Rankeninitialen (fol. 9r, 9v und 20v) im 1135/36 datierbaren Grundstock[3], daß die Herstellung illuminierter Bücher in Göttweig spätestens im 2. Viertel des 12. Jahrhunderts einsetzte. Die Initialen des Traditionskodex B gehören stilistisch einer relativ großen Gruppe 'schwäbisch beeinflußter' Handschriften[4] mit Knollenblattrankeninitialen in unterschiedlichen Varianten an, der sich hier auch Cod. 748, 749, 1001 und 1582 zuordnen lassen. Teilweise werden Codices der Gruppe bis in das 4. Viertel des 12. Jahrhunderts datiert[5], doch gibt es weder von Buchschmuck und Schrift als auch vom Inhalt her Argumente dafür, daß diese Handschriften überhaupt noch im späteren dritten Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden sind. Einen zeitlichen Anhaltspunkt bietet z.B. das vor 1173 datierbare, in Göttweig entstandene Missale in Vorau (Stiftsbibliothek, Cod. 303)[6], dessen Initialen mit den Göttweiger Codices 49 und 119 zusammenhängen[7] und sich deutlich von der 'schwäbischen Gruppe' absetzen; eine ebenfalls mit dem Vorauer Missale und den genannten Codices im Initialstil verwandte Handschrift, Cod. 181 in Göttweig[8], ist aus inhaltlichen Gründen frühestens um 1170 anzusetzen[9] - damit ist das Abgehen von Knollenblattrankeninitialen in Göttweig sicher im Zeitraum um 1170, vermutlich aber schon früher anzunehmen - die hier mangels einer verläßlichen Chronologie vorgeschlagenen Datierungen für Cod. 748, 749, 1001, 1582 und der zum Vergleich genannten Handschriften bedürfen daher einer Überprüfung, die am besten nochmals alle Handschriften miteinbezieht. Auch Codices aus der 'süddeutschen Gruppe' wie Cod. 95 und 111 in Göttweig[10], denen sich stilistisch mit Cod. 156 der Stiftsbibliothek Lilienfeld[11] und Cod. 807 weitere Göttweiger Handschriften zuordnen lassen, sind nicht erst um 1170/80 (Cod. 95) bzw. im späten 12. Jahrhundert (Cod. 111), sondern bereits im 2. Jahrhundertviertel entstanden.

Eine andere Problematik, die nur angedeutet werden soll, ergibt sich bei Cod. 2176 und 2177, die hier ebenfalls Göttweig zugeordnet werden: Beide sind in Teilen ihrer Ausstattung engstens mit dem Cod. 99 der Stiftsbibliothek Göttweig verwandt, der zusammen mit Cod. 96 und 119 in Göttweig und Cod. 691 und 702 in Wien einer 'regensburg-prüfeningischen' Handschriftengruppe[12] zugerechnet wird, doch sind stilistische Beziehungen zu Prüfeninger Codices[13] so gering, daß ein Einfluß von dort zu bezweifeln ist. Zu untersuchen wären dagegen Verbindungen mit der steirischen Buchmalerei, insbesondere Admont, da in den Wiener Cod. 2176 (fol. 20r) und Cod. 691 (fol. 26r)[14] Details wie kleine, in Blätter eingelegte Früchte auf Kontakt mit der Admonter Buchmalerei schließen lassen. Zwischen 1157 und 1174 stand der Admonter Stiftspriester Johannes I. dem Kloster als Abt vor[15], und schon A. Fuchs hat bei seiner Analyse des Traditionscodex B vermutet, daß in dieser Zeit in Admont ausgebildete Schreiber, darunter vielleicht der Abt selbst, in Göttweig tätig waren[16]. Es ist anzunehmen, daß auch Bücher aus Admont nach Niederösterreich kamen. Ein Importwerk hat sich höchstwahrscheinlich mit Cod. 109 der Stiftsbibliothek Göttweig[17] erhalten, der durch einen Besitzvermerk auf fol. 154v schon im 12. Jhdt. in Göttweig nachweisbar ist: Die Betonung des Umrisses der Figuren, die Modellierung des Gewandes mit parallelen, 'kammstrichartigen' Linien sowie die einzelnen Gesichtstypen in der Miniatur mit dem Martyrium des hl. Blasius auf fol. 1r hängen eindeutig mit Admonter Arbeiten des 3. Viertels des 12. Jahrhunderts wie z.B. Cod. 92 (fol. 1r) der Stiftsbibliothek Admont[18] zusammen. Gleiches gilt für die einzige Initiale auf fol. 133v, zu der Göttweiger Parallelen fehlen: Das Durchzeichnen des Initialkörpers mit feinen Linien und die plastisch wiedergegebenen Blätter mit eingelegten kreuzschraffierten Früchten finden sich z.B. im Cod. 83 der Admonter Stiftsbibliothek[19] auf fol. 1v. Schließlich sprechen auch inhaltliche Gründe für eine Entstehung in Admont - der hl. Blasius, dessen Vita den ersten Text bildet, ist Hauptpatron des steirischen Benediktinerklosters, und die Vita Basilii am Schluß des Codex war in Göttweig schon in Cod. 31 vorhanden[20], so daß es keiner neuen Abschrift bedurft hätte.
Aufgrund dieser Beziehungen ist sehr wahrscheinlich, daß weitere Nachforschungen noch mehr Gemeinsamkeiten in der Buchkunst Admonts und Göttweigs ergeben werden.


Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 92, fol. 1r


Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 109, fol. 1r

 

 


Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 83, fol. 1v


Vgl. Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 109, fol. 133v

Bei dem Versuch, die Neuzuschreibung der Codices der ÖNB an das Skriptorium des niederösterreichischen Benediktinerstifts über den kunsthistorischen Befund hinaus abzusichern, ergab sich, daß sich keine Handschrift mit den in der sogenannten Bücherschenkung des 'Frater Heinricus' verzeichneten Texten identifizieren läßt (Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 33, fol. 148v). Der Umstand, daß von den ca. 50 dort aufgezählten nur drei Handschriften in bzw. aus Göttweig belegbar sind und das Stift namentlich nicht genannt wird, hat schon öfter dazu geführt, den Göttweiger Ursprung des Verzeichnisses und damit auch von Cod. 33 in Frage zu stellen[21], und es gibt auch nun keine Argumente, die für eine lokale Entstehung sprächen.

Immerhin läßt sich bei drei Handschriften - Cod. 748, 749 und 1001 - anhand der Einbände nachweisen, daß sie sich im 15. Jahrhundert in der Stiftsbibliothek befunden haben. Charakteristisch für eine Gruppe von Göttweiger Einbänden, der diese Handschriften angehören, sind Streicheisenlinien, die - jeweils dreifach - einen Rahmen bilden und die Deckel mit meist zwei Diagonalen unterteilen. Das auffallendste Merkmal ist das kreisförmige Gruppieren von eher unspezifischen Einzelstempeln in den Zwickelfeldern und/oder beim Schnittpunkt der Diagonalen. Diese Einbände vertreten vermutlich eine frühe Stufe des Göttweiger Bucheinbands (Stempel Nr. 1-9), der dann eine von den Motiven her etwas anspruchsvollere folgt (Nr. 10-23). Die zusammengestellten Stempel stellen allerdings nur eine Auswahl dar, die von romanischen Handschriften abgerieben wurden - eine Detailuntersuchung ist noch ausständig.

 


Einzelstempel auf Göttweiger Einbänden - Auswahl

Einen weiteren Hinweis auf Göttweiger Provenienz bieten Nähte im Pergament. Das Vernähen von Löchern und Rissen ist im ÖNB-Bestand an romanischen Handschriften öfters zu beobachten, wesentlich seltener ist das Annähen oder Ersetzen von ab- bzw. ausgerissenen Partien, die sich zumeist am unteren Rand eines Blattes befinden. In Cod. 702 (fol. 148, 152), Cod. 784 (fol. 33) und Cod. 2177 (fol. 62), alle im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden, finden sich vereinzelt Nähte mit grünen, roten und dunkelvioletten Fäden, die sich in regelmäßigen Abständen keilförmig erweitern - bei Cod. 984 hat der Schreiber den Riß und offenbar auch die Naht (oder zumindest den Raum dafür) berücksichtigt, in Cod. 2177 erfolgte das Nähen nach dem Abschreiben, wobei zugunsten des Musters wenig Rücksicht auf die Schrift genommen wird. Gleichartig ausgeführte Nähte, nun mit grünen, rosa, gelben und beigen Fäden, finden sich wesentlich häufiger in Cod. 2442 aus dem frühen 13. Jahrhundert und in den etwa gleichzeitigen Cod. 57, 1059 und 1060, die mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls in Göttweig entstanden sind.[22]


Cod. 984, fol. 14

Cod. 2177, fol. 62

Cod. 2442, fol. 53

Cod. 1060, fol. 11

Cod. 2442, fol. 73

Cod. 2442, fol. 82

Cod. 57, fol. 76

Cod. 1060, fol. 31

(FS)



[1] W. Telesko, Göttweiger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts - Studien zur Handschriftenproduktion eines Reformklosters (Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Ergänzungsband 37), St. Ottilien 1995.

[2] Ebenda, 33.

[3] A. Fuchs, Die Traditionsbücher des Benediktinerstiftes Göttweig (Fontes Rerum Austriacarum 2. Abteilung, Band 69), Wien 1931, bes. 5-14; die Initiale von fol. 9r (D) auf Tafel I. - Ausstellungskatalog "900 Jahre Stift Göttweig. Ein Donaustift als Repräsentant benediktinischer Kultur", Bad Vöslau 1983, Nr. 12 (Ch. Tropper), mit Farbabbildung von fol. 9v.

[4] Telesko, Göttweig, 1995,33.

[5] Z.B. Cod. 42 oder 44 der Stiftsbibliothek Göttweig - Telesko, Göttweig, 1995, 94-98.

[6] Zuletzt W. Telesko, Die Buchmalerei in den Reformklöstern des Hochmittelalters, in: H. Fillitz (Hrsg.), Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 1, Früh- und Hochmittelalter, München - New York 1998, Kat.-Nr. 232, mit älterer Literatur - Abbildungen von Initialen bei P. Buberl, Die illuminierten Handschriften in der Steiermark, Teil 1: Die Stiftsbibliotheken zu Admont und Vorau (Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich IV), Leipzig 1911, Nr. 233, und M. Mairold, Die datierten Handschriften in der Steiermark außerhalb der Universitätsbibliothek Graz bis zum Jahre 1600 (Katalog der datierten Handschriften in lateinischer Schrift in Österreich VII), Text- und Tafelband, Wien 1988, Nr. 266, Abb. 29-31.
Eine ganz eng mit dem Kanonbild verwandte Griffelzeichnung enthält Cod. 97 (fol. 105v) in Göttweig (vgl. Telesko [zit. Anm. 7], Abb. 448); vermutlich handelt es sich hier um eine Skizze zu dieser oder einer verlorenen Kreuzigungsdarstellung. Thematisch vergleichbar ist eine von einem Melker Zeichner des beginnenden 13. Jahrhunderts in Cod. 405 (fol. 1r) der Stiftsbibliothek Melk nachgetragene Federzeichnung mit Christus am Kreuz - da seitlich des Kreuzes die Namen von Maria und Johannes eingetragen sind, scheint auch diese Zeichnung eine Vorstudie zu Kreuzigungsdarstellungen zu sein, wie sie z.B. der stilistisch unmittelbar zusammenhängende Cod. 14 der Diözesanbibliothek in St. Pölten auf fol. 5v enthält (vgl. Ausstellungskatalog 'Die Gotik in Niederösterreich', Krems-Stein 1959, Kat. Nr. 81 [G. Schmidt], Abb. 7).

[7] Zahlreiche Abbildungen der genannten Göttweiger Handschriften finden sich bei W. Telesko, Göttweiger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts - Studien zur Handschriftenproduktion eines Reformklosters, Diss. phil. Wien 1993 (masch.).

[8] Wie Anm. 7.

[9] Die glossierte Kurzfassung des Decretum Gratiani 'Exceptiones ecclesiasticarum regularum' auf fol. 32vb-95ra ist nach Weigand um 1170 entstanden- siehe R. Weigand, Die Dekretabbrevatio "Exceptiones ecclesiasticarum regularum" und ihre Glossen, in: Cristianitè ed Europa. Miscellanea di studi in onore di Luigi Prosdocimi a cura di Cesare Alzati. Bd. I/2, Rom 1994, 511-529, bes. 525. - Die vermeintliche Abhängigkeit des Figurenstils vom Schäftlarner Clm 17161 in München (Telesko, Göttweig, 1995, 163) ist eher daraus zu erklären, daß diese Handschrift ein Decretum Gratiani überliefert und in Göttweig eine ikonographisch zum Teil verwandte Vorlage für dessen Kurzfassung verwendet wurde.

[10] Telesko, Göttweig, 1995, 33, 131-133 und 151-153.

[11] Zur Handschrift siehe die 1996 und 1997 im Internet publizierten Listen zu den Handschriften in Lilienfeld von A. Haidinger und F. Lackner sowie M. Roland, Buchschmuck in Lilienfelder Handschriften. Von der Gründung des Stiftes bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 22). Wien 1996, 17, mit dem Hinweis auf Südwestdeutschland.

[12] Telesko, Göttweig, 1995, 33.

[13] Ebenda, 139f.

[14] Vgl. Hermann, Handschriften, 1926, Nr. 121, Fig. 125 - Telesko, Göttweig, 1995, Abb. 40.

[15] J. Wichner, Das Benedictiner-Stift Admont in Steiermark in seinen Beziehungen zu Niederösterreich, Separat-Abdruck aus den Blättern des Vereines für Landeskunde von Niederösterreich 1894, 4 - Telesko, Göttweig, 1995, 21 Anm. 66.

[16] Fuchs, Traditionsbücher, 1932, 13 und 490.

[17] Literaturstand zusammengefaßt bei Telesko, Buchmalerei, 1998, Nr. 235.

[18] Zur Handschrift siehe Buberl, Steiermark, 1911, Nr. 32.

[19] Buberl, Steiermark, 1911, Nr. 66.

[20] Vgl. Telesko, Göttweig, 1995, 74f.

[21] Gottlieb, Bibliothekskataloge, 1915, 9-12 - Zusammenstellung von kritischen Stellungnahmen bei V. I. J. Flint, The career of Honorius Augustodunensis, in: Revue Bénédictine 82 (1972), 64f.

[22] Zu Cod. 57 siehe Hermann, Handschriften, 1926, Nr. 367 mit Fig. 222: Die nicht fertig ausgestattete Handschrift besitzt nur eine ungewöhnliche Deckfarbeninitiale, die keine Göttweiger Parallelen hat. Cod 1059 und 1060 waren, wie u.a. die spätmittelalterliche Foliierung ergibt, ursprünglich zusammengebunden. Alle drei Handschriften stammen aus dem Besitz des Wolfgang Lazius.




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