Cod. 1558 (Theol. 321)

Arno (und Gerhoch) von Reichersberg

Böhmen (?), 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts (ca. 1145/50 - 1169)

Pergament. 186 Blätter, 27 x 17 cm. Kustoden: Buchstaben und Zahlen am Lagenende (A-N, A-E, vi-x).

Einband: Hellbraunes, ehemals weißes Leder über Holzdeckeln; Spuren von zwei Schließen und je fünf kreisrunden Beschlägen auf VD und HD, am VD unten (innen Rost) zusätzlich Spuren eines Beschlags für eine Kette. Am VD Signaturschild 'D 12' des 15. Jahrhunderts (Prag, Karolinum ?), am HD zwei Titelschilder des 15. Jahrhunderts, am Rücken, der oben z.T. mit orangerotem Papier überklebt ist, beschädigte Schilder der Hofbibliothek. Schnitt rot gefärbt.

Provenienz: Die Handschrift stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem 1120 gegründeten, 1490 zuletzt nachgewiesenen böhmischen Benediktinerkloster St. Peter und Paul in Vilemov (Willimov, dt. Wölmsdorf) in der Diözese Prag (dazu siehe Cottineau, Repertoire topo-bibliographique, 1937, 3455): Die auf fol. 1r oben eingetragene Signatur stimmt im Typus mit Cod. 740 überein, der als Spiegelblatt des VD ein an Abt und Konvent von Vilemov gerichtetes Schreiben aus dem Jahr 1353 besitzt. Beide Handschriften kamen später in das Karolinum an der Prager Universität und wurden dort mit 47 weiteren Codices von Kaspar von Niedbruck 1557 nach Wien entlehnt; nach dem plötzlichen Tod Niedbrucks im selben Jahr gelangten sie an die Hofbibliothek. Die Nummer '49' des Entlehnverzeichnisses Niedbrucks - dazu siehe Schwarzenberg - ist am VD-Spiegel unten und am HD-Spiegel oben (kopfstehend) eingetragen. Durch die Blotius-Signatur 'M 3868' ist die Handschrift seit 1576 in der Hofbibliothek nachweisbar.


Cod. 1558, Signatur auf fol. 1r

Vgl. Cod. 740, Signatur am VD-Spiegel


Inhalt: Foll. 1v-11r Arno von Reichersberg, Traktat über das Predigtamt (Inc.: Diversa diversorum invenientur officia ... dazu Classen, 446) - ff. 11v-102v Arno von Reichersberg (unter Mitwirkung von Gerhoch v. R.), 23 Sermones zur Advents- und Weihnachtszeit (= Gerhoch v. R., Opus 21 - dazu Classen, 428-431) - ff. 103r-186r Arno von Reichersberg, 12 Sermones für die Zeit von Fastenbeginn bis Ostern (= Gerhoch v. R., Opus 21 - dazu Classen, 428-431).

Buchschmuck: Rote Überschriften. Meist zweizeilige rote oder blaue Majuskeln mit konturbegleitenden, gebogten Linien und einfachem Dekor aus Punkten und Kreisen in Blau, Grün oder Rot (als Textanschluß der nicht ausgeführten Initiale fol. 11v). Dreizeilige rot-blau oder rot-grün gespaltene Silhouetten-Initialen mit Punktverdickungen (z.B. fol. 24v, 27r). Bedeutendere zwei- bis vierzeilige Silhouetten-Initialen auf fol. 5v, 16r, 19v, 108v und 128r: roter Buchstabenkörper mit blauen gebogten konturbegleitenden Linien; im Binnenfeld rote Gesichter (fol. 5v, 16r) oder eingerollte Fadenranken (blau oder rot) mit tropfen- oder lilienförmigen Blattformen (grün, blau oder rot). Auf fol. 1v, 11v u. 53r ist Raum für sieben- bis zehnzeilige Initialen ausgespart.

Stil und Einordnung: Aus inhaltlichen Gründen ist die Handschrift laut Classen (431) frühestens um 1145/50 entstanden, die vermutete Entstehung in Reichersberg läßt sich aufgrund der westlich beeinflußten Schrift und des Buchschmucks jedoch nicht stützen. Wegen der Herkunft aus Böhmen besteht die Möglichkeit, daß der Codex auch dort geschrieben und (unvollständig) ausgestattet worden ist. Eine historische Verbindung zwischen Böhmen und Reichersberg bestand durch Gerhoch von Reichersberg, der um 1142/43 im Gefolge eines päpstlichen Legaten in Böhmen und Mähren tätig war (dazu Classen, 104ff.). Falls es sich bei den Randvermerken auf fol. 49v-50r wie von Classen vermutet tatsächlich um die Hand Gerhochs handelt, ist der Codex spätestens in dessen Todesjahr 1169 zu datieren.


Cod. 1558, fol. 16r
 

Cod. 1558, fol. 19v
 

Cod. 1558, fol. 108v
 


Literatur: P. Classen, Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie. Mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chronologie. Wiesbaden 1960, bes. 428-431 u. 446. - K. Schwarzenberg, Bücher der Österreichischen Nationalbibliothek aus dem Prager Karolinum, in: Biblos 19 (1970), H. 2, 97-103 - Weitere Literaturverweise finden Sie hier.

(FS)

angelegt im Dezember 2006

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