Cod. 861 (Theol. 739)

Theologische Sammelhandschrift

Göttweig, 1. Viertel des 13. Jahrhunderts

Pergament (Vor- und Nachsatzblätter Papier). II+96+I* Blätter. 18 x 10,5 cm. Kustoden (röm. Zahlen) an Lagenanfang und -ende.

Einband: Glatter wei�er Pergamentband über Pappdeckel mit Handvergoldung aus der Ära des Hofbibliothekars Gerard van Swieten (Wien, 1755).

Provenienz: Auf fol. 1r mehrere Besitzvermerke (siehe Abb.): Oben das Monogramm "TW", die Jahreszahl 1487 und Verse; darunter der Eintrag von Johann Gremper in Wien, der die Handschrift am 27. Jänner 1519 erwarb. Von Gremper, dem Sekretär Johannes Cuspinians (1473-1529), kam die Handschrift in den Besitz Cuspinians, der sein Monogramm und die Signatur '436' unter Grempers Einträge setzte. Dann befand sich die Handschrift in der Bibliothek des Wiener Bischofs Johannes Fabri (1530-41), wie aus Einträgen seines Sekretärs Johannes Dorn auf fol. 1v und 96v hervorgeht; Cod. 861 war danach vermutlich im Kollegium St. Nikolaus in Wien, dem Fabri seine Bibliothek vermachte und gelangte offenbar von dort in die Hofbibliothek, wo er sich mit Nr. 'O 4459' im 1576 Katalog erstellten Blotius-Katalog identifizieren läßt (Menhardt); die von Csapodi angenommene Herkunft aus der Bibliothek des Matthias Corvinus ist nicht belegbar (siehe Mazal).

Inhalt: Fol. IIv Inhaltsangabe sowie Notizen zu Epidemien und Unglücksfällen des Jahres 1502 (16. Jhdt.) - ff. 2r-7v Albuinus monachus Gorziensis OSB, De antichristo, quomodo nasci debeat (Stegmüller Nr. 880,2) - ff. 7v-92r Iulianus Toletanus, Prognosticorum futuri saeculi libri III - ff. 92v-94r Liber formularum - ff. 94v-95v Carmina burana 101 (bis "... fit nichil ex aliquo").

Buchschmuck: Rote Überschriften. Textanschluß rot dekoriert (fol. 2r, 59r) oder mit abwechselnd schwarzen und roten Majuskeln (fol. 8r). Rote Paragraphzeichen, ein- bis siebenzeilige rote Majuskeln mit einfachem Dekor; aufwendiger mit Silhouettenranken auf fol. 45v, 46v, 63v, 65r, 68v, 71v, 72v, 75v, 77v, 79v, 82r, 83r, 85r und 91r.
Fünf ca. drei- bis zehnzeilige Initialen: fol. 2r sepiabraune Initiale H, der Stamm aus verflochtenen Schlangen auf rotem Grund, der mit einem Blattmotiv besetzte Halbbogen von einer gewundenen Schlange ersetzt; fol. 8r rote Rankeninitiale D; fol. 31v rote, tw. sepiabraun nachkonturierte Initiale U, deren linker Bogen von einem Drachen ersetzt wird; fol. 56r rote Rankeninitiale Q; fol. 59r rot und sepiabraun gezeichnete Initiale I, gebildet von einem rankenspeienden Drachen.

Cod. 861, fol. 1r

Stil und Einordnung: Die Lokalisierung nach Göttweig ergibt sich aus dem Stil der Silhouetteninitialen, deren Ausführung unmittelbar mit einer Gruppe von Göttweiger Handschriften aus dem letzten Viertel des 12. Jhdts. zusammenhängt: Cod. 446 (fol. 1r), Cod. 702 (z.B. fol. 142v [Fig. 126 bei Hermann]), Cod. 2176 (fol. 106r), Cod. 2177 (fol. 1r) und Göttweig, Stiftsbibliothek, Cod. 39 (fol. 37r). Die Rankeninitialen auf fol. 8r und 31v zeigen mit einzelnen Blattformen - z.B. die eingedrehten, gebogten Rankenabschlüsse - und ihrer Modellierung durch feine Strichel noch Eigenheiten älterer Arbeiten (vgl. z.B. Cod. 2177, fol. 92r).


Cod. 861, fol. 65r

Cod. 861, fol. 91r

Vgl. Cod. 2176, fol. 106r


Cod. 861, fol. 8r

Vgl. Cod. 2177, fol. 92r

Cod. 861, fol. 59r

Cod. 861, fol. 83v


Literatur: H. v. Ankwicz, Magister Johannes Gremper aus Rheinfelden, ein Wiener Humanist und Bibliophile des XVI. Jahrhunderts, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 30 (1913), 208, 214, 215 - Hermann, Handschriften, 1926, Nr. 181 - H. Ankwicz-Kleehoven, Die Bibliothek des Dr. Johann Cuspinian, in: Die Österreichische Nationalbibliothek. Festschrift zur 25jährigen Diensttätigkeit des Gen.Dir. Dr. Josef Bick. Wien 1948, 215, 217 (Abb.- 5), 218 - Menhardt, Blotius, 1957, 66, 110 - M. C. Diaz y Diaz, Index scriptorum latinorum medii aevi Hispanorum. 2 Bde. Salamanca 1958-59, Nr. 270-272 - E. Trenkler, War Kaiser Maximilian II. (1564-1576) tatsächlich der Gründer der Hofbibliothek, in: Biblos. Österreichische Zeitschrift für Buch- und Bibliothekswesen, Dokumentation und Bibliographie 19 (Wien 1970), 7 - B. Lambert, Bibliotheca Hieronyminiana manuscripta (Instrumenta Patristica 4) Bd. 4. Steenbrugge 1972, S. 160 (Nr. 657) - H. J. Beyer, Die "Aurea Gemma". Ihr Verhältnis zu den frühen Artes Dictandi. Inauguraldissertation. Bochum 1973, S. 12 - C. Csapodi / G. K. Csapod�ne, Bibliotheca Hungarica. K�dexek �s nyomtatott könyv�k Magyarorsz�gon 1526 el�tt. 1 Fönnmaradt kötetek. A-J. Budapest 1988, 53 - F. J. Worstbrock, M. Klaes u. J. Lütten, Repertorium der Artes dictandi des Mittelalters. Teil I: Von den Anfängen bis um 1200 (Münstersche Mittelalter-Schriften 66). München 1992, Nr. 47 - O. Mazal, Die Handschriften aus der Bibliothek des Königs Matthias Corvinus von Ungarn in der ÖNB, in: Byzanz, Islam, Abendland, Wien 1995, S. 288f.

(FS)



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