Biburg

(Benediktinerkloster in Bayern, 1132 gegründet, 1589 aufgelassen)

Das in der Diözese Regensburg gelegene Kloster ist im Jahr 1132 unter tatkräftiger Förderung des Bamberger Bischofs Otto I. von Konrad und Arno von Sittling-Biburg gegründet worden. Zum ersten Abt berief man den Bruder der Gründer, Eberhard (1133-1148), einen ehemaligen Bamberger Kanoniker, der von dort 1125 nach Prüfening gewechselt war, woher auch der Großteil der Gründungsmönche stammte[i].
Der Aufbau eines Skriptoriums dürfte relativ rasch erfolgt sein. Aus dem Jahr 1147 ist eine Bibel erhalten, die laut Kolophon von Eberhard gestiftet und von drei Schreibern in Biburg angelegt worden ist (München, Universitätsbibliothek, 2° Cod. ms. 28); ebenfalls durch ein Kolophon als Biburger Arbeit gesichert ist ein Homiliar, das Eberhard als Erzbischof von Salzburg im Jahr 1163 stiftete (München, Universitätsbibliothek, 2° Cod. ms. 15)[ii].

Beide Handschriften bilden den Anker für alle weiteren Zuschreibungen, die sich vor allem auf die Ausstattung stützen. Die Bibel besitzt zum Teil historisierte Deckfarbeninitialen, die in ihrer Ornamentik mit süddeutschen, im Figurenstil mit Salzburger Arbeiten zusammenhängen (z.B. fol. 1r, 4v, 6r, 36r, 61v, 79v)[iii] sowie Rankeninitialen in Federzeichnung, die stark rheinländisch beeinflußt sind (z.B. fol. 103v, 140v, 158v, 186r). Damit eng verwandt sind Rankeninitialen im Homiliar (fol. 1v, 128r), während weitere Initialen durch rohere Ausführung und verkümmerte rheinländische Grundformen qualitativ abfallen (z.B. 115v, 143r, 150r).
Der Stil dieser auf unterschiedlichem Niveau ausgeführten Rankeninitialen findet sich in einer Reihe von Handschriften unterschiedlicher Provenienz. Schon länger als Biburger Arbeiten gelten Clm 564 und 14375 der Bayerischen Staatsbibliothek in München[iv] sowie Cod. Hamilton 252 der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin[v], wobei besonders die beiden letztgenannten unmittelbar mit der Bibel von 1147 zusammenhängen.
In Wien lassen sich nun insgesamt neun Handschriften aus diesem Skriptorium benennen: Cod. 716, 878, 1023 und 1072, die an dieser Stelle schon 2001 als Biburger Arbeiten vorgestellt wurden, und Cod. 730, 738, 741, 1009 und 1017, die aus dem nur ca. 20 km von Biburg entfernten Benediktinerkloster Weltenburg stammen. Aufgrund der Weltenburger Besitzvermerke aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts galten Cod. 738, 741 und 1017 bislang als einzige erhaltene Zeugnisse der romanischen Buchmalerei Weltenburgs, dessen Bibliothek weitgehend vernichtet worden ist. Sowohl der Buchschmuck als auch andere Merkmale ermöglichen aber die Lokalisierung nach Biburg. Das Bindeglied zwischen den 'Weltenburger' Handschriften in Wien und den gesicherten Codices der UB München bildet Cod. 716. Seine Ausstattung zeigt einerseits fein gezeichnete Rankeninitialen in Federzeichnung, die engstens mit jenen der Biburger Bibel zusammenhängen, und andererseits Initialen, die das Formenvokabular der ersten Gruppe mit Einschränkungen nachahmen und wesentlich gröber mit einer stumpfen Feder (?) ausgeführt sind, was den oben beschriebenen schwächeren Initialen im Biburger Homiliar entspricht. Die Ausstattung von Cod. 741 aus Weltenburg besitzt nun genau dieselben Charakteristika - mit Biburger Einfluß auf eine allfällige Weltenburger Buchmalerei allein ist das nicht zu erklären.
Darüber hinaus weisen alle neun Handschriften in Wien Gemeinsamkeiten auf, die auf die Entstehung im selben Skriptorium hindeuten: Verwendet wird ein relativ grobes, oft löchriges Pergament, dessen Risse und Löcher zum Teil genäht sind (bzw. waren); oft sind die Löcher am Rand gelblich verfärbt und mit roter Tinte umzeichnet. Alle Codices sind - wie ein Teil der Biburger Bibel und das gesamte Homiliar - mit Silberstift liniert und zeigen bei der Seiteneinrichtung nur wenige Varianten. Auffallend ist weiters, daß in einzelnen Bereichen häufig Schreiber nach nur wenigen Zeilen wechseln, wobei ganz unterschiedliche, oft sehr unbeholfen wirkende Hände auftreten[vi]; das deutet darauf hin, daß die Handschriften bzw. einzelne Lagen im Schulbetrieb entstanden sind - die eher bescheidene Personalsituation[vii] und der Umstand, daß erst 1234 erstmals eine Schule genannt wird[viii], spricht wiederum gegen eine Entstehung in Weltenburg; viel eher ist anzunehmen, daß man mangels eines eigenen Skriptoriums u.a. auf Bücher aus Nachbarklöstern wie Biburg angewiesen war. Zumindest läßt sich derzeit keine Weltenburger Handschrift des 12. Jahrhunderts nachweisen[ix].


Cod. 716, fol. 20r

Vgl. Cod. 730, fol. 5r

Die neu eingeordneten Handschriften lassen erahnen, daß Biburg um die Mitte bzw. im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts ein einigermaßen bedeutendes Skriptorium besessen hat. So sind zwei theologische Gebrauchshandschriften (Cod. 741 und 1009) mit ganzseitigen Federzeichnungen ausgestattet und in zeitgenössische Blindstempelbände gebunden, und mit Ausnahme von Cod. 1017, für den Initialen vorgesehen waren[x], besitzen alle bisher erwähnten Codices Buchschmuck. Von den Deckfarbeninitialen der Biburger Bibel abgesehen, dominiert bei den Rankeninitialen rheinländischer Einfluß. Offenbar wurden im Rheinland geschulte Buchmaler in das bayerische Kloster berufen, wofür Bischof Otto I. von Bamberg verantwortlich sein könnte, der selbst zuvor in dieser Gegend tätig war[xi]. Jedenfalls wird das importierte Formenrepertoire, wie vor allem die großen Initialen in Cod. 716 zeigen, für deutlich ungeübtere Hände schulbildend. Ob die Biburger Buchmalerei der 2. Jahrhunderthälfte noch mehr Facetten aufweist, könnte die Untersuchung weiterer Handschriften klären, die vermutlich im Skriptorium des Klosters entstanden sind: das sogenannte Biburger Rituale, das zwischen 1178 und 1199 entstanden sein soll (Budapest, Nationalbibliothek, Cod. lat. m. ae. Nr. 330)[xii], besitzt noch unpublizierte Initialen, ebenso der aus Biburg stammende 2° Cod. ms. 312 (München, Universitätsbibliothek) aus dem 3. Viertel des 12. Jahrhunderts[xiii].

Alle hier vorgestellten Handschriften kamen vermutlich durch den Wiener Mediziner und Historiographen Wolfgang Lazius (1514-1665) nach Wien, der im Jahr 1551 u.a. bayerische Klosterbibliotheken besuchte[xiv]. In den aus Weltenburg stammenden Cod. 738, 1009 und 1017 finden sich Vermerke von seiner Hand, wonach er diese vom Abt erhalten hat. Aus chronologischen Gründen kann es sich dabei nicht, wie in der Literatur immer angegeben, um Abt Michael II. (1553-1556) gehandelt haben, sondern um dessen Vorgänger Fabian Laichner (1538-1553)[xv]. Cod. 716 trägt höchstwahrscheinlich eine Signatur des Lazius, und das legt die Vermutung nahe, daß dieser auch das benachbarte Biburg besucht und mit Cod. 716, 878, 1023 und 1072 Handschriften aus dem zugrundegehenden Kloster mitgenommen hat. Wenige Jahre später, 1558, wird bereits berichtet, daß die besten Stücke der Bibliothek entfremdet und die verbliebenen in einem üblen Zustand seien[xvi].


Cod. 738, fol. 1r: Weltenburger Besitzvermerk (saec. XIII/1), rechts darunter Vermerk von Wolfgang Lazius.

(FS)



[i] J. Hemmerle, Die Benediktinerklöster in Bayern (Germania Benediktina 2). Augsburg 1970, 69-71. - W. v. Arx, Das Klosterrituale von Biburg (Budapest, Cod. lat. m. ae. Nr. 330, 12. Jh.) (Spicilegium Friburgense 14). Freiburg 1970, 5f.

[ii] N. Daniel, G. Kornrumpf u. G. Schott, Die lateinischen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek München: Die Handschriften aus der Folioreihe, Hälfte 1. Wiesbaden 1974, 22-25 und 41f.

[iii] Zusammenfassung der Literatur zur Biburger Bibel bei V. Pirker-Aurenhammer, Die Gumbertusbibel. Codex 1 der Universitätsbibliothek Erlangen. Ein Regensburger Bildprogramm des späten 12. Jh. (Regensburger Studien und Quellen zur Kulturgeschichte 7). Regensburg 1998, 274f. und Abb. 140.

[iv] Klemm, München, 1980, Nr. 21 und Klemm, München, 1988, Nr. 307.

[v] G. Suckale-Redlefsen, Die Handschriften des 12. Jahrhunderts (Katalog der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg, Bd. 2), Wiesbaden 1995, XIX, und Fingernagel, Berlin, 1999, Nr. 134.

[vi] Vgl. z.B. einzelne Lagen in Cod. 716 (fol. 50-57, 58-65, 66-73), Cod. 738 (fol. 145-151, 152-159) oder Cod. 741 (164-171).

[vii] O. Riess, Die Abtei Weltenburg zwischen Dreißigjährigem Krieg und Säkularisation (1626-1803) (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 9). Regensburg 1975, 17: Laut Riess waren nach der Wiederbesiedlung mit Benediktinern im Jahr 1128 gleichzeitig etwa sieben Konventsmitglieder vorhanden.

[viii] Hemmerle (zit. Anm. i)

[ix] Cod. 1018, der seit Smital wegen einer Traditionsnotiz 'super altare S. Georgii' (fol. 92v) aus dem späten 12. Jahrhundert als Weltenburger Handschrift gilt, stammt aus dem später nach Herzogenburg verlegten Augustinerchorherrenstift in St. Georgen an der Traisen, denn mit dem Heimatort der Stifter, Reginoldsbach, läßt sich ein ehemaliger Ortsteil von Perschling bei Herzogenburg identifizieren - vgl. H. Weigl, Historisches Ortsnamenbuch von Niederösterreich, Bd. 5: N, O, R. Wien 1973, S. 164f. (R. 168). - Zur Handschrift O. Smital, Traditionen des Klosters Weltenburg aus dem 10. Jhdt., in: Mittheilungen des Institutes für österreichische Geschichtsforschung 32 (1911), 326 (hs. Nachtrag im Sonderdruck), und O. Mazal, Die Weltenburger Handschriften in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (Weltenburger Akademie. Arbeitsblätter der Historischen Arbeitsgemeinschaft 4). Weltenburg 1974, 32-34, der den Codex fälschlich in das 11. Jahrhundert datiert. - Weltenburger Handschriften sind zusammengestellt bei S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Teil 2: Köln - Zyfflich (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Ergänzungsband 1). München 1989, S. 825.

[x] Die Handschrift beschrieben bei Mazal (zit. Anm. ix), 56-58. Sie ist nicht im 13., sondern im 3. Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden, wie z.B der Schriftvergleich von fol. 2r mit Cod. 1072 (fol. 180r) zeigt.

[xi] Siehe E. Klemm, Gab es eine Windberger Buchmalerei ?, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1980, 11.

[xii] Arx (zit. Anm. i)

[xiii] Daniel u.a. (zit. Anm. ii), 55-57. Bei den Heiligenviten ist der hl. Oswald betont, eine vielleicht nicht zufällige Parallele zum Biburger Clm 14375, bei dem ein Reliquienverzeichnis (fol. 1r) aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts auf eine dem hl. Oswald geweihte Kirche hinweist.

[xiv] Zu den Bibliotheksreisen des Lazius siehe F. Unterkircher, Vom Tode Maximilians I. bis zur Ernennung des Blotius (1519-1575), in: Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, hrsg. v. Josef Stummvoll unter Mitarbeit v. Alois Kisser [u. a.]. Wien 1968, 62-67 u. 76f.

[xv] Vgl. P. Lindner, Monasticon Metropolis Salzburgensis antiquae - Verzeichnisse aller Aebte und Pröpste der Klöster der alten Kirchenprovinz Salzburg. Salzburg 1908, 449.

[xvi] Vgl. Arx (zit. Anm. i), 9. - Biburger Handschriften sind zusammengestellt bei S. Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters, Teil 1: Aachen - Kochel (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Ergänzungsband 1). München 1989, S. 84. - Keine Anhaltspunkte für eine Biburger Provenienz gibt es bei jenen Handschriften der ÖNB, die vom späteren Abt Benedikt Eck von Biburg (1463-1499) 1453 der Stiftsbibliothek Mondsee geschenkt wurden (Cod. 1222, 1632, 1680, 1711, 3406, 3605, 3629, 3713, 3782, 3906, 4995 und 5501). Die vermutete Herkunft aus Biburg reicht nicht aus, um wie J. Werlin auch Handschriften zuzuordnen - zur Herkunft von Abt Benedikt und Cod. 4995 siehe J. Werlin, Ein Weinbuch aus dem niederbayerischen Kloster Biburg, in: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966), 133-147, bes. 134f.


Angelegt im Dezember 2001 (Version 1), geändert März 2010.

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