Abriss zur Sammlungsgeschichte

Die Geschichte der Entstehung der Fideikommissbibliothek ist sehr eng mit der Person von Franz I. von Österreich verbunden. Als Sohn von Pietro Leopoldo, dem Großherzog von Toskana und späteren Kaiser Leopold II., wuchs er in der toskanischen Hauptstadt Florenz auf.  Während seiner Erziehung wurde viel Wert auf das Studium der Bücher gelegt, darunter griechische und lateinische Klassiker aber auch Werke der Aufklärung von Montesquieu oder Voltaire. (1)  Bereits Pietro Leopoldo greift auf den Wissensspeicher Privatbibliothek zurück - er ließ 1771 die Hofbibliothek, die sich bis zu diesem Zeitpunkt in der Residenz der Großherzöge in Florenz, dem Palazzo Pitti (2) befand, in die öffentliche Bibliothek Magliabechiana (3) überführen und behielt einen kleinen Bestand davon für seinen eigenen Gebrauch zurück um diesen laufend zu erweitern. Die Heranführung der Erzherzöge an die Benützung der Privatbibliothek ist unter anderem durch einen Bibliothekskatalog belegt, der Marginalien des Großherzogs und dessen Sekretär beinhaltet, in denen die für die Erziehung der Kinder besonders geeigneten Werke hervorgehoben werden.(4)

Im Jahr 1784 wurde Franz von seinem Onkel Kaiser Joseph II. aus Florenz nach Wien berufen, um auf seine künftigen Aufgaben als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs vorbereitet zu werden. Im Rahmen dieses Umzugs in die kaiserliche Haupt- und Residenzstadt, kamen auch seine noch relativ kleinen Buchbestände nach Wien. Sie „enthielten seltene Ausgaben der alten Klassiker, Werke über Kunst und Archäologie, technologische Monographien sowie, den Studien des Erzherzogs entsprechend, geographische, historische und kriegswissenschaftliche Literatur.“(5) Im Februar 1785 berichtet Obersthofmeister Franz Reichsgraf Colloredo dem Kaiser, dass Franz den Wunsch geäußert hätte, „sich eine Bibliothek zusammen zu setzen“. (6) Diesen Willensakt des jungen Erzherzogs sahen spätere Bibliotheksvorstände als Gründungsakt der Fideikommissbibliothek an, zumal im Mai desselben Jahres auch die Entscheidung fiel eine Sammlung von (Porträt-) Grafiken anzulegen. Die nun im Entstehen begriffene Bibliothek war von Beginn an zum ausschließlichen Privatgebrauch des späteren Kaisers gedacht und stand in keinem Zusammenhang mit der kaiserlichen Hofbibliothek.
 

Da das Archiv der Fideikommissbibliothek erst mit dem Jahr 1809 einsetzt, sind bis dato über die Geschichte der Sammlung bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige gesicherte Daten bekannt, doch dürfte sie in dieser ersten Phase ihrer Entwicklung vom Kaiser persönlich verwaltet worden sein. Im Jahr 1806 betraute er jedenfalls seinen Privatsekretär Peter Thomas Young mit den Agenden eines Bibliothekars – sei es wegen des mittlerweile erreichten Umfanges der Sammlung oder wegen der zu hohen Beanspruchung des Kaisers mit staatspolitischen Aufgaben. Dass kein Mitarbeiter der Hofbibliothek herangezogen wurde, könnte man als Indiz für den persönlichen und privaten Charakter der Sammlung deuten.

Franz übte jedoch weiterhin großen Einfluss auf die Entwicklung der Sammlung aus, beispielsweise durch konkrete Vorgaben bei der Anschaffung von Werken und für die Bucheinbandgestaltung. Sämtliche Ausgaben wurden aus seiner Privatschatulle bestritten, wobei der Kaiser ein Budget von 12.000 bis 15.000 Gulden Konventionsmünze jährlich gewährte.
 

In den folgenden Jahren wurden neben Einzelobjekten auch ganze Sammlungen und Bibliotheken angekauft: 1809 erwarb Franz die aus 2.174 Werken bestehende Sammlung seiner Tante Erzherzogin Maria Elisabeth, die 1808 als Äbtissin des Adeligen Damenstifts in Innsbruck verstorben war; 1819 die 5.827 juristisch-politische Werke umfassende Bibliothek des Peter Anton Freiherrn von Frank. 1828 konnte der Kaiser das 22.300 Blätter umfassende Kunstkabinett des Schweizer Pastors und Schriftstellers Johann Caspar Lavater (gestorben 1801) in einer Auktion um 2.000 Gulden in seinen Besitz bringen, nachdem dieses bereits mehrmals den Besitzer gewechselt hatte.(7)
 

Da Franz am Fortbestand der Sammlung über seinen Tod hinaus gelegen war, verfügte er einen Tag vor seinem Tode am 2. März 1835, „dass seine aus Privatmitteln angeschaffte Privatbibliothek und die damit verbundenen Sammlungen von nun an ein Primogenitur-Fideikommiss für seine männliche Nachkommen bilden“ soll.

Nach dem Ende der Habsburgermonarchie ging die „Habsburg-Lothringische Fideikommiss-Bibliothek“ in den Besitz des österreichischen Staates über und wurde 1921 in die Österreichische Nationalbibliothek inkorporiert.

 

 

(1) Vgl. Cölestin Wolfsgruber, Franz I. Kaiser von Oesterreich, 1. Bd.: Der Großprinz von Toscana 1768-1784 (Wien/Leipzig 1899) 79.

 

(2) Vgl. Mannelli Goggioli, Maria: La Biblioteca palatina mediceo lotaringia ed il suo catalogo, in: Culture del testo 3 (1995) 135-159.

(3) Vgl. Pasta, Renato (Hg.): Vivere a Pitti, Firenze 2003.

(4) Vgl. Biblioteca Nazionale Centrale di Firenze, Palat. 1.6.1.5, Catalogue des livres du cabinet particulier de LL. AA. RR., Florenz 1771. - Chimirri, Lucia, Le letture di Pietro Leopoldo, in: Biblioteche oggi 17 (1999) 42-45. - Pasta, Renato: La biblioteca aulica e le letture dei principi lorensesi, in: Bertelli, Sergio / Pasta, Renato (Hg.): Vivere a Pitti, Firenze 2003, 351-387.

(5) Nach: Beetz, Wilhelm: Die Porträtsammlung der Nationalbibliothek in ihrer Entwicklung. Zur Erinnerung an die vor 150 Jahren erfolgte Gründung der ehemaligen k. u. k. Familien-Fideikommissbibliothek durch Kaiser Franz I. von Österreich, Graz 1935, 5.

(6) Vgl. Beetz: Porträtsammlung, 5.

(7) Vgl. Mraz, Gerda / Schögl, Uwe (Hg.): Das Kunstkabinett des Johann Caspar Lavaters, Wien 1999.