Jakob Glatz: Das grüne Buch

Der Briefträger kommt! (Kolorierter Kupferstich)

Ein belehrendes und unterhaltendes Lesebuch für jüngere Knaben und Mädchen ; Mit sechs schön ausgemahlten Kupfern. - Wien : In der Kunsthandlung des H. F. Müller, [s.a. ca. 1820].

Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 307.655-B.Alt-Mag

 

Lieber Vater, sprach hierauf Amalie, du hast uns schon Mehreres aus einem Buche von Glatz lesen lassen, welches das rothe Buch heißt, und viele Erzählungen enthält. Stehen dergleichen Erzählungen auch in dem grünen Buche? Allerdings! antwortete Herr Stille. Aber warum mag wohl der Verfasser dieses Buches demselben den Titel: Das grüne Buch gegeben haben? was meint ihr? ... Ich glaube, sprach der Vater, es hat diesen Titel darum bekommen, weil die grüne Farbe die Farbe der Hoffnung ist. Es ist für die Jugend bestimmt, und auf dieser ruht die Hoffnung der Alten. Von den aufblühenden Knaben und Mädchen hofft man nämlich, daß man in ihnen einmahl gebildete, rechtschaffene und brauchbare Menschen erblicken, und daß einst durch sie auf der Welt recht viel Gutes geschehen werde."

1804 kam der aus Ungarn stammende protestantische Theologe, Erzieher und Kinder- und Jugendbuchautor Jakob Glatz (1776-1831) nach Wien. Er war ein Vertreter des Philanthropismus, einer auf den Anschauungen der Aufklärung basierenden pädagogischen Reformbewegung. Der Philanthropismus trat im Sinne einer Humanisierung des Gesamtlebens für eine vernünftig-natürliche Erziehung ein, welche vom Vertrauen auf die menschliche Natur getragen war und die freie Entfaltung der kindlichen Kräfte anstrebte. Jakob Glatz stand seit 1794 in brieflichem Kontakt mit Christian G. Salzmann, einem bedeutenden Vertreter des Philanthropismus und Begründer der Erziehungsanstalt Schnepfenthal bei Gotha. Von 1797 bis zu seiner Übersiedlung nach Wien unterrichtete Glatz am Institut Salzmanns, danach an der protestantischen Schule in Wien. 1806 wurde ihm mit der Ernennung zum Geistlichen Rat (Konsistorialrat) des k. k. Konsistoriums Augsburgischer Konfession durch Kaiser Franz I. die Leitung des evangelischen Kirchenwesens in sämtlichen deutschen Erblanden übertragen. Eines seiner Hauptverdienste in diesem Amt war die Durchsetzung der Aufhebung der katholischen Zensur über alle evangelischen religiösen Publikationen in Österreich. Bei den Texten des vorliegenden Bandes handelt es sich um moralische Beispielgeschichten, die negative bzw. positive Charaktereigenschaften illustrieren oder um so genannte Familiengemälde, die vornehmlich moralische Lehren, verpackt in Beispielerzählungen von Erlebnissen der beschriebenen Familie enthalten - so z.B. die in mehrere Kapitel unterteilten Geschichten über die Familie Stille. Rahmenerzählung ist eine Reise des Vaters, der seine beiden Kinder Julius und Amalie, acht und neun Jahre alt, und seine Frau zu Hause zurück lässt. Die Reise verläuft nicht ohne Gefahren, letztendlich kehrt der Vater aber wohlbehalten heim. Als Geschenk bringt er seinen Kindern das Grüne Buch.

 


last update 03.06.2015