Friedrich Philipp Wilmsen: Hersiliens Lebensmorgen ...

Titelblatt

Hersilie auf dem Totenbett (Frontispiz)

... oder Jugendgeschichte eines geprüften und from[m]en Mädchens. Ein Buch für Jungfrauen von F. P. Wilmsen. - Wien : In der Haas'schen Buchhandlung, 1817.

Österreichische Nationalbibliothek, Sign.: 307.676-A.Alt-Mag

 

Ich habe es versucht, ein Andachtsbuch in historischer Form aufzustellen. Ich glaubte, die Wahrheiten und die Segnungen der Religion, in ihrem Einfluß und in ihrer Wirksamkeit auf das Leben, in der Geschichte eines Mädchens, welches lange mit Leichtsinn und mit Eitelkeit zu kämpfen hatte, beinahe unterlegen wäre, und endlich durch Freundschaft, Religion und Liebe gerettet wird, kräftig und einfach dargestellt, müßten den jugendlichen Herzen theuer und unschätzbar erscheinen, alles müßte sich tiefer einprägen, mehr des Herzens bemächtigen, und selbst dem Verstande besser einleuchten, als in einer bloß lehrenden Darstellung.

 

Auf dem Krankenbett und in Vorahnung ihres Todes zeichnet Hersilie auf Verlangen ihrer Freundin Eugenia die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend auf. Sie soll als Beispiel für Eugenias Tochter Emilie dienen. Hersilie beschreibt den Einfluß verschiedener Personen auf ihre Erziehung: Die geliebte Mutter hält das Mädchen allzusehr von Gleichaltrigen fern; der eigentlich wohlmeinende Vater wirkt auf das Kind hart, streng, unzugänglich; die liebe Freundin der Mutter, die fröhliche Tante und deren Mann, bei denen sie längere Zeit lebt und die sie zur Schule schicken, deren gute, aber allzu schwermütige Pflegetochter, der fähige junge Religionslehrer und schließlich ihre Freundin Eugenia helfen Hersilie schließlich, ihre Fehler, wie Eitelkeit oder Ehrgeiz, abzulegen. Sie findet vor allem im Glauben Halt und wächst zu einer wohltätigen und überall geschätzten Frau heran. Ihr früher Tod wird von allen, besonders von ihrer Pflegetochter Marianne betrauert.

Die Charaktere in Hersiliens Geschichte werden durchaus differenziert geschildert, wenn der Autor selbst in der Vorrede auch "die psychologische Entwicklung nur halb gelungen" nennt. Die Erwachsenen haben selbst manche Schwächen und können trotzdem erzieherisch gute Impulse geben; die Kinder können aus eigener Kraft zur Formung ihrer Persönlichkeit beitragen. Ob die Erzählung mit der recht dünnen Handlung und ihrem düsteren Hintergrund von Hersilies langer Krankheit bei den Leserinnen den vom Verfasser beabsichtigten Eindruck (s. Kasten) hinterlassen hat, scheint trotzdem fraglich.

Hersiliens Schöpfer, der evangelische Pfarrer und Pädagoge Friedrich Philipp Wilmsen (1770-1831), war ein überaus fruchtbarer Autor von erzieherischen Schriften, moralischen Erzählungen, Geschichtsbeschreibungen und Realienbücher für Kinder und Jugendliche. Mit seinen populärsten Werken, dem Brandenburgischen Kinderfreund (1800) und dem Deutschen Kinderfreund (1801), schuf er eine neue Art von Lesebuch für Volksschüler: Eine Auswahl aus Erzählungen bekannter Autoren, gefolgt von Sachinformationen zur Naturgeschichte und Geographie, von Liedern und Gedichten sollte die Liebe zur Wissenschaft wecken und Verstand und moralisches Gefühl gleichermaßen bilden. Die "Kinderfreunde" brachten es auf je über 200 Auflagen und machten ihren Autor in ganz Deutschland bekannt.
Ab 1811 wirkte Wilmsen als Lehrer an der von ihm zum Andenken an die jung verstorbene preußische Königin Luise gegründeten Luisenstiftung, einer höheren Mädchenschule in Berlin.

 

 

 


 


last update 03.05.2015