Schnittbuch von 1640: Frühbarocke Mode aus Spanien

Wams mit Ärmelvariationen (fol. 55r)

Dalmatica (fol. 57r)

Martín de Anduxar: Geometria Y Trazas Pertenecientes Al Oficio De Sastres. Donde Se Contiene El Modo Y Orden de cortar todo genero de vestidos. Tiene Trecientas Y veinte trazas, Españolas, Francesas, Vngaras, y de otras Naciones, assi antiguas, como de las que aora se vsan. - Madrid : En la Imprenta del Reyno a costa de Alonso Perez, 1640.

Österreichische Nationalbibliothek, Signatur: 72.B.29.Alt-Prunk


Das Erstellen von flachen Schnittmustern auf dem Papier mithilfe geometrischer Konstruktionen wurde erst ab dem frühen 19. Jahrhundert Standard. Bis dahin gehörte das Zeichnen von Kleiderschnitten (z.B. nach einem durch Drapieren an Mensch oder Schneiderpuppe gewonnenen Muster) und vor allem das Anpassen eines Grundschnitts an die Maße der Kundschaft zu den großen Herausforderungen selbst für geübte professionelle Schneider. Fertigschnitte zum Kaufen gab es keine; in den Ateliers und Innungen lagen Musterbücher und Ein-Größen-Schnitte (sogenannte „Patronen“) auf, die von den Meistern erstellt worden waren und oft eifersüchtig gehütet wurden. Schneiderlehrlinge und –gesellen versuchten sich während ihrer Lehr- und Wanderjahre bei ihren Meistern einen Grundstock an Kopien von brauchbaren Patronen zu verschaffen und nachhause mitzunehmen. Eine weitere Herausforderung lag darin, die Teile möglichst sparsam zuzuschneiden – Stoffe waren teuer – und die langen, schmalen Stoffbahnen optimal zu nutzen.

Gedruckte Bücher, die den Schneidern diese wichtigen Arbeitsschritte erleichtern sollten, gab es nur wenige; die ältesten erhaltenen Exemplare stammen aus Spanien. Fast zeitgleich boten Diego Freyle mit seiner Geometria y traça para el oficio de los sastres (Sevilla 1588) und Juan de Alcega mit seinem Libro de geometria, pratica, y traça (Madrid  1589) ihren Berufskollegen solche Vorlagen an. Francisco de La Rocha Burguen veröffentlichte 1618 in Valencia seine Geometria y traça perteneciente al oficio de sastres, die bereits die nächste Modegeneration mit frühbarocken Schnitten repräsentiert, gefolgt von Martin de Anduxars Geometria y trazas pertenecientes al oficio de sastres mit den Kleiderformen von 1640. So lässt sich die Entwicklung der spanischen Mode von der Renaissance zum Barock nicht nur anhand von erhaltenen Kleidungsstücken und Bildmaterial, sondern auch anhand von Schnittmustern nachvollziehen. Selbst in Frankreich, dem Land der Mode, kam erst 1671 mit Benoit Boullays Le Tailleur Sincere ein Druckwerk heraus, das diese Vergleiche ebenfalls ermöglicht.

So stellt Martin de Anduxars Schnittbuch mit seinen Vorlagen für Frauen- und Männerkleidung und geistliche Habite eine wichtige Quelle zur Modegeschichte dar – und nicht nur zur spanischen, denn auf dem Titelblatt verspricht der Autor auch Schnitte zu französischer, ungarischer und anderer europäischer Kleidung. Etwa 320 Holzschnitte zeigen nicht nur die Schnittteile, sondern demonstrieren auch deren platz- und damit materialsparendes Auflegen auf dem Stoff.

Zum Katalogisat und Volltext der Geometria im ONB-OPAC




last update 03.05.2015