[Langsame Heimkehr] (Neuschrift des 2. und tw. des 3. Kapitels)

Typoskript 1,5-zeilig, 48 Blatt, ohne Datum [14.05.1979]

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Am 9. Mai 1979 sandte Peter Handke die von ihm korrigierten Druckfahnen an seine Lektorin Elisabeth Borchers zurück. Der Sendung lag ein Typoskript bei mit der von Handke so genannten »Neuschrift« des zweiten Kapitels »Raumverbot« und von Teilen des dritten Kapitels »Das Gesetz«. Im Begleitbrief an Borchers erklärte Handke seine Veränderungen genau: »Noch einmal intensiv durchgearbeitet habe ich den zweiten Teil, Das Raumverbot. Ich wußte tief, daß da drei schwache Stellen drin waren: der Anfang mit der Ankunft S.s [Sorgers] an der Westküste: vor allem seine Erstarrung; dann der Moment des "Raumverbots", und schließlich die Rede des Helden an die Nachbarn. Ich habe den gesamten zweiten Teil noch einmal abgeschrieben und die drei Passagen noch einmal tief durchstrahlt. Sie sind kürzer geworden, andrerseits gibt es kleine Hinzufügungen. Wichtig sind auch die Umstellungen in diesem Kapitel, am Anfang und gegen Ende: da habe ich die Beschreibung des "Erdbebenparks" und die Begegnung mit den zwei Frauen vorgezogen: sie ist nun das nächste nach dem Frühstück mit den Nachbarn; gleich nach seiner Ankunft geht er zum Park zeichnen, nicht erst in den letzten Tagen. Auch die Beschreibung seines Vorhabens "Über Räume" ist jetzt umgestellt; sie steht vor dem Gang zum Erdbebenpark. Es ist wahrscheinlich, daß das zweite Kapitel also neu gesetzt werden muß. (Aber ich muß sagen, daß ich mir daraus kein Gewissen mache – da ich nun endlich die (notwendige) Qual dieser Geschichte – so ist es gewesen – abgetan zu haben glaube.) Eine vierte Änderung betrifft die vierte Schwachstelle, im 3. Teil, dem Gesetz: jene Passagen, da Sorger sich zum Coffee Shop bewegt und dann das Große Gesetz aufschreibt. Da habe ich zwei Seiten gestrafft – und ich meine, die Geschichte hat jetzt erst als Ganzes das leise Dröhnen. Ich habe also den Text vom 2. Teil bis zum Moment des "Gesetzes" neu durchgeschrieben, dann wieder in den Fahnen korrigiert.« (Handke / Unseld 2012, S. 365)

Beschreibung

Das Typoskript der Neuschrift ist eineinhalbzeilig getippt, es umfasst 48 Blatt, die von Handke mit einer Paginierung von 65-110 versehen wurden; Handke fügte die neuen Teile somit in die Seitenzählung von Textfassung 2c ein. Denn in den Druckfahnen beginnt das zweite Kapitel mit Blatt 52. Die Kapitelblätter vor den Seiten 65 und 99 sind unpaginiert (S. I und II). Am Ende der Neuschrift vermerkte Handke »(Fortsetzung Fahnen!)« und verwies mit einem Bleistiftpfeil auf die Seitenzahl 103 in den Druckfahnen (dort ist der Übergang auch angezeichnet). Die Neuschrift enthält wiederum handschriftliche Korrekturen und Überklebungen von Peter Handke und von Elisabeth Borchers. Die Markierungen für den Satz stammen vermutlich vom Hersteller Michael Hagemann.

Vergleich von Druckfahnen und Neuschrift

Die großen Umstellungen betreffen, wie Handke in dem Brief an Borchers erklärte, die Erdbebenpark- und die Coffee-Shop-Szene oder Stellen der Raumverbot-Katastrophe – etwa die Szene bei den Nachbarn. Die vielen Detailveränderungen von den Druckfahnen zur Neuschrift, die Handkes intensive Arbeit deutlich werden lassen, veranschaulicht etwa der Beginn der »Raumverbot«-Passage (vgl. LH 138). In den Druckfahnen heißt es: »Der Sturz war jäh; die Leere ganz unvermutet: Sorger erfuhr die Heimatlosigkeit –\,/ die zunächst kein Schmerz war, sondern ein starkes Brennen in den Wangen, wie von Ohrfeigen: statt "Niemand weiß, wo ich bin" hieß es nun: "Für mich gibt es niemanden \mehr/. Ich bin niemandem mehr ähnlich." [/] Er ging auf und ab, denkunfähig. Dabei \Er/ hatte er sich \doch/ für unzerstörbar gehalten; machtvoll gerade im Fürsichsein. Er blieb stehen und spürte wie er daran \dabei/ war – auch was die geplante Abhandlung betraf –, für immer zu scheitern; "kein Chaos!" war das einzige, was er \(/sich\)/ noch \(/vor\)/sagen konnte: dann sauste er wie in einer Sprachlosigkeitskanzel aus dem Raum hinaus, der sich verzerrte und dann ganz weg war. [/] "Raumverbot!" [/] Das Meer wurde unheimlich, aber auch die Siedlung im Kiefernwald; \trostlos/ die ganze Stadt, aber auch jeder Anschein von Natur, (die ihn atembeklemmend umstellte). "Ihr Busse, bringt mich weg von hier!" [/] Er ging wieder auf und ab; blieb wieder stehen: G\g/erade hatte er nicht nur die Paßhöhe verwirkt, sondern überhaupt all seine Vorstellungsräume – den Tisch unter den Eukalyptusbäumen ebenso wie den nördlichen Strom, den er gerade noch, mit dem heftigsten Trennungsschmerz, wie für alle Zeit hinter einer Böschung verschwinden sah. [/] Angstnester unter den Achseln – und kein "Vogel, der ihm die Landschaft rettete"; dafür der Verlassenheitsschrei eines Säuglings auf einer nächtlichen Eisfläche. – Es gab keinen "Bereich" mehr, nirgends; nicht einmal die Orientierung an der Bodenschichtung unter den Fuß-S\s/ohlen. – Von allen Orten ausgeschlossen; und der Raumverlust war nicht einmal eine Erfahrung!« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Handke Peter, Druckfahnen, Bl. 75)

In der Neuschrift wurden die in den Fahnen eingetragenen Korrekturen übernommen. Handke fügte aber auch weitere Sätze hinzu, manche wurden in einem handschriftlichen Korrekturgang wieder gestrichen. Die »Raumverbot«-Stelle lautet in der Neuschrift: »Der Sturz war jäh; die Leere ganz unvermutet. Statt "Niemand weiß, wo ich bin" hieß es nun: "Für mich gibt es niemanden mehr. Jeder hat einen anderen. " [/] \Der sonst so gemessene Sorger/ Er ging auf \hin/ und ab \her/, denkunfähig. Er hatte sich doch für unzerstörbar gehalten; machtvoll gerade im Fürsichsein \der Unabhängigkeit/. Er blieb stehen und spürte wie er dabei war, was die geplante Abhandlung betraf, für immer zu scheitern: \er konnte diese vielleicht schreiben, würde aber "von niemandem mehr gehört werden"./ "kein Chaos!" war das einzige, was er noch sagen konnte: dann sauste er wie in einer\m/ Sprachlosigkeitskanzel\torpedo/ aus dem Raum hinaus, der sich verzerrte und dann ganz weg war. [/] "Raumverbot!" [/] Das Meer wurde unheimlich, aber auch die Siedlung im Kiefernwald; trostlos die ganze Stadt, aber auch jeder Anschein von Natur. Der Ausruf, den er versuchte, war nur eine schwache Nachahmung: "Ihr Busse, bringt mich weg von hier!" [/] Er ging auf und ab; blieb stehen: gerade hatte er nicht nur \bloß/ die Paßhöhe verwirkt \(/diese erschien nur noch als "Loch" und dann als Hohnparodie zwischen den Fingerknöcheln \),/ sondern überhaupt all seine Vorstellungsräume \:/ den Tisch unter den Eukalyptusbäumen ebenso wie den nördlichen Strom, den er gerade noch, mit dem heftigsten Trennungsschmerz, wie für alle Zeit hinter einer Böschung verschwinden sah. \[/]/ Es gab keinen "Bereich" mehr, nirgends; nicht einmal die Orientierung an der Bodenschichtung unter den Fußsohlen. Mit dem "Schönen Wasser" vertrocknete auch er; platzte \auf/; bekam die Haut \wurde/ abgezogen; und aus dem Untergrund fuhr "der lebende Tote" in ihn.« (Bl. 89)

Datierung

Das Typoskript der Neuschrift ist undatiert, es muss aber zwischen dem Erhalt der Druckfahnen am 13. April 1979 und der Sendung an Elisabeth Borchers am 9. Mai entstanden sein. Es wurde zusammen mit den Druckfahnen am 14. Mai 1979 an die Setzerei geschickt. (siehe DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Handke Peter, Langsame Heimkehr, Dokumentation der Herstellungs- und Korrekturabläufe) (kp)

Siglenverzeichnis  Editorische Zeichen

 

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorlage): 

2. Raumverbot [Kapitelüberschrift, Bl. I]; 3. Das Gesetz [Kapitelüberschrift, Bl. II]

Datum normiert:  ohne Datum [14.05.1979]

Materialart und Besitz

Besitz:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

1 Typoskript 1,5-zeilig, 48 Blatt, I, pag. 65-98, II, 99-110; mit eh. Korrekturen (schwarz) und Überklebungen sowie Korrekturen von Elisabeth Borchers oder Willy Schulz-Weidner (Bleistift, roter Kugelschreiber)

Format:  A4
Schreibstoff:  Füllfeder (schwarz), Filzstift (grün), Bleistift, Kugelschreiber (rot), Buntstift (rot)

Ergänzende Bemerkungen

Bemerkungen: 

Signatur vor der Übergabe an das DLA (SV, PH, W1/10.4)