Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum Sonoren Land (Textfassung 1a)
Typoskript 1,5-zeilig, 72 Blatt, 07.06.1988 bis 04.08.1988
Bei der ersten Textfassung von Peter Handkes Theaterstück Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum Sonoren Land handelt es sich um ein eineinhalbzeilig bis eng an den rechten Blattrand beschriebenes Typoskript mit zahlreichen hand- und maschinschriftlichen Korrekturen des Autors. Da weder die Regieanweisungen noch die Figurennamen und ihre Dialoge optisch hervorgehoben bzw. abgesetzt wurden, wirkt der Stücktext auf den ersten Blick eher wie ein Prosatext. Das Typoskript, für das Handke weißes, grünes und braunes dickeres DIN-A4-Papier sowie Briefpapier des italienischen Verlags Edizioni Braitan in Cormons verwendete, umfasst 72 Blatt, die ab dem vierten Blatt mit Bleistift von 1-68 paginiert wurden. Handkes Typoskript ist eine nachträglich entstandene Widmung für Hans Widrich (Bl. I) beigelegt.
Die ersten drei Blätter des Typoskripts – zwei Titelblätter (Bl. II u. III) und ein Figurenblatt (Bl. IV) – sind unpaginiert, ebenso das letzte, unbeschriebene Blatt (Bl. I*). Der ursprüngliche Titel des Theaterstücks lautete »Die Kunst des Fragens [/] oder [/] Die Reise zum sonoren Land« – wobei »sonor« einmal als Adjektiv klein (Bl. II) und das andere Mal als Eigenname mit großem Anfangsbuchstaben (Bl. III) geschrieben wurde. Auf beiden Titelblättern änderte Handke den ersten Teil nachträglich zu »Das Spiel vom Fragen« (Bl. II). Auf das zweite Titelblatt schrieb Handke zudem die Widmung: »für Ferdinand Raimund, William Shakespeare, Meister Seami Motokiyo, Anton Tschechow, John Ford und all die anderen« sowie den Hinweis für Theaterregisseure: »Die Szenenangaben sind nicht unbedingt Szenenanweisungen« (Bl. III). Am unteren Blattrand vermerkte er neben seiner Salzburger Adresse in Klammer »sehr wichtig, Originalmanuskript« (Bl. III), vermutlich aus Angst, sein Typoskript könnte während der Reise (es entstand seinen Angaben zufolge in Italien und Frankreich) oder am Postweg, wie schon zwei Jahre zuvor Die Wiederholung, verloren gehen.
Die am Figurenblatt angeführten Personen – »Ein Mauerschauer [/] Ein Spielverderber [/] Ein junger Schauspieler [/] Eine junge Schauspielerin [/] Ein altes Paar [/] Parzival [/] Ein Einheimischer, in verschiedenen Spielarten« (Bl. IV) – sind unverändert in die Buchfassung übernommen worden. Über dem Anfang des Stücktextes schrieb Handke mit schwarzem Fineliner ein Haiku des japanischen Dichters Bashō: »"Kenkon muju / doko ninin" [/] (Bashō)«, das er allerdings wieder strich und durch ein Dante-Zitat ersetzte: »"Die Pilger gingen sehr nachdenklich dahin ... Diese Pilger schienen mir von weit zu kommen" [/] (Dante, VITA NOVA)« (Bl. 1). Das Bashō-Zitat (in der deutschen Übersetzung) verwendete Handke später im Stücktext, in einem Dialogteil des Mauerschauers, der sich fragt: »Bashō \Wanderpoet/! Dein "Hauslos zwischen Himmel und Erde / Zwei Wanderer", stimmt das noch? Geht der\ein/ Einsame\r/ \auch heute/ noch in Begleitung \zu zweit mit \s/einem/ Gott?« (Bl. 28)
Korrekturen und Überarbeitungsnotizen
Das Typoskript enthält etliche von Handke mit Bleistift eingetragene Korrekturen. Am Titelblatt und am linken Blattrand notierte sich Handke zudem immer wieder Anweisungen für die weitere Überarbeitung der Fassung wie beispielsweise »Adjektiva, Wiederholungen möglichst streichen und überhaupt lichten, um 10-15 Seiten« (Bl. III), »um etwa 1/8 kürzen« (Bl. IV) oder nur »kürzen« oder »lichten« (z.B. Bl. 8, 12, 21, 27, 26, 30, 34, 40, 43, 44, 50, 51, 52, 61). Vergleicht man aber die erste und die zweite Textfassung so bemerkt man, dass Handke in den ersten zwei Dritteln nur in geringem Ausmaß seinen Anweisungen gefolgt ist; es sind kaum Stellen weggelassen worden, der Text dieser ersten Fassung ist in diesem ersten Teil des Stücks (rechnet man die meist kleineren handschriftlichen Korrekturen mit ein) schon erstaunlich nahe am veröffentlichten Text. Im letzten Drittel dagegen (ab Bl. 43) redigierte Handke den Text in der zweiten Textfassung noch einmal deutlich, vor allem wurden die beiden Gespräche von Schauspieler und Schauspielerin, wie überhaupt die gesamte letzte Szene ab der Heilung Parzivals bis zum zurückgebliebenen Einheimischen stark verändert. Die Eingriffe sind teilweise auch im Typoskript dokumentiert – die Korrekturen werden darin gegen Stückende häufiger und Texteinfügungen auch länger, beispielsweise schrieb Handke am schmalen Streifen des linken Blattrandes zahlreiche Einschübe zum Schlussgespräch von Mauerschauer und Spielverderber (Bl. 64-67). Insgesamt dürfte der Text wohl nicht seinem Überarbeitungswunsch gemäß kürzer, sondern vielmehr länger geworden sein.
Akteinteilung des Stücks
Die Szenenüberschriften bzw. -nummerierungen zeigen, dass Handkes Überlegungen zur Gliederung des Stückes beim Schreiben der ersten Textfassung noch nicht ganz abgeschlossen waren. Diese Fassung war zuerst in drei Akte gegliedert (wie die spätere Buchfassung), Handke veränderte die Einteilung aber im Typoskript zu einem Zweiakter. Der ursprüngliche Akt »1«, wurde nach seiner Korrektur zu »1 (Vorspiel)«, dann zu »1.A« und schließlich zu »1/I« (Bl. 1). Akt »2« wurde im Zuge der Korrektur mit »1.B« und »1/II« (Bl. 3) überschrieben. Der dritte Akt, der auch in der Buchfassung aus fünf Szenen besteht, wurde zum zweiten Akt mit dem Auftritt von Mauerschauer und Spielverderber in Szene »2/I« (Bl. 29), dem Liebesdialog der jungen Schauspieler in »2/II« (Bl. 41), dem Gespräch der beiden Alten in »2/III« (Bl. 45), den fragmentarischen Kurzauftritten aller Figuren in Szene »2/IV« (Bl. 49) und ihrem Zusammentreffen im Hinterland in »2/V« (Bl. 54). In der veröffentlichten Fassung wurde das Vorspiel aber wieder zu einem eigenen Akt, sodass das Stück wie bereits vor der Korrektur in drei Akte unterteilt ist.
Datierung
Das Originaltyposkript der ersten Textfassung entstand den Datums- und Ortseinträgen am linken Blattrand zufolge während Handkes »Weltreise« in der Zeit von 7. Juni bis 1. Juli 1988 in verschiedenen Orten in Norditalien (Brazzano di Cormòns, Venedig, Aquileia, Gemona) und von 11. Juli 1988 bis 4. August 1988 in Paris, zuletzt im Hotel la Bourdonnais (Zimmer 608), im 7. Pariser Arrondissement. Nach der Fertigstellung des in Italien geschriebenen Teils vermerkte Handke: »(Ende des 1. Teils der Reise zum Sonoren Land) [/] Gemona, 1.7.88, etwa 16h?« (Bl. 28). Er beendete die erste Textfassung des Stücks, wie er vermerkte, um »(ca 15h 30) [/] 4. August 1988« (Bl. 68).
Die mit Bleistift eingetragenen Überarbeitungsanweisungen und ein Teil der Korrekturen entstanden allerdings erst später, bei dem Schreiben der zweiten Textfassung in Salzburg zwischen Mitte August und Ende September 1988. Siegfried Unseld traf Handke am 17. August 1988 in Salzburg, wo ihm Handke von der Fertigstellung der ersten Fassung und der geplanten Überarbeitung des Stücks berichtete (Handke / Unseld 2013, S. 550). Nach der Lektüre der zweiten Textfassung vermerkte Unseld in seiner Chronik: »Ich hatte sein neues Stück schon in der Fassung gelesen, als es noch "Die Kunst des Fragens" hieß, ein Manuskript mit vielen Korrekturen. Auf meinen Wunsch hin nannte er es "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum Sonoren Land"« (Handke / Unseld 2013, S. 551). Unseld könnte diese erste Fassung noch vor seinem Treffen mit Handke vom Lektor Raimund Fellinger erhalten und die Titelfrage in Salzburg diskutiert haben.
Kopie (Besitz 2 und 3)
Nach der Fertigstellung der ersten Textfassung erhielt Raimund Fellinger eine Kopie des Typoskripts. Die Kopie (Besitz 2), die sich im Bestand des Siegfried Unseld Archivs am Deutschen Literaturarchiv Marbach erhalten hat, dokumentiert diese erste Fassung noch vor den von Handke eingetragenen Anweisungen und Korrekturen für die Überarbeitung zur zweiten Textfassung. Die Titelkorrektur von »Die Kunst des Fragens« zu »Das Spiel vom Fragen« ist hier auch noch nicht vollzogen. Die Kopie umfasst 70 Blatt, also zwei Blatt weniger als das Original; es fehlen das Blatt mit der Figurenexposition (im Original Bl. IV) und das leere Blatt am Schluss (im Original Bl. I*). Die Figurenexposition wurde von Handke stattdessen mit schwarzem Kugelschreiber auf das zweite, getippte Titelblatt geschrieben (im Original Bl. III – in der Kopie Bl. II). Ebenfalls nachgetragen wurde hier das Motto »"Die Pilger gingen sehr nachdenklich dahin... Diese Pilger schienen mir von weit zu kommen" (Dante, VITA NOVA)« (Bl. 1) – Handke schrieb es auf den linken oberen Rand des kopierten Textanfangs. Fellinger vermerkte in dieser Kopie lediglich zwei kleine Korrekturen (Bl. 11, 12): er verbesserte einmal das Wort »schlichtet« zu »schichtet« – »das alte Paar schlichtet seine Klappstühler in den Reise\Übersee/koffer« (Bl. 11) und fügte an einer anderen Stelle den Artikel »den« ein – »mit usns \den/ Platz tauschen« (Bl. 12). Da der Text in der Kopie oftmals seitlich abgeschnitten und aufgrund der vielen Einfügungen Handkes nicht gut zu lesen war, wurde im Verlag eine auf DIN-A3-Format vergrößerte Kopie angefertigt (Besitz 3). (kp)
Siglenverzeichnis Editorische Zeichen
Tabellarische Daten
Titel, Datum und Ort
Die Kunst des \Das Spiel vom/ Fragens [/] oder [/] Die Reise zum sonoren Land [Bl. II]; Die Kunst des \Das Spiel vom/ Fragens [/] oder [/] Die Reise zum Sonoren Land [Bl. III]
V. [Venedig; Bl. 13]; Aqu. [Bl. 13]; Aquileia [Bl. 15]; Aqu. [Bl. 16, 17]; Gemona [Bl. 18]; Gemona del Friuli [Bl. 19, 20]; Gemona [Bl. 21, 23]; Gemona del Friuli [Bl. 24, 26]; Gemona [Bl. 28]; Paris [Bl. 29]; Paris 7 [Bl. 30, 31, 33, 35, 37]; Paris [Bl. 39, 41, 43, 44, 45, 47]; Paris 7 [Bl. 49]; P., Avenue de la Bourdonnais, Zi 608 [Bl. 51]; Bourd. [Bl. 52]; Paris, B. [Bl. 54]; Paris 7 [Bl. 56]; Paris, Bourd. [Bl. 57]; Paris, Hotel Le B. [Bl. 59]; Paris, B. [Bl. 61]; Paris 7e [Bl. 63]; Hotel La Bourdonnais Paris 7e [Bl. 66]; Brazzano di Cormòns, Venedig, Aquileia, Gemona del Friuli, Paris [Bl. 68]
Materialart und Besitz
Typoskript 1,5-zeilig, 72 Blatt, fol. I-III, pag. 1-68, fol. I*, mit zahlreichen eh. Korrekturen; Verwendung verschiedener Papiersorten: normal weißes, grünes (Bl. 45-51) und hellbraunes, dickeres Papier (Bl. II, 52, I*) oder auf Briefpapier des Verlags »Braitan« in Brazzano di Cormòns (Bl. II, III, 1-3)
1 Widmung auf einem kleinen Notizblatt: »Für Hans (Widrich) [/] "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum Sonoren Land" [/] – Manuskript [/] Peter (Handke) [/] Salzburg, 19.4.1990 [/] gegen episodisches Wohnrecht auf dem Mbg.« (Bl. I)
-
Die Abwesenheit; Die Kunst des Fragens; Der Bildverlust
Notizbuch, 184 Seiten, 28.08.1986 bis 24.11.1986 -
Wintertagebuch; Die Abwesenheit; Die Kunst des Fragens; Der Bildverlust; Vergessenheit; Amok
Notizbuch, 208 Seiten, 24.11.1986 bis 22.02.1987 -
Die Abwesenheit; Die Kunst des Fragens; Der Bildverlust; Gedicht der Nachbarn; Amok; Versuch über die Müdigkeit
Notizbuch, 197 Seiten, 10.02.1987 bis 27.05.1987 -
Die Kunst des Fragens; Versuch über die Müdigkeit; Kleiner Versuch {über den [Steno]} 3.; Der Bildverlust; Amok
Notizbuch, 239 Seiten, 02.07.1987 bis 05.10.1987 -
Die Kunst des Fragens; Der Bildverlust; Versuch über die Müdigkeit
Notizbuch, 190 Seiten, 07.10.1987 bis 09.12.1987 -
Die Kunst des Fragens; Der Bildverlust (oder Der Nessellauf); Versuch über die Müdigkeit
Notizbuch, 130 Seiten, 09.12.1987 bis 11.02.1988 -
Die Kunst des Fragens; Der Bildverlust; Versuch über die Müdigkeit
Notizbuch, 238 Seiten, 12.02.1988 bis 05.05.1988 -
Die KdF oder Passagen zum Sonoren Land; Der Bildverlust; Versuch über die Müdigkeit
Notizbuch, 96 Seiten, 05.05.1988 bis 14.06.1988 -
Die Kunst des Fragens oder die Reise zum Sonoren Land
Notizbuch, 194 Seiten, 14.06.1988 bis 21.08.1988 -
Ohne Titel
Notizbuch, 76 Blatt, 21.08.1988 bis 12.10.1988
-
Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum Sonoren Land (Textfassung 1a)
Typoskript 1,5-zeilig, 72 Blatt, 07.06.1988 bis 04.08.1988 -
Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum Sonoren Land (Textfassung 2)
Typoskript 2-zeilig, Durchschlag, gebunden, 117 Blatt, ??.08.1988 bis ??.??.1988