Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 125 Seiten, 08.05.1976 bis 13.06.1976
Dieses hellbraune Notizbuch enthält Peter Handkes Aufzeichnungen aus der Zeit von 8. Mai bis 13. Juni 1976. Es umfasst 125 Seiten, die mit einer Paginierung von 1-121 versehen sind, wobei Handke auf vier bei der Zählung übersehenen Blättern nachträglich die Seitenzahlen 95a und 95b sowie 109a und 109b eingefügt hat. Dazu kommen drei unpaginierte Blätter im vorderen Vorsatz (S. I-III), auf denen Handke unter anderem den Projekttitel »Ins tiefe Österreich« (S. I) vermerkte oder seine Reisestationen auflistete (S. II), und vier Blätter im hinteren Vorsatz (S. I*-IV*), vornehmlich mit Lektürezitaten, Adressen und Telefonnummern. Die Notizen entstanden während einer elftägigen Reise nach Los Angeles und New York (8. bis 19. Mai), in Paris, wo Handke im 16. Arrondissement am Boulevard Montmorency wohnte, sowie (laut Handkes Angaben am vorderen Vorsatz) in Cannes, Frankfurt, Salzburg, Tamsweg, Graz und Brunnsee – diese Orte werden aber in den Notizen nicht genannt.
Übernahme von Notizen
Ein Teil der Aufzeichnungen wurde von Peter Handke im Journal Das Gewicht der Welt abgedruckt. Sie umfassen dort insgesamt 25 Seiten (DGW 161-186). Nicht übernommen wurden, soweit das zu erkennen ist, persönliche Erinnerungen oder Notizen über ihm nahestehende Personen sowie Aufzeichnungen, die er eventuell für sein Schreibprojekt verwenden wollte. Vermutlich fielen deshalb sämtliche Einträge, die während seiner Amerika-Reise von 8. bis 19. Mai 1976 entstanden sind, weg, weil sie in engem Zusammenhang mit dem Projekt »Ins tiefe Österreich« bzw. Langsame Heimkehr standen; sie machen ungefähr ein Drittel der Notizbuchaufzeichnungen aus. Eine Ausnahme bilden nur zwei Anfang Mai in Amerika aufgeschriebene Notate (S. 8 u. 9), die Handke im Journal allerdings unter das Datum des 20. Mai (DGW 161) reihte; sie stehen am Anfang der Notizenreihe aus diesem Notizbuch. Auch bei den folgenden ins Journal übernommenen Einträgen veränderte Handke die Datierungen etwas. Die dritte aus diesem Notizbuch entnommene Notiz im Journal lautet: »Der erste Tag wieder in Europa: ich habe für alles richtige, einfache Handgriffe« (DGW 161). Sie ist im Journal ebenfalls unter das Datum des 20. Mai. gereiht, im Notizbuch aber mit 19. Mai (S. 40) datiert. Die Datierung der Notizen verschiebt sich demnach jeweils um einen Tag. Ab der Notiz: »St. Germain-des-Prés: Beim Anblick der exzentrisch Aussehenden die Lust, noch das letzte Auffällige an einem selber loszuwerden, um völlig anonym zu erscheinen« (DGW 163; vgl. S. 45) vom 22. Mai stimmen die weiteren Datierungen jedoch wieder mit dem Notizbuch überein.
Überarbeitungen
Für die Veröffentlichung wurden die meisten Notizen leicht überarbeitet: Es wurden einzelne Wörter oder Sätze umgestellt, ausgetauscht, gestrichen oder ergänzt, manchmal wurde auch die Perspektive geändert. Zum Beispiel schrieb Handke die in der dritten Person (Er-Form) eventuell schon für das Romanprojekt aufgezeichnete Notiz: »Er stand so unnahbar, so streng, daß keine andere Vorstellung von außen, auch nicht die geheimste, in bezug auf ihn möglich war« (S. 44f.) zu einer Forderung an sich um: »So unnahbar, so streng werden, daß keine andere Vorstellung von mir mehr möglich ist« (DGW 163). Bei der Notiz »Meine Abneigung gegen "glockenhelle" Stimmen« (S. 51) ergänzte er im Journal in Klammer den Namen »(Joan Baëz)« (DGW 165) oder setzte bei einer anderen Notiz im Journal den Kommentar »(mein Idealisierungswille)« (DGW 169; vgl. S. 62) hinzu. Bei anderen Einträgen strich er bei der Übernahme ins Journal gerade solche Anmerkungen. Die Notiz: »"... ist aktuell geblieben": oft ist Aktualität nur das aktuell gebliebene, ewige Klischee: eine Art Vor-Einigung allezeit über das Aktuelle (zu Koeppen)« (S. 46) lautet im Journal: »Rezensionsstandards über Reprisen: "... ist aktuell geblieben." (Dabei ist Aktualität in der Regel nur das aktuell gebliebene, andauernde Klischee; eine Art Vorauseinigung allezeit über "das Aktuelle")« (DGW 164).
In einigen Fällen übernahm Handke nur einen Teil des Notizbucheintrags. Von der Notiz: »Im dunklen Wohnungsflur lächelt plötzlich erkennend das Gedächtnis an den Gestorbenen, das in diesem Moment gleichzeitig das Gedächtnis des Gestorbenen ist (Im leeren dunklen Flur die Erscheinung des Verstorbenen am Flur wie ein Lächeln und ich lächelte erkennend zurück)« (S. 47) wurde im Journal nur der letzte Teil überarbeitet verwendet: »Im leeren, dunklen Wohnungsflur plötzlich die Erscheinung eines Gestorbenen, wie ein Lächeln, und ich lächelte zurück« (DGW 164). Bei dem Eintrag: »Jemand muß mir denken helfen! (sonst stiere ich nur vor mich hin vor Ausweglosigkeit)« (S. 78) wurde der in Klammer gesetzte Teil durch ein, die Dringlichkeit des Aufrufs verstärkendes »(Heute)« (DGW 175) ersetzt. In den Notizen vorkommende Personen wurden meist mit anderen Initialen versehen (DGW 169, S. 63) oder die Initialen wurden ganz weggelassen (DGW 165, S. 49f.) oder durch »Kind«, »Mann« oder »Frau«, »Er« oder »Sie« ersetzt. Zum Beispiel wurde »S.« (S. 74) im Journal zu »Er« (DGW 174). (kp)
Tabellarische Daten
Titel, Datum und Ort
Ins tiefe Österreich
U.S. (L.A., New York) (8.5.1976 – 19.5.1976); Paris (19.5.- ); (Cannes; Frankfurt; Salzburg; Tamsweg; Graz; Brunnsee); Paris [Bl. II]
Grönland (aus dem Flugzeug, S. 1); US (S. 1); L. A. (S. 1); U.S. (S. 7); L. A. (S. 9); Universität (welche Universität ist unklar, S. 11); Campus (S. 11); L. A. am Sunset Boulevard (S. 12); L. A. (S. 13, 14); Hörsaal (S. 15); Erdbebeninstitut (S. 18); Schuppen ohne Fenster, wo Oppenheimer die erste Atombombe entwickelt hat (S. 21); U. S. (S. 24); Hörsaal (S. 25f.); Geologiehörsäle (S. 27); Campus (S. 27); L. A. (S. 27); Los Angeles (S. 29); Amerika (S. 31); Wüste (S. 31); U.S. (S. 31); Disneyland (S. 32, 33); Canyons (aus dem Flugzeug, S. 34); New York (S. 36); U.S.A. (S. 37); Brooklyn Hights (S. 37); 5th Ave (S. 37); N.Y. City (S. 38); über Europa (im Flugzeug, S. 39); Europa (S. 39); Europa (aus der Luft, S. 40); den ersten Tag in Europa zurück (S. 40); St. Germain (Saint Germain des Prés in Paris, S. 45); Europa (S. 47); Bois de Boulogne (S. 54); amerikanische Kirche von Paris (S. 62); Südfrankreich (S. 64); Österreich (S. 95b); Loretto (S. 96); österreichische Landschaft (S. 96); Österreich (S. 103)
Materialart und Besitz
1 hellbraunes Notizbuch, 125 Seiten, I-III, pag. 1-95, 95a-95b, 96-109, 109a-109b, 110-121, I*-VI*
1 Papierstreifen mit Datumsangabe »Mai-Juni 1976« (1 Blatt)
Nachweisbare Lektüren
Literatur:
- Wolfgang Koeppen: Der Tod in Rom (S. 40; 46)
- Heinrich von Kleist: Die Marquise von O. (Erwähnung, S. 49)
- Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege (S. 59, 68f., 77, 107);
über H. v. Doderer und Hermann Lenz (S. 84)
-
Martin Heidegger: "Nur noch ein Gott kann uns retten". Spiegel-Interview mit Rudolf Augstein vom 23.9.1966. In: Der Spiegel, 31.5.1976 (S. 84)
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James Joyce und Samuel Beckett (Erwähnung, S. 103)
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Novalis: Blüthenstaub (S. 116, 120-121, I*-II*, IV*)
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Milovan Djilas (S. 121)
Film:
- Johnny Weissmüller, Tarzan (S. 24)
- L.A.-Fernsehen (S. 32)
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Wim Wenders: Im Lauf der Zeit (S. 66)
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mit den Kindern im Film: Der sechste Kontinent, Angriff der Dinosaurier (S. 109a)
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Yasujirō Ozu (S. IV*)
Musik:
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Bobby Bare: Singin' in the kitchen (S. 33)
Ergänzende Bemerkungen
- Zeichnungen vermutlich von Amina Handke (S. 2-5)
- Zeichnung eines Blattes (?) »12/5/76« (S. 15)
- Skizze einer Seismographenkurve (S. 17)
- Gekritzel (S. 26)
- Zeichnung von Zäunen und Wiese (S. 32)
- Zeichnung einer Fieberkurve (S. 33)
- Skizze eines Wirbelsturms (S. 38)
- Zeichnung einer Gartentischplatte »mit dem Loch für die Sonnenschirmstange und dem Muster« (S. 58)
- Zeichnung von Aminas »Kopf- und Frisurform« (S. 60)
- mehrere Zeichnungen von Amina Handke (S. 88-90)
- Zeichen der »Straßburger Steinmetze« (S. 98)
- Skizze eines »erhabene[n] Muster[s] in einer Eisentür« (S. 99)
- Zeichnungen vermutlich von Amina Handke (S. 109a-110)
- Symbole ägyptischer Gesten (S. 111, 113)
-
Der Staat & der Tod
Notizbuch, 40 Seiten, ohne Datum [??.??.1975] -
Schulfrei; Erste Bilder
Notizbuch, 58 Seiten, ohne Datum [??.??.1975] -
Die linkshändige Frau
Notizbuch, 56 Seiten, ??.11.1975 bis ??.01.1976 -
Die linkshändige Frau
Notizbuch, 88 Seiten, 17.01.1976 bis 22.02.1976 -
Eine Woche im März
Notizbuch, 92 Seiten, 05.03.1976 bis 15.03.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 170 Seiten, 15.03.1976 bis 16.04.1976 -
Ohne Titel
Notizbuch, 96 Seiten, 16.04.1976 bis 08.05.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 125 Seiten, 08.05.1976 bis 13.06.1976 -
Ohne Titel
Notizblock, 98 Seiten, 13.06.1976 bis 04.07.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 96 Seiten, 05.07.1976 bis 21.07.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizblock, 82 Seiten, 21.07.1976 bis 10.09.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 88 Seiten, 09.08.1976 bis 15.09.1976 -
Phantasien der Ziellosigkeit
Notizbuch, 178 Seiten, 16.09.1976 bis 03.11.1976 -
Phantasien der Ziellosigkeit; Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 100 Seiten, 12.11.1976 bis 10.01.1977 -
Ohne Titel
Notizbuch, 90 Seiten [davon 22 beschrieben], 17.12.1976 bis 28.02.1977 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 128 Seiten, 30.12.1976 bis ??.03.1977
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Werktagsgefühle (Fortsetzung)
Typoskript 1-zeilig, 4 Blatt, ohne Datum -
Das Gewicht der Welt. Journal 1975/1976 (Textfassung 1)
Typoskript 1-zeilig, 172 Blatt, ??.11.1975 bis 29.03.1977 -
Das Gewicht der Welt. Ein Journal (November 1975 - März 1977)
Druckfahnen, mit handschriftlichen Korrekturen, 178 Blatt, 24.06.1977