Korrekturbriefe an Karlheinz Braun (zum Bühnenbuch und zur Erstausgabe von 1973)

Typoskript 1-zeilig, 8 Blatt, 11.02.1974 bis 13.02.1974

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Obwohl Die Unvernünftigen sterben aus bereits als Suhrkamp Taschenbuch vorlag und das Stück schon für die Uraufführung am Theater am Neumarkt geprobt wurde, kündigte Peter Handke seinem Verleger Karlheinz Braun am 6. Februar einige »Streichungen und Ergänzungen« zum Stück an. (UAF, Bestand Verlag der Autoren) In Folge sandte ihm Handke zwei Briefe mit Korrekturen zum Stück. Den Großteil der Änderungswünsche beinhaltet der erste, am 11. Februar 1974 geschriebene Brief, mit dem Handke Braun ein sechsseitiges Typoskript übermittelte: »voilá die Änderungen. Ich möchte mich auf Dich verlassen, dass alle aufführenden Theater sie zu Gesicht kriegen. Bitte schick eine Kopie auch an [Michael] Roloff und eventuelle andere Übersetzer. Ich würde die Änderungen im grossen und ganzen als verbindlich bezeichnen, bis auf Seite 60/61, wo Quitt und Hans über ihr Theatererlebnis reden, da könnte man auch die alte Version nehmen.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren, Verlagskorrespondenz)

Änderungswünsche im ersten Korrekturbrief

Die Liste mit Korrekturen und Änderungswünschen umfasst sechs unpaginierte DIN-A4-Blätter, auf denen Handke mit Angabe der Seitenzahl im Taschenbuch der Erstausgabe die jeweiligen Textpassagen (es sind insgesamt 31 Stellen) neu abgetippt und die veränderten, gestrichenen oder neugeschriebenen Stellen mit schwarzem Stift unterstrichen hat. Zum Beispiel markierte er in der Liste eine Stelle zur Seite elf im Taschenbuch: »11 [/] KILB Ich heisse Franz Kilb. [/] HANS (lacht): [/] KILB Gefällt Ihnen mein Name nicht? [/] HANS Es ist etwas anderes. Ich habe nämlich gerade mit mir selber gesprochen, fast fliessend. Wir haben hier nichts gegen Namen. Und w a s sind Sie?« (Bl. I, vgl. DUa 11) Diese Stelle lautete in der Erstausgabe noch: »KILB Ich heiße Franz Kilb, woraus Sie schon schließen können, daß ich nicht viel bin. [/] HANS Wir haben hier nichts gegen Namen. Und w a s sind Sie?« (DU 11)

Die Änderungen betreffen meist kleinere Dialogteile, in manchen Passagen schrieb Handke jedoch auch ganze Teile neu, im Taschenbuch sagt Quitt höhnisch über die Personen in einem Theaterstück, das er vor Kurzem gesehen hatte: »Außerdem ist es ja wirklich so: wenn Leute aus den unteren Schichten miteinander reden, sagen sie jeweils nicht mehr als einen einzelnen kurzen Satz. Und die Pausen dazwischen sind meistens noch viel länger. Ich kenne das aus meiner Kindheit, wenn alle bis auf die Mutter in der Wohnküche saßen – die ja übrigens wieder in Mode kommt, ich habe sie gerade in die Produktion aufgenommen –, das Strickzeug verlassen ohne Nadeln auf dem Tisch lag, die Küchenuhr tickte und endlich die Klospülung rauschte und die Mutter blutleer mit weichen Knien hereinschlich. Mein Vater war, wie du weißt –« (DU 60/61). Handke gestaltete diesen Dialogteil (auch mit der folgenden Antwort von Hans) völlig neu: »Die in menschenunwürdigen Umständen leben, stellen auf der Bühne die letzten Menschen dar. Dieses Paradox gefällt mir. Ich wünsche mir nämlich Menschen auf der Bühne, keine PapiermMonster: sich krümmende, unschematische, schmerz- und glückdurchschauerte Menschen. Das Kreatürliche zieht mich an, das Wehrlose, die Erniedrigten und Beleidigten. Einfach Menschen, verstehst du? Richtige Menschen, die ich schmecken und fühlen kann, lebendige Menschen, weiß du, was ich meine? Menschen! […]« (Bl. III; vgl. DUa, 61/62)

Zweiter Korrekturbrief

Den zweiten Korrekturbrief sandte Handke am 13. Februar 1974 an Braun: er habe »doch n o c h einige Kleinigkeiten vergessen. Dann ist aber Ende – auch wenn ich es nicht ganz versprechen kann: es ist halt so, dass das Stück mich notgedrungen wieder beschäftigt hat.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren, Verlagskorrespondenz) Der Brief besteht inklusive der Änderungen aus nur einem Blatt; es handelt sich um eher marginale Eingriffe. So schlägt Handke am Anfang des Stückes zum Beispiel eine etwas erweiterte Bühnenbildangabe vor. Statt: »Ein großer Raum. Von der Seite scheint die Nachmittagssonne herein. Hinten, wie durch ein riesiges Fenster, die entfernte  Silhouette einer Stadt« (DU 7) soll es in der neuen Fassung heißen: »Ein grosser Raum. Von der Seite scheint die Nachmittagssonne herein. DER HINTERGRUND DER BÜHNE WIRD DURCH EINE LEINWAND GEBILDET, ÄHNLICH EINER KINOLEINWAND. DURCH DIE LEINWAND VAGE DIE SILHOUETTE EINER GROSSEN STADT.« (UAF, Bestand Verlag der Autoren, Verlagskorrespondenz; vgl. DUa, 7)

Eine längere Passage fügte Handke in den Schlussdialog von Kilb und Quitt ein: »Eigenartig: Während ich so logisch daherrede, sehe ich zur gleichen Zeit zum Beispiel einen winterlichen See in der Abenddämmerung vor mir, der gerade zufriert, oder einen kleinen Baum, auf dessen Wipfel eine Flasche steht, und einen unrasierten Chinesesn, der um eine Türecke schaut – jetzt ist er wieder weg – und summe außerdem noch während der ganzen Zeit innerlich immer wieder eine bestimmte stumpfsinnige Melodie.« (DU 99; DUa 102)

Die Änderungswünsche wurden vom Verlag der Autoren auch an Thomas Beckermann, Handkes Lektor im Suhrkamp Verlag, weitergeleitet und bis auf zwei Punkte in der 1974 erschienenen Neuauflage des Taschenbuchs von Die Unvernünftigen sterben aus vollständig umgesetzt. (kp)

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Beteiligte Personen:  Karlheinz Braun
Entstehungsdatum (laut Vorlage):  11.2.74.; 13.2.74.
Datum normiert:  11.02.1974 bis 13.02.1974
Entstehungsorte (laut Vorlage): 

Paris

Materialart und Besitz

Besitz:  Universitätsarchiv Frankfurt
Art, Umfang, Anzahl: 

1 Brief vom 11.2.1974, 1 Blatt, und 1 Typoskript, 6 Blatt, I-VI, mit hs. Unterstreichungen von Peter Handke

1 Brief vom 13.2.1974, 1 Blatt, mit hs. Unterstreichungen und einer Notiz von Peter Handke

Format:  A4
Schreibstoff:  Filzstift (schwarz)