Dieses Notizbuch Peter Handkes mit dem Projkettitel »Die linkshändige Frau« befindet sich im Original im Bestand des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek/Leihgabe Widrich. Verglichen mit anderen Notizbüchern des Autors ließe es sich treffender als dünnes Heft beschreiben. Es ist etwas kleiner als ein DIN-A6 Format, hat einen schwarzen Plastikumschlag und 44 karierte Blätter, die beidseitig mit unterschiedlichen Schreibgeräten beschrieben wurden. Das Notizbuch wurde nicht paginiert. Die Quellenangaben erfolgen nach der vom Archiv vorgenommenen Folierung von 1-88.
Die Einträge wurden von Handke nicht konsequent datiert. Das Notizbuch enthält nur die zwei Datumseinträge »17.1.1976« (S. 75) und »22.2.1976« (S. 76), die zumindest eine ungefähre zeitliche Einordnung erlauben. Die Notizen müssen demnach während seiner Arbeit an der ersten und zweiten Textfassung von Die linkshändige Frau in den Monaten Jänner und Februar 1976 in Paris entstanden sein. Die beiden Datierungen befinden sich eher im hinteren Teil des Notizbuchs, der insofern zugleich der Anfang ist, da Handke das Buch von vorne und hinten seitenverkehrt verwendet und jeweils zur Mitte hin beschrieben hat. Die entsprechenden Notizen ordnete Handke auf den Vorsatzblättern vorne und hinten Schreibprojekten zu – den vorderen Teil betitelte er »Die linkshändige Frau« (S. I) und den von hinten nach vorne beschrifteten Teil mit: »Die linkshändige Frau (und anderer Unsinn)« (S. I*).
Orte werden im Notizbuch fast nur im Kontext der Werknotizen erwähnt. So kommt ein paar Mal Frankfurt vor, wo das Drehbuch Die linkshändige Frau spielte (S. 8, 15, 22), der Altkönig im Taunus (S. 17) oder in einer Traumnotiz nennt Handke das Elsass (S. 66). Manche Orte sind dennoch zugleich Entstehungsorte wie jene in den Notizen zur den Gedichten Das Ende des Flanierens und Die Laternen auf der Place Vendôme. Die Notizen entstanden an der Métro Raspail (S. 26, 78), auf der Place Vendôme (S. 45, 46), in einer Taverne in Auteuil (S. 78), am Boulevard Edgar Quinet (S. 78), Bd St. Germain (S. 79) oder der Métro Censier-Daubenton (S. 79). Einige der Aufzeichnungen sind während eines Schiurlaubs mit seiner Tochter in Österreich entstanden (S. 54-61). Sie schließen mit der auf 22. Februar 1976 datierten Notiz, in der explizit Aufenthaltsorte genannt werden: »Als ich heute abend nach Paris zurückkam von Österreich und Deutschland, fühlte ich mich an der finsteren Pointe de la Muette am Rand des Bois de Boulogne auf einmal als jemand, dessen Existenz gleichzeitig noch in dem kleinen Heimatort in Südkärnten vor sich ging, ganz körperhaft, und mein Köper erstreckte sich in diesem Moment auf eine fast tröstliche Weise durch Europa« (S. 61f.). Den Schiurlaub in Salzburg (ab 13. Februar) erwähnte Handke in einem Brief an seinen Freund Hermann Lenz vom 12. Februar 1976, ebenso die Rückreise nach Paris über München am 20. Februar, wo er in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste eine Rede für Hermann Lenz hielt. (Handke / Lenz 2006, S. 94, 323)
Generell vermitteln die Aufzeichnungen den Eindruck von spontan notierten Beobachtungen – das zeigen Aufbau und Wortwahl der Sätze oder die zum Teil von Notiz zu Notiz wechselnden Schreibstifte. Nur einmal verweist Handke explizit auf seine Lektüre – auf Wilhelm Raabe (S. 82). Er verdeutlicht Notizen aber oft mit Filmszenen aus John Fords Two Rode Together (S. 9, 24), Pier Paolo Pasolinis Mamma Roma (S. 19, 28) oder Alfred Hitchcocks Jamaica Inn (S. 79). Zwischen den Notaten findet man immer wieder Telefonnummern und Zugabfahrtszeiten. Auffällig sind die Zeichnungen, Zahlenreihen oder Rechentabellen von Peter Handke und seiner Tochter Amina. Die stilistisch und motivisch einfach gehaltenen Zeichnungen oder Kritzeleien haben keine erkennbare Notiz- oder Illustrationsfunktion. Sie zeigen auch keinen Bezug zu den schriftlichen Notizen, sondern dürften vielmehr eine kontemplative Funktion erfüllt haben oder im Spiel mit der Tochter entstanden sein.
Das Notizbuch ist ein wichtiger Beleg für die Veränderung von Handkes Arbeitsweise und Poetik. Es zeigt einerseits den Übergang vom ausschließlich projektorientierten Notieren seiner frühen Jahre (hier zu Die linkshändige Frau) zum Journalschreiben – einem täglichen spontanen Mitschreiben von Beobachtungen ohne Projektbezug. Es macht andererseits das dabei entstandene genreübergreifende Schreiben Handkes deutlich. Das Notizbuch versammelt Aufzeichnungen zum Filmdrehbuch und zur Erzählung Die linkshändige Frau sowie zu den beiden im Kontext der Erzählung entstandenen Gedichte Das Ende des Flanierens (S. 21, 26, 28-33 und 76-81) und Die Laternen auf der Place Vendôme (S. 42-46). Etliche der Notate nahm Handke in sein 1977 erschienenes Journal Das Gewicht der Welt auf. Am Beginn des Notizbuchs wurden verwendete Notizen durch ein Häkchen oder einen Strich markiert, wobei nicht alle in die Linkshändige Frau aufgenommenen Stellen abgehakt wurden. Die Häkchen scheinen nach einzelnen Arbeitsschritten an der Erzählung gemacht worden zu sein. Ab der Mitte des Heftes, das heißt für die von hinten zur Mitte geschriebenen Notizen, hat Handke dieses System nicht mehr verfolgt. (kp)
Die linkshändige Frau
Paris [Adresse, S. II]
Place Vendôme (S. 45, 46); Österreich; Deutschland; Paris; Pointe de la Muette am Rand des Bois de Boulogne (S. 61); Heimatort in Südkärnten (S. 62); Epsom Tavern Auteuil; Bd Edgar Quinet; Métro Raspail (S. 78); Censier-Daubenton; Bd. St. Germain (S. 79)
1 Notizbuch, 88 Seiten, I-III, pag. 1-88, I*-III*
Zeichnungen und Skizzen von Peter und Amina Handke
Das Notizbuch wird in einem Briefumschlag aufbewahrt mit einer Beschriftung von Hans Widrich: »erh. 3.2.80 zum Geburtstag«. Das Buch ist von beiden Seiten beschrieben, mit jeweils einem Titel auf dem Vorsatzblatt; die Seiten I-75 enthalten die Datierung »22.2.1976«; die Seiten 76-III* enthalten die Datierung »17.1.76«.