Aktualisierung 1998
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[2/ S. 328:] 1998 war, was Zahl und Bedeutung der Zuwächse auf dem literarischen Sektor betrifft, ein äußerst erfolgreiches Jahr für die
Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Unter den Erwerbungen ragen vor allem zwei hervor: der Teilnachlaß
von Max Reinhardt und ein großer Bestand an Autographen von Karl Kraus.
Der Nachlaß von Max Reinhardt (1873-1943) umfaßt neben einem Regiebuch (die überwiegende Zahl der Regiebücher befindet sich
heute in den Vereinigten Staaten, einen bedeutsamen Reinhardt-Bestand besitzt auch das Österreichische Theatermuseum) zahlreiche
Manuskripte Reinhardts zum Theater sowie verschiedene Materialien zu seiner Regietätigkeit. Außerdem enthält er über 300 Briefe
und Telegramme Reinhardts und ebensoviele von seiner Gattin Helene Thimig. Dazu kommen über hundert Briefe an Reinhardt, darunter
solche von Hugo von Hofmannsthal, aber auch Korrespondenzen mit bedeutenden Persönlichkeiten aus dem Theaterleben.
Was zu Karl Kraus (1874-1936) angekauft werden konnte, ist die wichtigste und umfangreichste Ergänzung des Karl-Kraus-Archivs,
die seit dessen Bestehen angeboten wurde und zugleich der größte Bestand an Kraus-Autographen, der sich noch in Privatbesitz
befand. - Es handelt sich um ca. 2.000 Blatt in eigener Handschrift, darunter das komplette Manuskript der Bearbeitung von
Offenbachs »Perichole« und von Shakespeares »Macbeth« sowie Gedichte und Zusatzstrophen zu Couplets mehrerer Nestroy-Stücke,
Artikel und Korrekturfahnen für die »Fackel«, aber auch um über hundert zumeist zeitgenössische und teilweise bisher unbekannte
Fotografien von Kraus und seinem Umkreis.
[2/ S. 329:] Von Interesse ist auch der literarische Nachlaß der Schriftstellerin Joe Lederer (1904-1987) mit Werkmanuskripten und -typoskripten,
Privat- und Verlagskorrespondenzen, die durch Fotografien und persönliche Dokumente (darunter auch solche aus der Emigration)
ergänzt werden.
Der Nachlaß von Felix Braun (1885-1973), von dem sich der Großteil schon seit vielen Jahren in der Sammlung befindet, erfuhr
eine interessante Ergänzung: Briefe, autographe Vorlesungen, Gedichte und Erzählungen vor allem aus der Zwischenkriegszeit
sowie das Typoskript des Romans »Agnes Altkircher«.
Zum Nachlaß von Max Mell (1882-1971), über den bereits in den »Sichtungen« 1/1998 berichtet worden war, kam noch eine wichtige
abschließende Erwerbung vor allem von Korrespondenzen und werkbezogenen Materialien, so daß dieser für die österreichische
Literatur vor allem der Zwischen- und Nachkriegszeit wichtige Bestand nunmehr geschlossen in der Sammlung aufbewahrt wird.
- Leider hat sich die im Vorjahr geäußerte Hoffnung, den äußerst umfangreichen Nachlaß bis Ende 1998 so weit zu bearbeiten,
daß er in einer groben Übersichtsordnung den Benützern zur Verfügung steht, nicht erfüllt. Dies lag gleicherweise an der Komplexität
des Materials (das zudem gegen Ende des Jahres noch einen wesentlichen Zuwachs erfuhr) wie an der Notwendigkeit der vordringlichen
Sichtung der neuerworbenen Reinhardt- und Kraus-Bestände, und ist vor allem in der Tatsache begründet, daß die Sammlung personell
hoffnungslos unterbesetzt ist und der drückende Platzmangel die Aufarbeitung zusätzlich erschwert. Es besteht begründete Hoffnung,
daß eine Grobordnung des Nachlasses dennoch 1999 durchgeführt und abgeschlossen werden kann.
Nicht vergessen werden soll auch der Ankauf zahlreicher Einzelautographen, die eine wertvolle Ergänzung der vorhandenen Bestände
darstellen. Hier spannt sich der Bogen von Franz Grillparzer, Ferdinand Kürnberger, Nikolaus Lenau und Marie von Ebner-Eschenbach
über Peter Altenberg (von dem ein weiteres Postkartenalbum erworben wurde) und Franz Werfel (eine autographe Novelle) bis
zu Friedrich Achleitner, Ilse Aichinger, H. C. Artmann, Joe Berger, Günter Brus, Ernst Jandl, Andreas Okopenko und Gerhard
Rühm. Eine umfassende Dokumentation zu Leben und Schaffen Heimito von Doderers (Sammlung Herbert Ketzler) rundet die Erwerbungen
des Jahres 1998 ab.
Hervorzuheben ist auch, daß von der Sammlung nicht nur zahlreiche Leihgabenwünsche für verschiedene Ausstellungen erfüllt
werden konnten, sondern daß im Rahmen der Wechselausstellungen der Bibliothek die Ausstellung »Karl Emil Franzos (1848-1904).
Der Dichter [2/ S. 330:] Galiziens« (Gestaltung: Hermann Böhm) eingerichtet wurde, nach deren Katalog noch immer rege Nachfrage herrscht. Auch an der
vom ÖLA veranstalteten Ausstellung »Der literarische Einfall« wurden in Eigenverantwortung die Kapitel Grillparzer und Nestroy
verfaßt (Walter Obermaier).
Während die auf die Briefautographen folgende Revision und Neuaufstellung der Nachlaßstücke (Lyrik, Prosa, dramatische Werke,
Tagebücher, Dokumente usw.) in säurefreie Autographenmappen und Cahiers 1998 zügig voranschritt, kann auf den bereits gescannten
Katalog der Handschriftensammlung mit seinen fast 400.000 Katalogkarten noch nicht auf elektronischem Weg zugegriffen werden,
was neben der erwähnten Personalknappheit auch technische Gründe hat. Doch auch hier wird 1999 eine zukunftsorientierte Lösung
gefunden werden.
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