Herbert Wilhelmy: Geomorphologie in Stichworten

Zu der beim Umzug nach Chaville von Peter Handke in Salzburg zurückgelassenen Bibliothek zählt eine Ausgabe des von Herbert Wilhelmy verfassten und in der Reihe »Hirts Stichwörter« erschienenem geologischen Fachbuch Geomorphologie in Stichworten. Die ersten drei Bände des insgesamt vierbändigen Werks mit den Titeln I. Endogene Kräfte, Vorgänge und Formen, II. Exogene Morphodynamik. Verwitterung – Abtragung – Tal- und Flächenbildung und III. Exogene Morphodynamik. Karsterscheinungen – Glazialer Formenschaft – Küstenformen werden heute in der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich aufbewahrt. Ob Handke den vierten Band auch besaß ist unklar.

Die zahlreichen darin in Form von Wort- oder Satzunterstreichungen, Markierungen (Kreuzchen, Rufzeichen, seitliche Doppelstriche) oder Anmerkungen hinterlassenen Lektürespuren zeigen nicht nur Handkes intensives Studium, sie sind auch hinsichtlich der Textgenese von Langsame Heimkehr von Interesse. Darin erzählt er von einem Geologen und Universitätsprofessor namens Valentin Sorger, der in Alaska Feldstudien betreibt, an einer Studie über Räume arbeitet. Die Landschaftsformen sind in der Erzählung zugleich Chiffren für die eigene Lebensgeschichte im Zusammenhang mit der größeren politischen Geschichte stehen.

Die Erzählung hatte in der ersten Textfassung noch den programmatischen Titel »Die Vorzeitformen« (ÖLA 326/07/W1). Dabei handelt es sich um einen Geologischen Fachbegriff, den Handke aller Wahrscheinlichkeit nach bei Wilhelmy gelesen hatte; er bezeichnet sehr alte, über die Zeit immer in Bewegung gebliebene, teilweise schon abgetragene, geomorphologische Strukturen, die ein besonders aufmerksamer Geologe in heutigen Landschaftsformen noch nachweisen kann. Im ersten Band von Wilhelmy unterstrich Handke eine Passage, in der es um die Vorzeitformen geht, hob im dritten Band den Begriff »Vorzeitformen« im Sachregister hervor und bemerkte am Vorsatz des Buches: »In Europa: Vorzeit-Kegelkarst [/] das verwitterte Tal in Alaska ({Mach} Gletscher)«.

Handke dürfte die Bände 1978 in Alaska und New York mit dabei gehabt haben, denn am Schmutztitelblatt des zweiten Bandes notierte er sich verschiedene Hotelnamen mit Adresse, Telefonnummer und Stadtplankoordinaten – unter denen sich auch das Hotel Adams befindet, in dem Handke die erste Textfassung von Langsame Heimkehr schrieb. Das Studium von Wilhelmys Geomorphologie ist auch für die weitere aus dem ursprünglichen Schreibprojekt »Ins tiefe Österreich« hervorgegangene Werke wie Die Lehre der Sainte-Victoire (1980) oder Die Wiederholung (1986), in welcher der Handke slowenischen Karst und von Dolinen erzählt, wichtig. (kp)

Siglenverzeichnis Forschungsbeitrag