Dieses Notizbuch umfasst 128 Seiten und enthält Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen 19. Dezember 1979 und 1. März 1980. Peter Handke hat es keinem Schreibprojekt zugeordnet, man findet am vorderen Vorsatz lediglich seine Wohnadresse in Salzburg, eine Aufzählung der in diesem Zeitraum bereisten Orte (er unternahm keine für Über die Dörfer relevanten Reisen), und zwei mottoartige Einträge, unter anderem die Bezeichnung »"Innige Ironie"« (S. I), die ab der dritten Textfassung seinem Theaterstück Über die Dörfer als Motto vorangestellt ist: »"Hier stehe ich." – Alle sind im Recht. – Nach Schlußworten weiterspielen. – Innige Ironie.« (ÜD) In einer Notiz vom 19. Dezember 1979 bezieht er sich noch einmal auf diese Stelle, wobei er die »innige Ironie« auf sein Schreiben überträgt: »INNIGE IRONIE (das wäre die epische Haltung)« (S. 3).
Das Notizbuch enthält nur wenige von Handke dem Stück zugeordnete Einträge, wobei er dafür bereits bis auf eine Ausnahme den Titel »Über die Dörfer« verwendete. Darüberhinaus findet man Notizen, die auch ohne explizite Werkzuordnung im Zusammenhang mit dem Stück stehen. Die projektbezogenen Notizen befassen sich vor allem mit dem Verhältnis der Geschwister zueinander. Sie lauten: »die Geschwister brauchen "mich" (Über die Dörfer)« (S. 32); »Die Geschwister sehen einander wie Gespenster ("Über die Dörfer")« (S. 78) oder »"Über die Dörfer": der eine Bruder glaubt, das Recht zu haben, die andern zu fragen; aber wenn die andern ihn einmal fragen, schweigt er unwillig« (S. 84). Dabei beschäftigten Handke nicht nur die Figuren oder die Handlung sondern auch die dramatische Form: »Im Lauf der Ereignisse fangen die Geschwister einander zu fragen an (Dramatik); auch Schuld und Beschuldigung gehören zur Handlung; dann aber ist auch Schuld nicht mehr im Spiel; zum "ewigen Sein" kommen sie im "Satyrspiel"« (S. 68) und »Geschwisterdrama: die wie du weißt-Dramaturgie ist da kein Trick, sondern das Drama (natürliche Gesprächsform) ("Über die Dörfer")« (S. 86). Diese Notiz und der daruntergeschriebene Zusatz »"Über die Dörfer": die Entsühnung« (S. 86) enhalten auch einen Verweis auf die griechische Tragödie Elektra von Sophokles.
In den anderen projektbezogenen Notizen dieses Notizbuchs lotet Handke aus, welche Dinge in der Kunst gelten bzw. darstellbar sind und welche nicht. Nova wird sie später in ihrer Schlussrede aufzählen (ÜDa 110). Hier notierte Handke: »Es gibt die Frau mit der Illustrierten ("Dramatisches Gedicht")« (S. 24). An einer anderen Stelle wendet er einen Satz aus Meister Eckharts Vom Wert der Gewöhnung auf sein Unterscheidungsmodell an: »"... denn dem innwendigen Menschen sind alle Dinge eine innwendige göttliche Weise" (M.E.); aber die menschlichen Dinge, nicht nur die Plastiksäcke? die Gottverlassenheit der menschlichen Dinge, nimmt sie nicht überhand? Vielleicht ist eine zerschlissene Plastiktragtasche doch darstellbar?« (S. 31). Eine weitere Notiz zu Über die Dörfer befasst sich mit der feierlichen Grundhaltung des Stücks: »Ein Theaterstück ist für ein festliches Ereignis, und so muß darin auch gesprochen werden (es muß überhaupt gesprochen werden) (ÜdD muß eine Art Festspiel sein, so alltäglich auch die Geschichte sein mag)« (S. 96). Vielleicht dachte Handke dabei auch schon an eine Uraufführung des Stücks bei den Salzburger Festspielen.
Für das Stück relevant sind auch einige der in diesem Notizbuch dokumentierten Lektüren Handkes, zum Beispiel Iphigenie auf Tauris (S. 83ff.) und Torquato Tasso (S. 96ff.) von Goethe oder von Werken Nietzsches, die auch die Schlussrede Novas, die Apotheose der Kunst, beeinflusst haben dürften. Handke notierte dazu »"In seiner Kunst ist viel 'Dankbarkeit über genossenes Glück'" (Quelle der "Apotheose" nach Nietzsche)« (S. 49). (kp)
Paris → Genf → Zürich → Winterthur → München → Salzburg
Rue du Maine [Paris] (19.12.1979, S. 3); Genfer See, Lausanne (20.12., S. 5); Bern (20.12., S. 6); Schweiz, Olten (20.12., S. 7), Zürich (20.12., S. 9); Winterthur (21.12., S. 17); Leopoldskron (23.12., S. 23); Mönchsberggarage (24.12., S. 24); Salzach, Mülln (25.12., S. 29); Untersberg (27.12., S. 33); St. Leonhard/Untersberg (28.12., S. 35); Mülln (30.12., S. 40); Rainberg (31.12., S. 41); Bergheim (2.1.1980, S. 46); Maria Plain (2.1., S. 47); Untersberg, Mönchsberg, Hellbrunner Berg, Nonnberg (5.1., S. 51); Leopoldskron (7.1., S. 56); Gaisberg (8.1., S. 58); Mönchsberg, Humboldtterrasse (9.1., S. 62); Gaisberg (12.1., S. 67); Bergheim (13.1., S. 68); Ma. Plain (13.1., S. 69); Morzg (15.1., S. 70); Mülln (19.1., S. 73); Gaisberg, Maria Plain (23.1., S. 81); Mönchsberg Humboldtterrasse (6.2., S. 97); Imbergstraße (6.2., S. 98); Moosstraße (7.2., S. 100); Anif, Morzg (9.2., S. 101); Siezenheim (12.2., S. 105); an der Mur, Lungau (14.2., S. 107); Karneralm, Prebersee (15.2., S. 108); Maria Pfarr (15.2., S. 109); St. Leonhard (16.2., S. 110); Leopoldskron (24.2., S. 119); St. Peter, Nonntal (25.2., S. 121); Morzger Hügel (27.2., S. 124); M.ger Wald, Hellbrunner Hügel (1.3., S. I*), Morzger Hügel, Gneis (1.3., S. II)
1 Notizbuch mit rotbraunem Plastikumschlag, 128 Seiten, I-IV, pag. 2-128, I*-III*
1 getrocknetes Blatt (zw. S. 122/123) im DLA Marbach aus konservatorischen Gründen separat abgelegt; im hinteren Vorsatz: 1 Polaroid, Amina Handke, mit eh. Aufschrift »6. Juli 1980 (vor → Berlin)«; 1 Ausschnitt aus einer Schweizer Zeitung: »H. Mr.: Halbschattenmondfinsternis am 1. März«, ohne Datum; 1 Taxirechnung München, 25.7.1980; 1 Restauranrechnung von Hübner, Hotel Bristol, 7.7.1980; 1 Zeichnung (wahrscheinlich von Amina Handke) mit Peter Handke abgebildet und einem Blumensticker; 1 Antwortschein, 30.5.1980
Bildende Kunst
Literatur