Dieses Notizbuch mit Aufzeichnungen vom 7. bis 30. November 1979, vom 26. Jänner 1980 und vom 27. Juli bis zum 30. Oktober 1980 wurde von Peter Handke am vorderen Vorsatz den Projekten: »Die Wiederholung«, »Kindergeschichte«, »Dramatisches Gedicht«, »Die Lehre der Ste Victore« und »Über die Dörfer« zugeschrieben. Auffällig ist bei dieser Aufzählung, dass das Theaterstück am vorderen Vorsatz sowohl mit dem Titel »Dramatisches Gedicht« als auch mit dem bekannten Werktitel »Über die Dörfer« erwähnt wird. Die doppelte Benennung des Stücks lässt sich damit erklären, dass im Notizbuch Notizen von 1979 und 1980 enthält und die Umbenennung des Stücks vermutlich erst im Jänner 1980 erfolgte. Das Notizbuch kann als Hauptquelle von Über die Dörfer bezeichnet werden, da es erstmals eine über mehrere Seiten verlaufende, intensive Beschäftigung Handkes mit dem Stück dokumentiert. Es begleitet zudem die ersten drei Wochen von Handkes Arbeit an der ersten Textfassung.
Der erste Abschnitt des Notizbuchs von 7. bis 30. November enthält dabei nur wenige stückrelevante Aufzeichnungen, allerdings ist Handkes in den Notizen transparent werdende Arbeit an seiner neuen, am Klassischen orientierten Poetik auch für das Stück grundlegend. Die zeitliche Lücke zwischen 1. Dezember 1979 und 26. Jänner 1980 füllen die beiden Folgenotizbücher. (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 023 u. 024) Der Notizbuchwechsel könnte mit der Neuordnung der Schreibprojekte in Handkes Arbeitsplanung zusammenhängen, die er seinem Verleger Siegfried Unseld in einem Brief vom 2. Oktober 1979 mitteilte. Handke wollte das Theaterstück anfangs unmittelbar nach Langsame Heimkehr schreiben, in der modifizierten Planung zog er Die Lehre der Sainte Victoire und Kindergeschichte vor. (Handke / Unseld 2012, S. 376) Dadurch veränderte sich vermutlich auch die Rangordnung der jeweiligen Projektrecherchen in den Notizbüchern.
Die Notizen vom 26. Jänner 1980 entstanden parallel zu Handkes gleichzeitig geführtem Notizbuch von 19. Dezember 1979 bis 1. März 1980 (DLA, A: Handke, Peter, Notizbuch 024). Die Einträge verlaufen über vier Seiten und befassen sich ausschließlich mit dem Stück, das er zu diesem Zeitpunkt bereits explizit »Über die Dörfer« nennt oder kurz »ÜdD«. Eine dem Stück zugeordnete Notiz lautet bespielsweise: »Im Wortwechsel ist der studierte Bruder viel unbeholfener als die zwei anderen, "unstudierten" Geschwister ("Über die Dörfer["]); er stottert usw.; und trotzdem beschuldigen ihn die Geschwister: Reden kannst du ja, reden, dabei sind sie viel redegewandter – die Sprache, die gemeine, ist ihnen weit selbstverständlicher« (S. 28).
Die Stücknotizen sind vermischt mit Lektürezitaten aus den Tragödien Elektra und Ödipus auf Kolonos von Sophokles, die Handke mit Hinblick auf Über die Dörfer studierte. In Anlehnung an die Tragödien machte er Aufzeichnungen zu den Schauplätzen oder zu den Figuren und ihren Reden in seinem Stück, oftmals überschneiden sich die Bezüge wie etwa in dem Eintrag: »Die Geschwister reden sich mit "lieben Wörtern" an, sind aber böse zueinander; verbieten zugleich das Grab der Eltern; "diese flehentliche Locke" (für das Grab)« (S. 28). Ein paar Zeilen danach notierte Handke: »"Hier ist der Ort, hier ist es, hier ist es gewesen…" (so ähnlich könnte "Über die Dörfer" anfangen)« (S. 28) oder: »ÜdD: die Besessenheit, das Erreichenwollen von etwas muß stumm sein, wortlos (nicht so wortreich wie bei Elektra)« (S. 29). Für die Stückentstehung relevant ist auch eine von Handke notierte und von ihm Franz Grillparzer zugeschriebene Aussage zur Form der Tragödie, die in eine Reflexion über sein Stück übergeht: »"Bei den Griechen hat sich die Tragödie noch nicht völlig von dem epischen Element getrennt, aus dem es entstanden war, weswegen auch die Schilderung, die Erzählung ein so großes Übergewicht gegen die Handlung hat" (Grillparzer 1834): ja – jetzt wäre das Epische (ÜdD) nötig für die Vergewisserung, und natürlich (Versuch der Vergewisserung der Geschwister durch Erzählung: Weißt du,…): Erzähl mir, erzähl mir noch einmal, erzähl mir noch einmal« (S. 30).
Die Aufzeichnungen vom 27. Juli bis 30. Oktober 1980 enthalten die zentralen Notizen zum Theaterstück. Sie schließen direkt an die Notate des vorhergehenden Notizbuchs von 2. März bis 27. Juli 1980 bzw. 22. Jänner 1981 an (DLA, A: Handke, Peter, Notizbuch 025), in dem es noch um die Erzählungen Die Lehre der Sainte-Victoire und Kindergeschichte ging. Am 27. Juli 1980, einen Tag nach Beendigung von Kindergeschichte, verreiste Handke nach Kärnten, wo er Notizen für seine Erzählung Die Wiederholung und für sein Stück Über die Dörfer sammelte. Eine erste Serie von Stücknotizen entstand ab 15. August 1980 in Griffen. Dazu fertigte er auch eine Skizze des Friedhofsportals von Stift Griffen an mit der Beschriftung: »Stift Griffen: das Portal zum Friedhof, daneben Briefkasten und Sparkassenfach (links, rechts) Friedhof (grün) Sitzstein« (S. 45). Im Stück wird dieser Ort zum Schauplatz, den Handke in der Regieanweisung beschreibt: »Leerer Platz vor einer Dorffriedhofsmauer mit einem offenen Torbogen. Im Torbogen keine Grabsteinumrisse, nur leuchtendes Grün. [...] Zur einen Seite des Tors, außen an der Mauer, eine Steinbank mit einer deutlichen Mulde.« (ÜDa 70)
Von Griffen reiste Handke nach Slowenien und unternahm von Nova Gorica aus Tagesausflüge durch den Karst. Nachdem er am 26. August in Nova Gorica mehr als fünf Seiten zu Über die Dörfer notiert hatte (S. 91-95), schrieb er in sein Notizbuch: »ÜdD: Jetzt bin ich endlich von der Geschichte besessen (seit dem Nachtclub gestern abend; danke, nackte Tänzerinnen)« (S. 95). Dabei handelte es sich um Notizen zur Konstruktion, zum Aufbau des Stücks, zu den Figuren, den Handlungen, den Reden sowie zum Schauplatz. Eine konkrete Aufbauskizze des Stücks enthält bereits fünf Szenen: »Vorspiel«, »1. Akt«, »Zwischenspiel«, »2. Akt« und ein »Nachspiel«. In dieser Skizze nannte er die Freundin von Gregor noch nicht Nova oder Beatrice, sondern »Isabel«. Die Schlussrede der Nova, ihre Apotheose der Kunst, war hier noch nicht in der späteren Form eingeplant und könnte beim Schreiben der ersten Textfassung entstanden sein. Dieser Idee nach sollte ein »Priester« und dann ein »Dorfphilosoph« sprechen. Handke notierte: »Requisit im Friedhofsakt: Leiter, die der Dorfphilosoph herbeiträgt, an die Mauer lehnt, hinaufsteigt und von dort oben die Mauerschau der Prügelei betreibt und auch seine große Rede hält« (S. 92). An früheren Stellen im Notizbuch aufgeschriebene Ideen wie »ÜdD: Am Schluß die Apotheose der Kunst, nur in den wiederholten Worten: "Über die Dörfer"« (S. 37f.) oder »die Göttin erscheint und verkündet den Trost« (S. 38) dürften dann mit dieser verschmolzen sein.
Das Notizbuch belegt darüber hinaus den Schreibbeginn und die ersten drei Wochen der Entstehung der ersten Textfassung von Über die Dörfer. Am 8. Oktober 1980 vermerkte Handke: »den Anfang probiert – und ich weiß wieder einmal nicht, ob das Schreiben meine Pflicht ist, oder Vermessenheit [/] der Gegenstand muß mich überwältigt haben – dann kommt die Form« (S. 165). Mit 30. Oktober enden nicht nur die Aufzeichnungen dieses Notizbuchs, es brechen auch Handkes Notizbuchaufzeichnungen zu Über die Dörfer insgesamt ab, so dass die weitere Entstehung des Stücks nicht mehr durch Notizen dokumentiert ist. Das Notizbuch mit Handkes Aufzeichnungen aus dem Zeitraum zwischen dem 31. Oktober 1980 und dem 1. April 1981 gilt bis dato als verschollen. (kp)
"Die Wiederholung"; "Kindergeschichte"; "Dramatisches Gedicht"; "Die Lehre der Ste Victoire"; "Über die Dörfer"
Salzburg
Salzburg (10.11.1979, S. 6), Anif (24.11., S. 23), Großgmain (27.11., S. 24), Völkermarkt (12.8.1980, S. 43), Hemmaberg (13.8., S. 43), Globasnitz (13.8., S. 43), Diex (14.8., S. 45), Stift Griffen (14.8., S. 45), Altenmarkt (14.8., S. 48), Pustritz (15.8., S. 50), Tanzenberg (17.8., S. 52), Ludmannsdorf (18.8., S. 52), Jesenice (19.8., S. 52), Bled (19.8., S. 52), Bohinska Bistrica (21.8., S. 61), Ribčev laz (21.8., S. 60), Polje (21.8., S. 61), Crna prst (21.8., S. 62), Sežana (21.8., S. 64), Nova Gorica (21.8., S. 64), Prvacina (22.8., S. 66), Sežana (22.8., S. 67), Vremščica (22.8., S. 67), Gornje Ležeče (22.8., S. 67), Divača (22.8., S. 68), Nova Gorica (22.8., S. 68), Tomaj (23.8., S. 70), Komen (23.8., S. 75), Krajna Vas (23.8., S. 76), Kosovelje (23.8., S. 78), Tomačevica (23.8., S. 78), Stanjel (23.8., S. 79), Kobjeglava (23.8., S. 78), Nova Gorica (24.8., S. 79), Krajna Vas (24.8., S. 80), Pliskovica (24.8., S. 81), Dutovlje (24.8., S. 84), Comeno/Komen (24.8., S. 86), Nova Gorica, Gorizia (25.8., S. 86), Dutovlje (25.8., S. 87), Krajna Vas (25.8., S. 87), Tomaj (25.8., S. 89), Nova Gorica (26.8., S. 91), Gorizia (26.8., S. 94), Triest (26.8., S. 95), Miramare (27.8., S. 97), Lignano (28.8., S. 98), San Marco [Venedig] (28.8., S. 99), Udine (3.9., S. 107), Velden (4.9., S. 108), Villach (4.9., S. 108), Nötsch (4.9., S. 108), Saak (5.9., S. 109), Lesachtal (5.9., S. 111), Dellach im Gailtal (5.9., S. 111), Maria Luggau (5.9., S. 111), St. Daniel (5.9., S. 112), Vorderberg (5.9., S. 112), Nötsch (5.9., S. 112), Wasserleonburg (6.9., S. 114), Feistritz an der Gail (6.9., S. 115), St. Georgen (6.9., S. 115), Labientschach (6.9., S. 116), Göriach (7.9., S. 118), Oisternig (7.9., S. 118), Hohenthurn (7.9., S. 120), St. Job (7.9., S. 121), Fürnitz (7.9., S. 121), Oberrain (7.9., S. 121), Villach (8.9., S. 123), Pusarnitz (8.9., S. 125), Obervellach (8.9., S. 125), Gasteiner Tal (8.9., S. 125), Mozartsteg [Salzburg] (9.9., S. 125), St. Wolfgang (11.9., S. 128), Anif (14.9., S. 135)
1 oranges Notizbuch (Marke Tell Notiz), 192 Seiten, I, pag. 1-190, I*-III*
1 Beilage zwischen den Seiten 18 und 19 (Papierstreifen mit der Datierung des Notizbuchs)
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Bildende Kunst