Peter Handkes Notizbuch mit seinen Aufzeichnungen aus der Zeit zwischen 9. Juli und 11. November 1979 enthält erstmals Einträge, die von ihm ausdrücklich dem »Dramatischen Gedicht«, wie er das Theaterstück Über die Dörfer hier noch nannte, zugeordnet wurden. Den Titel vermerkte er bereits zusammen mit den beiden Werktiteln »Kindergeschichte« und »Die Wiederholung« am vorderen Vorsatz. Projektbezogene, mit dem Werktitel des Stücks versehene Notizen befinden sich eher im hinteren Teil des Notizbuchs. Es sind nicht viele und sie beschäftigen sich noch nicht mit den Figuren, Dialogen, Schauplätzen oder dem Aufbau des Stücks, sondern versuchen vielmehr eine Grundhaltung zu formulieren. Das Notizbuch enthält darüber hinaus aber viele nicht gekennzeichnete Einträge mit Bezügen zum Stück.
Sämtliche Notizen, in denen Handke seine neue, am Klassischen orientierte Poetik mit den zentralen Begriffen Schönheit, Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit, Frieden, Natur, etc. formulierte, sind in gewissem Sinne zugleich Vorarbeiten zum Stück, das mit Novas Rede, einer »Apotheose der Kunst« endet, in der man all diese Begriffe versammelt findet (ÜDa 109-121). Am 11. Oktober 1979, einen Tag nach der für seine Wende zur Klassik programmatischen Kafka-Preis-Rede, findet man einen Eintrag, der im Zusammenhang mit dem Stück Über die Dörfer steht und der zeigt, wie diese neue Poetik das Stückprojekt beeinflusste. Er notierte in Formulierungen, die an die Preisrede erinnern: »Die Technik, die Gegenstände der Chemie – sind nicht: die Produkte der Industrie sind nicht, der Aluminiumkoffer ist nicht, die Fußgängerzonen sind nicht (→ Dramatisches Gedicht); [...] Sie sind nicht denkbar, sie sind kein Gegenüber – sie sind wie Pistolen und Pistolentaschen (Madrid, letzter Dezember!); ja ich bedrohe euch in euer Existenz, Nicht-Existierende! (Dramatisches Gedicht)« (S. 162). Diese Gedanken findet man vereint mit einem weiteren Eintrag vom 24. Oktober, in dem es heißt: »Wo in der mit Farben vollgestellten Welt noch die Liebesfarben der Natur sehen? (die freudlose Farbenfreudigkeit) [Kleider z. Trocknen] ["Dram. Gedicht"]« (S. 178), in der Schlussrede Novas wieder: »So sorgt geduldig in der mit künstlichen Farben fertiggemachten Welt für die wiederbelebenden Farben einer Natur. Das Bergblau ist – das Braun der Pistolentasche ist nicht; und wen oder was man vom Fernsehen kennt, das kennt man nicht.« (ÜDa 110)
Zu den poetologischen Notizen im weiteren Sinne zählen auch jene Aufzeichnungen, in denen Handke versucht, sein Selbstverständnis als Schriftsteller zu bestimmen, denn auch die Hauptfigur des Stücks, der aus Amerika kommende Dichter Gregor, muss sich mit seiner Arbeit gegenüber seinen Geschwistern und dem Dorf erst behaupten. Gregors Gefühl, »dem vorgegebenen Lebenslauf [...] durch irgendein Glück entkommen« zu sein (ÜDa 16), findet eine Vorlage in Handkes Notizen über sich selbst: »Unangenehme Empfindung vom Glück begünstigt zu sein« (S. 42) oder »Wie ich immer zu spüren kriege, daß ich "ein Auserwählter" sei« (S. 42), wobei er sieht, dass sein Glück auch historisch bedingt ist: »ich verdanke meiner Epoche viel; ohne sie würde ich wohl nicht mehr leben: sie läßt mich das tun, was ich kann, und was nur ich kann; und ich will denen, die für den Fortschritt gearbeitet haben, der es jemandem wie mir erst ermöglichte, aus der Milieubeschränkung herauszukommen, mit meinen Taten dankbar sein« (S. 108). Als Außenseiter bzw. »Erwählter« ist er zugleich »Idiot« im positiven Sinne, wie auch Gregor ein »Idiot«, eine Parzival-Figur ist: »Ich, der Idiot des Volkes (bin ich das nicht hier?)« (S. 126). Im Grunde entspricht auch Novas Rede Handkes Auftrag an sich selbst. Anfang Oktober notierte er: »Man muß mir nicht glauben, wie einem Heilsverkünder, ich erzähle, zwingend (will es)« (S. 149), »Mein Versöhnungs-wille ist Sprachbemühung; Unversöhnlichkeit ist Weigerung der Mühe von Sprache; Unversöhnlichkeit ist die Haltung böser, unleidlicher, nicht leidender Sprachlosigkeit« (S. 148) oder »Ja, ich habe die Friedensaufgabe: auch vor mir selber« (S. 148).
Für das Stück relevant ist sicherlich auch Handkes Reise Ende August 1979 durch verschiedene Kärntner Orte (Velden, Eisenkappel, Ruhstatt, Völkermarkt, Greutschach, Stift Griffen), »über die Dörfer« nach Altenmarkt/Griffen, zu seinem Geburtsort. (S. 88ff.) Die Aufzeichnungen wurden dem Stückprojekt von ihm zwar ebenfalls nicht explizit zugeordnet, dennoch dürfte er diese Reise auch aus Recherchegründen unternommen haben. Von Völkermarkt (S. 90) ging er eventuell eine Strecke des Wegs zu Fuß über die »alte Landstraße«, die in Über die Dörfer auch vorkommt (ÜDa 54), denn er notierte: »Wie im Gehen die Ortsnamen wirklich werden: "Ruhstatt", "Ob der Drau" (Hans ging so in der Nacht nachhause, auf der "alten Straße")« (S. 90). Er besuchte das Stift Griffen mit den slowenisch beschrifteten Kreuzwegtafeln in der Kirche (S. 90) und den Heiligen Drei Königen im Kreuzgang des ehemaligen Klosters (S. 92). Danach blickte er auf den Grabstein (vermutlich seiner Mutter oder der Familie mütterlicherseits), »so wie man von einer Anhöhe "dort unten" sein Haus sieht«, und auf den »Triumphbogen (die romanischen Fresken)« (S. 92), womit er entweder den Eingang zum Friedhof oder zur romanischen Kirche gemeint haben muss. Vielleicht befand er sich da schon auf einer Anhöhe im Grafenbachgraben, den er ebenfalls in einer Notiz erwähnt: »der fruchtbare Eingang des Grabens (die Himbeeren); im Graben Pfeffergeruch [,] eine längliche Himbeere, in der Form eines Einbaums« (S. 91), »fruchtbarer Graben, furchtbare Garben« (S. 92) Im Stück spricht die Alte von dem Graben, wo am »Eingang der Schlucht [...] noch die hellroten Himbeeren [leuchten]« (ÜDa 71). Das Stift Griffen mit dem Friedhof dürfte ihm schon als Schauplatz vorgeschwebt haben, denn nach der Reise bemerkt er im Notizbuch »Stift Griffen: "ideal geschlossene Sphäre"« (S. 135) und »Die Mäjestät der Phantasie (das Stift G. als Weltbühne: "eine Leere, wo sich etwas ereignen wird", sagte T. im Schneedunst; das allgemeine tiefe Heimweh der Bewohner gerade dieser Gegend, durch die Zeiten, vom Großvater an)« (S. 179).
Im Stift Griffen hatte er sich auch die Frage notiert: »Was ist heutzutage das Drama? Daß es weder Volk noch Heimat gibt (Blick auf das dämmernde Tag, Vorzeit)« (S. 90) sowie den Satz »"für unsere Gegenwart und unser Tal" (die Predigt)« (S. 94). Diese beiden Einträge steuern bereits auf die Figurenreden in Über die Dörfer zu, nicht nur von Nova, sondern auch von Hans, der Alten oder der Verwalterin. Nach seiner Reise machte sich Handke in Salzburg, seinem damals gerade neuen Wohnort, weitere Notizen: »"Schämt euch!" (Rede an die Menschheit – "Dramatisches Gedicht")« (S. 145) oder »Wut und Ekel treten inzwischen nur noch als Grausen auf wie das in Sprache vernünftigen Zorn verwandeln? ("Dramatisches Gedicht")« (S. 189). (kp)
"Die Wiederholung"; und für "Kindergeschichte"; + "Dramatisch. Gedicht"
Berlin [Adresse]; Straßburg → Ammerschwihr → Colmar → Murbach → Grand Ballon → {?}iel → A{??}und → Mulhouse → Basel → Kaiserstuhl → Offenburg → Berlin → Kronberg → Königstein → Schloßborn → München → Grafing → Attel → Wasserburg → Rott → Rosenheim → Antwort → Prien → Salzburg → München → Paris → Tamsweg → St. Michael i. L. → Velden → Klagenfurt → Stein → Völkermarkt → Diex → Grafenbach → Greutschach → Der Ort namens Boing (Frühäpfel), St. Griffen → Altenmarkt → Griffen → Metnitztal (Oberhof) → Friesach → Salzburg → München → S. → Untersberg → S. → Berlin → S. → Klosterneuburg → S.
Place Kleber (Strasbourg, 9.7., S. 3); Colmar (10.7., S. 7); Ave de la Marne [Colmar] (10.7., S. 8); Riquewihr → Ammerschwihr (11.7., S. 8); Musée Unterlinden [Colmar] (11.7., S. 9); Petite Venise [Stadtviertel von Colmar] (11.7., S. 10); Dominikanerkirche [Colmar] (11.7., S. 10); St. Martin [Münster in Colmar] (11.7., S. 10); → Bahnhof (11.7., S. 11); Merxheim (11.7., S. 11, 12); Murbach (S. 12, 13); St. Barnabé [Gasthof] (12.7., S. 13); Klintzkopf [in den Vogesen] (12.7., S. 16); Grand Ballon (12.7., S. 18); Belchenthal (12.7., S. 19); Murbach (12.7., S. 19); Kunstmuseum [in Berlin] (13.7., S. 22); Berlin (15.7., S. 24); Ludwigskirche [Berlin] (15.7., S. 24); Nationalgalerie [Berlin] (16.7., S. 25); Savignyplatz (16.7., S. 26); Havel (17.7., S. 27); Havelberg (17.7., S. 28); Fischerhüttenstraße, Zehlendorf [bei Berlin] (17.7., S. 28); Ludwigskirchplatz (18.7., S. 29); V.-L.-Platz [Viktoria-Luise-Platz] (18.7., S. 30); KadeWe [Kaufhaus des Westens] (19.7., S. 30); Havelberg (19.7., S. 31, 32); Ludwigskirche (20.7., S. 34); Schloßstr., Charlottenburg (21.7., S. 35); Sybelstr. [Berlin] (22.7., S. 36); Geisbergstr. [Berlin] (22.7., S. 36); Welserstraße [Berlin] (22.7., S. 36); Museum/ Dahlem [Berlin] (24.7., S. 39); Innsbruckerplatz [Berlin] (24.7., S. 39); U-Bahnhof, Auguste-Victoria-Platz [Berlin] (24.7., S. 40); S-Bahn-Zehlendorf (24.7., S. 40); Kronberg → Köngstein (25.7., S. 40); Opelzoo (25.7., S. 40); Sonnhof-Park [in Königstein] (25.7., S. 40); Königstein (25.7., S. 41); Kö → Kr (25.7., S. 41); im Wald von K. [Kronberg] (26.7., S. 42); Kronberg (26.7., S. 42); Schloßborn (27.7., S. 43); F, Hauptbahnhof [Frankfurt] (28.7., S. 43); → München (28.7., S. 43, 44); K.-Th.-Straße [München] (29.7., S. 48); Frauenneuharting (30.7., S. 49); Attel (30.7., S. 49); Wasserburg (31.7., S. 50); Rott (31.7., S. 51); Kufsteiner Str. [vermutlich in Rosenheim] (1.8., S. 53); Antwort (1.8., S. 54); Chiemsee (1.8., S. 55); Chiemsee → Prien (1.8., S. 55); S. [Salzburg] (2.8., S. 56); vor dem Untersberg (2.8., S. 56); Nonntalg. [Salzburg] (2.8., S. 56); Steintreppe Toscaninihof [Salzburg] (3.8., S. 59); Harthauser Straße [München] (5.8., S. 58); Harlaching (6.8., S. 61); → Paris (8.8., S. 61); St. Denis (8.8., S. 61); Pte Maillot (9.8., S. 61); Ave de G. [Avenue de Gaulle] (9.8., S. 68); Ave du Roule (9.8., S. 68) Pl. Ferdinand [Place Saint-Ferdinand] (10.8., S. 70); St. Yon/Essonne (12.8., S. 70); St-Sulpice-en-{Farrières} (12.8., S. 70); Neuilly (12.8., S. 71); La Défense (12.8., S. 71); Friedhof Suresnes (12.8., S. 71); Mt Valérien (12.8., S. 71ff); Pont de Suresnes (12.8., S. 72); St. James (12.8., S. 72); J d Accl. [Jardin d'Acclimatation im Bois de Boulogne in Paris] (12.8., S. 72); Pte Maillot (12.8., S. 72); Mont des Fussillés (13.8., S. 73); Pte Dauphine (13.8., S. 14); JdA [Jardin d'Acclimatation] (13.8., S. 14); Pte Maillot (13.8., S. 74); Michelis [Rue Madeleine Michelis in Neuilly] (13.8., S. 75); Bois de B. [Bois de Boulogne] (13.8., S. 75); Michaelis (14.8., S. 75); Pte de la Chapelle (14.8., S. 76); Flughafen Zürich (14.8., S. 76); St. Leonhard (14.8., S. 76); Tamsweg (14.8., S. 77); vor dem Standlhof [vermutlich in Uderns im Zillertal] (14.8., S. 77); Rot{gülden}see (15.8., S. 77); Grazer Hütte (16.8., S. 78); → Wien (16.8., S. 79); {Rautental} (18.8., S. 82); St. Michael (21.8., S. 86); Schl. Velden [Schloß Velden] (21.8., S. 87); Velden (22.8., S. 88); Virnium (22.8., S. 89); Eisenkappel (22.8., S. 89), Ruhstatt (22.8., S. 90); Völkermarkt (23.8., S. 90); Greutschach (24.8., S. 91); Stifter Graben, Kreuz (24.8., S. 92); Kreuzgang [im Stift Griffen] (24.8., S. 92); Dermuth [vermutlich Hotel/Restaurant Dermuth in Klagenfurt] (25.8., S. 93); Oberhof (25.8., S. 94); Velden (27.8., S. 96); Mölltal (27.8., S. 96); Bischofshofen (27.8., S. 96); nach Hallein (27.8., S. 97); Salzach, Mülln (28.8., S. 97); vor der Spedition, Bayerhamerstr. (29.8., S. 98); Mülln [Umzug nach Salzburg] (30.8., S. 98); Kollegienkirche (30.8., S. 98); KK [Kollegienkirche] (31.8., S. 99); auf dem M-Berg [Mönchsberg] (2.9., S. 101); Werfenweng (2.9., S. 101); S. → M. → S. [Salzburg, München] (4.9., S. 102); Wettersteinplatz (Straßenbahnstation) [München] (4.9., S. 103); Untersberg (6.9., S. 104); Hochthron (6.9., S. 105); Fuschl [Übergabe von Langsame Heimkehr] (7.9., S. 105); Dom [Salzburg] (9.9., S. 109); (Mönchsberg) → Mülln (13.9., S. 117); Kollegienkirche (13.9., S. 117); Getreidegasse; Fußgängerzonen (13.9., S. 117); der M. [Mönchsberg] (13.9., S. 118); Untersberg (16.9., S. 122); Fuschl (16.9., S. 122); Frk. [Franziskanerkirche Salzburg] (19.9., S. 127); St. Peter [Glocken, vgl. mit Palau in Sardinien] (23.9., S. 132); Kollegienkirchenturm (25.9., S. 137); Zugabfahrt (29.9., S. 143); Rheinstr. (Berlin, 30.9., S. 145); Berlin (S. 146); → Lietzenburger (Straße, Berlin; S. 146); Flughafenhalle (1.10., S. 146); wieder in S., Franziskanerkirche (1.10., S. 147); S. (Salzburg, 4.10., S. 150); "Herbststraße", "Hundskehle" (in Salzburg, 10.10., S. 161); Verduner Altar (in Klosterneuburg; 11.10, S. 162); Klosterneubg. (12.10., S. 163); Untersberg (Blick auf den Berg aus seiner Wohnung; 14.10., S. 165); Frzk.kirche [Franziskanerkirche Salzburg] (14.10., S. 167); Untersberg [Blick vom "Haus als Kanzel"] (15.10., S. 169); das Kar des Untersbergs [Blick auf den Berg] (16.10., S. 170); die Mönchsbergkuppe (16.10, S. 171); Mb. [Mönchsberg] (16.10. S. 171); der Staufen [vgl. mit den Chugach Mountains in Alaska] (16.10., S. 171); Flugzeug Berlin → München → (21.10., S. 175); Untersberg [Blick auf den Berg] (28.10., S. 182); Untersberg [Blick auf den Berg] (1.11., S. 187); Staufen [Blick auf den Berg] (2.11., S. 188); Gaisberg [Blick auf den Berg] (3.11., S. 189); Moor [Leopoldskroner Moos] (4.11., S. 190); Staufen [Blick auf den Berg] (4.11., S. 190); Domplatz (4. od. 5.11., S. 192); Tennengebirge [Blick auf den Berg] (4. od. 5.11., S. 192)
1 olivgrün-beiges Notizbuch, 196 Seiten, I-III, pag. 1-192, I*-III*
1 Zeitungsausschnitt: »Sternenhimmel im August« (eingelegt auf S. 94; 1 Blume (in Marbacher Katalogisat nicht angegeben); 1 Papierstreifen mit hs. Datierung des Notizbuchs (war ursprünglich am Notizbuchumschlag angebracht)
Bildende Kunst:
Musik:
Eine Errataliste von Langsame Heimkehr wurde nach den Notizen vom 5.11.1980 auf S. 191 eingeklebt und mit weiteren Anmerkungen versehen.