Das Notizbuch mit dem eingetragenen Projekttitel »Der Staat & der Tod« (S. I) von 1975 ist Teil der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich und wird im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Es hat einen grün-weiß karierten Einband ohne Aufschriften, ist spiralgebunden und zählt 40 karierte und paginierte Seiten, wobei nur die ersten 22 von Peter Handke beschriftet wurden, die restlichen Seiten sind mit Zeichnungen seiner Tochter Amina versehen. Die Notizbuchaufzeichnungen sind undatiert, den einzigen Hinweis auf den ungefähren Entstehungszeitraum gibt eine Zeichnung seiner Tochter Amina im hinteren Teil des Notizbuchs, in der das Datum »29 Juni 75« (S. 27) eingearbeitet ist. Das Zeichnungsdatum stimmt mit Handkes Angabe in seinem Brief an Siegfried Unseld vom 15. Juni 1975 überein: »Ich habe auch nichts Neues geschrieben, bin nur bei den Notizen zu einem Stück, das ich im Sommer schreiben will.« (Handke / Unseld 2012, S. 290)
Bei den Notizen handelt es sich ausschließlich um Aufzeichnungen zu dem als »Lustspiel« (S. 1) geplanten Theaterstück Der Staat & der Tod. Die Personen listet Handke gleich zu Beginn auf: »2 Ordnungshüter«, »1 Mann«, »1 Frau«, »1 Störenfried«, »2 Kinder« (S. 2), die er dann in den Notizen meist abkürzt als »2 O« oder »O1« und »O2«, »M«, »F.«, »S.«, »A« und »B«. Als Schauplatz des Stücks beschreibt er einen »Bauzaun mit dem Schauloch, die 2 schrägen Gassen im Bauzaun, die Telefonzelle, der Tisch mit Stuhl, der Kleiderschrank, der abseits stehende Stuhl, über den manchmal ein Vorhang weht« (S. 3). »Gegen Schluß: ein Segelboot fährt hinter dem Bauzaun vorbei, mit rotem + blauem Segel, langsam« (S. 17). Es werden im Verlauf der Notizen verschiedene Handlungen, Gesten der Personen im Umgang miteinander beschrieben oder skizziert, wobei Handke als eine bestimmende Dramatik notiert: »Charaktere, Typen, Untergebene, Machthaber wechseln von einer Bewegung zur anderen« (S. 14). Oder: »innerhalb einer Kette von Aktion-Reaktion erfolgen ganz überraschende, widersprüchliche Reaktionen, oder gar keine (Kleist, Familie Schroffenstein)« (S. 12). Immer wieder kommt es zu einer Art Rollentausch, zum »Kleiderwechsel« (S. 16), oder die Figuren zeigen sich als andere, indem sie sich Perücken abnehmen oder ein Kleidungsstück ausziehen. Das Notizbuch ist undatiert, dürfte aber im Sommer 1975 entstanden sein. Einziger Hinweis auf die Entstehungszeit gibt ein von Handkes Tochter Amina in eine Zeichnung geschriebenes Datum: 29. Juni 1975.
Der Staat & der Tod war (vielleicht nicht von Anfang an) als »stummes« Theaterstück geplant; es wurde allerdings nie realisiert. Die Notizen wurden später zusammen mit weiteren Aufzeichnungen im Folgenotizbuch Schulfrei (einem weiteren Titel des Stücks) in der Literaturzeitschrift manuskripte, Heft 50 (1975), S. 70-72 abgedruckt, wobei sich diese Veröffentlichung ganz auf das das projektierte Theaterstück konzentrierte. Viele der in diesem Notizbuch skizzierten Gesten und Figuren findet man auch in späteren Stücken Handkes immer wieder, vor allem im Spiel vom Fragen von 1989 und in Die Stunde da wir nichts von einander wußten von 1992 oder in Spuren der Verirrten von 2006. Dieser Text wurde anläßlich der Uraufführung von Peter Handkes ebenfalls stummen Theaterstück Die Stunde da wir nichts voneinander wußten, am 9. Mai 1992 im Burgtheater Wien auch im Programmheft abgedruckt.
In der zweiten Jahreshälfte 1976 erschien bereits im Format der Journale ein weiterer kleiner Auszug von Notizen in der Zeitschrift protokolle Heft 2 (1976), S. 75-79 unter dem Titel Materialien zu nichts Bestimmtem; eine Dreiviertelseite mit Notizen stammt dabei aus diesem Notizbuch (S. 78). Die später ins Journal Das Gewicht der Welt übernommenen Aufzeichnungen aus diesem Notizbuch sind etwas umfangreicher als in den protokollen und unterscheiden sich auch in der einzelnen Bearbeitung. (kp)
Der Staat & der Tod
1 Notizbuch, 40 Seiten, I, pag. 1-40
Heinrich von Kleist, Familie Schroffenstein (S. 12)
Zeichnungen von Amina Handke (S. 23-40)
Schrift ist auf mehreren Seiten durch Wasserflecken unlesbar