| Die vorliegende Untersuchung des Breslauer Germanisten Lucjan Puchalski spürt dem durch die Literatur erzeugten imaginären
                           Österreich nach - der Titel der Untersuchung geht auf eine Formulierung Victor von Andrian-Werburgs aus dem Jahr 1843 zurück
                           - und rekonstruiert den Beginn der »Verklärung und Attribuierung des Österreichischen« (S. 14) an der Wende vom 18. zum 19.
                           Jahrhundert. Versuche, das »Österreichische« zu definieren, gab es bereits in der »dynastischen Historiographie des 17. und
                           18. Jahrhunderts«, ehe sie seit Friedrich Schlegel zumeist »im Sinne einer bürgerlichen Nationalideologie« (S. 7) gelöst wurden.
                           Während sich Bestimmungen der österreichischen Tradition bis weit ins 20. Jahrhundert hinein (Josef Nadler, Otto Rommel, Roger
                           Bauer, Claudio Magris) immer wieder »kodifizierende[r] Interpretationsformeln« (S. 9) bedienten, geht die neuere Forschung
                           - und auch Puchalski - von der  Erkenntnis aus, daß Nationen imaginäre Realitäten bzw. Konstrukte sind - »eine Realität, die
                           zunächst in den Köpfen der Menschen entsteht und erst dann reale Folgen in deren konkreten Handlungen und Entscheidungen hervorbringen
                           kann« (S. 10). In sieben Kapiteln beschäftigt sich Puchalski mit der »Inkubationszeit des sich parallel zu dem Nationaldenken
                           entwickelnden und in dessen Programmatik stark verstrickten modernen (staats)bürgerlichen Österreich-Diskurses«, also der
                           Zeit zwischen dem Siebenjährigen Krieg und dem Wiener Kongreß, und befragt literarische Texte auf die in ihnen dem »Österreichischen«
                           zugewiesenen Attribute. Dabei sei aber zu beachten, so der Verfasser, daß eine Rekonstruktion der direkten Botschaft der Texte
                           beziehungsweise der von den Autoren jeweils vorgenommenen ideologischen Besetzung des Österreichbegriffs nicht ausreiche;
                           vielmehr gehe es darum, jene Textschichten zu erfassen, in denen das Österreichische »einer Attribuierung nicht im Sinne der
                           diskursiven Argumentation, sondern im Sinne der spezifischen Logik des Imaginären unterworfen« wurde (S. 9), einer Attribuierung
                           also, die »sich gleichsam hinter dem Rücken des Verfassers und manchmal ganz unabhängig von seiner Absicht vollzog« (S. 10).
                         Nach der Diskussion dieser methodischen Voraussetzungen im Vorwort untersucht Puchalski zunächst die »gelehrt-literarische
                           Verklärung« im Rahmen der Habsburger-Panegyrik des 17. Jahrhunderts, in der die »Pietas Austriaca« im Zentrum steht. Der Österreichbegriff
                           wird mithin zu einer »Synthese des politischen Machtanspruchs [der Habsburger] und dessen transzendentaler Begründung« (S.
                           16) Am translatio imperii-Gedanken, der mit dem Haus Österreich verquickt wird, halten auch protestantische Autoren der Zeit
                           fest. Der ursprünglich auf die Habsburger, die Casa d’Austria, beschränkte Begriff »Österreich« wird allmählich auf das Erzherzogtum,
                           dann auf die habsburgischen Länder schlechthin ausgedehnt und im 18. Jahrhundert in diesem Bedeutungsumfang einer bürgerlichen
                           Funktionalisierung unterzogen.
                         Das zweite Kapitel rekonstruiert die Patriotismus-Debatte von Sonnenfels bis Hormayr. Der von Schweizer Autoren wie Isaak
                           Iselin und Johann Georg Zimmermann in die Öffentlichkeit eingeführte Terminus »Patriotismus«, der einen Begriffswandel von
                           einer individuellen zu einer sozialen Tugend durchläuft, wird seit den 1760er Jahren in Österreich als Rechtfertigungsargument
                           für die maria-theresianisch-josephinischen Reformen herangezogen; seit Joseph von Sonnenfels kann eine Bewegung hin zu einem
                           deutsch-nationalen, ethnisch begründeten Patriotismus konstatiert werden. Seit den 90er Jahren wird das Patriotismus-Konzept
                           als Abwehrstrategie gegen die Französische Revolution mobilisiert, wobei sich etwa an Johann Genersichs Schrift »Von der Liebe
                           des Vaterlandes« (1793) eine Hinwendung zu einem multi-ethnischen österreichischen Patriotismuskonzept konstatieren läßt.
                           Während der napoleonischen Kriege und als Folge der Ausrufung des Erbkaisertums Österreich bricht die Divergenz zwischen einem
                           im Sinn der Ideologie der Befreiungskriege deutsch-nationalen (d. h. sprachnationalen) und einem österreichischen (d. h. staatlichen)
                           Patriotismuskonzept voll auf, was Puchalski an den unterschiedlichen Ansätzen des Kreises um die »Vaterländischen Blätter
                           für den österreichischen Kaiserstaat« (v. a. Johann Michael Armbruster) und des Patriotenkreises um Joseph von Hormayr demonstriert.
                           Letztlich, so stellt Puchalski fest, blieb nach dem Wiener Kongreß lediglich ein Patriotismuskonzept über, das den multi-ethnischen
                           Staat mit Hilfe einer weitgehend säkularisierten Habsburger-Panegyrik zu rechtfertigen suchte.
                         Im dritten Kapitel geht Puchalski den Versuchen nach, eine österreichische Identität im Medium der Literatur zu konstruieren,
                           wobei seit Gottsched die literarische Identität über die deutsche Sprache hergestellt wurde. Die frühesten Versuche einer
                           österreichischen Literaturgeschichtsschreibung, z. B. Johann Baptist Gabriel Marecks am Jahrhundertende verfaßtes (und nicht
                           publiziertes) »Verzeichniß österreichischer deutscher Dichter«, gehen daher von einem reduktionistischen, auf die deutsche
                           Sprache beschränkten Konzept aus. Eine andere Traditionslinie, die das alte humanistische, auf die internationale Latinität
                           sich berufende Konzept fortsetzt, findet sich in den Arbeiten von Ignatz de Luca und Michael Denis. Parallel zur akademischen
                           Literaturgeschichtsschreibung geschieht die Österreich-Attribuierung auch in der Literaturkritik, die seit den 80er Jahren
                           (Alois Blumauer usw.) ein gegen diverse deutsche Entwicklungen (etwa den Geniekult) gerichtetes Österreich-Imago errichtet.
                           Nach 1800 kommt es dann zu unterschiedlichen Versuchen, die nationalsprachliche Literaturauffassung und das Staatskonzept
                           zu verbinden, sei es in Matthäus von Collins Arbeiten, sei es in Franz Sartoris Bestandsaufnahme der literarischen Aktivitäten
                           innerhalb der Monarchie. Auch noch die Debatte um eine österreichische Akademie der Wissenschaften, schon um 1750 einsetzend
                           und nach 1810 erneut aktuell, geht von einem entsprechend universalistischen Ansatz aus.
                         Das vierte Kapitel untersucht Österreich-Attribuierungen in der aufklärerischen Reiseliteratur und widmet sich insbesondere
                           dem »Fall Friedrich Nicolai«. Die aufklärerische Reiseliteratur konstruierte mit Vorliebe das »Eigene« in Absetzung vom »Fremden«;
                           Puchalski liest daher auch den berühmt-berüchtigten Reisebericht Friedrich Nicolais als einen Versuch, in der Auseinandersetzung
                           mit Österreich ein deutsches Selbstbild zu entwerfen. Die »Germania« des Tacitus, seit ihrer Wiederentdeckung im Jahr 1455
                           immer wieder zur Konstruktion der deutschen Identität herangezogen, ist nach Puchalski das implizite Schema, vor dem Nicolai
                           Österreich bewertet - und aus der deutschen Identität ausgrenzt. Nicolais österreich-kritische Attitüde ist keineswegs als
                           anti-katholisch zu klassifizieren, wie Puchalski anhand der Nicolaischen Behandlung des (katholischen) Bayern nachweist; sie
                           ist vielmehr im Argumentationskontext der »Germania« einer Gleichsetzung Österreichs (und Wiens) mit dem dekadenten Rom verpflichtet,
                           dem ein positiv gesehenes, ursprüngliches Deutschland gegenübergestellt wird. Da nun freilich das gegen Rom entworfene Deutschland
                           - im Sinn der taciteischen Argumentation - dem Barbarismus-Verdacht unterliegt, mißt Nicolai den Zivilisationsstatus an der
                           Situation der nationalsprachlichen Literatur, wodurch es ihm gelingt, Wien sowohl als römisch-dekadent wie auch als barbarisch
                           zu kennzeichnen. Generell überträgt also Nicolai den aus der barocken Habsburger-Panegyrik geläufigen Rom-Bezug der Casa d’Austria
                           auf die bürgerliche österreichische Realität und schafft so eine »Austriakisierung der Machtideologie der Habsburger« (S.
                           138).
                         Das fünfte Kapitel geht der Attribuierung des Österreichischen in den Wienbeschreibungen nach. Schon Friedrich Nicolai hatte
                           die von ihm konstruierten Österreichstereotypen an der Stadt Wien festgemacht: ein negativ konnotiertes urbanes Österreich
                           wurde der deutschen, ländlichen, taciteischen »simplicitas« gegenübergestellt. Ein ambivalentes Wienbild - einerseits Hauptstadt
                           Österreichs, andererseits Zentrum des Reichs - beherrscht auch die wichtigsten Wienbeschreibungen seit den 1780er Jahren,
                           wobei es immer wieder zu einer impliziten Gleichsetzung wienerischer Eigenarten mit österreichischen Phänomenen kommt. Puchalski
                           analysiert Johann Rautenstrauchs »Schwachheiten der Wiener« von 1784, Johann Pezzls »Skizze von Wien« (1786/90), Joseph Richters
                           »Eipeldauer-Briefe« sowie Schriften Johann Friedls und Joachim Perinets und konstatiert eine sich an Merciers »Tableau de
                           Paris« anlehnende libertinistische Grundhaltung, die immer wieder die Schlagworte der Aufklärung, insbesondere deren Tugendprogramm,
                           ironisiert. Die Großstadt Wien gewinnt in diesem Zusammenhang zunehmend eine auf die Gesamtmonarchie bezogenen pars-pro-toto-Funktion.
                         Das sechste Kapitel, »Österreich im Zeichen des Martialischen«, ist zweigeteilt. Zunächst untersucht Puchalski die österreichische
                           Kriegslyrik, die von Michael Denis’ »Poetischen Bildern der meisten kriegerischen Vorgänge in Europa, seit dem Jahre 1756«
                           (1760) über Philip Hafners »Kriegsgedichte« (1764) und Johann Rautenstrauchs »Österreichischen Kriegsalmanach« (1779) bis
                           zu Heinrich von Collins »Liedern Oesterreichischer Wehrmänner« (1809) reicht. Mit Recht betont er, daß Michael Denis’ Gedichte,
                           die bewußt den Anschluß an die deutsche Rokoko-Lyrik suchen, ein Österreich konstruieren, das auch in literarischer Hinsicht
                           mit Preußen wetteifern kann. Gleichermaßen stellt er fest, daß Collins propagandistische Auftragsarbeit zu floskelhaften Appellen
                           und zu einer fragwürdigen patriotischen Ethik in Hinblick auf eine obrigkeitskonforme Wehrmannsmoral führt. Ob allerdings,
                           wie Puchalski andeutet, die aufgepfropfte Künstlichkeit der von Collin vertretenen Ideologie tatsächlich zu einer Attribuierung
                           führt, die »der vordergründigen Absicht des Autors ganz offenbar zuwiderläuft«, weil sie durch die Durchschaubarkeit der agitatorischen
                           Note »eine Distanz zu deren [d. h. der Gedichte] patriotischer Rhetorik« schafft (S. 178), scheint zweifelhaft.
                         Im zweiten Teil des sechsten Kapitels untersucht Puchalski die patriotischen Volksstücke, die seit den 1790er Jahren produziert
                           werden, und widmet sich hier besonders dem Œeuvre Karl Friedrich Henslers, der vor dem Hintergrund der Koalitionskriege einen
                           nicht spezifisch österreich-bezogenen, sondern generell auf die Person des Fürsten fixierten Patriotismus proklamiert. Österreich
                           wird in diesen Stücken als Hort der friedliebenden Kräfte des Konservativismus dem revolutionären Frankreich gegenübergestellt.
                           Puchalsi konstatiert freilich in den durch die Hanswurst-Figur dominierten Nebenhandlungen eine Konterkarierung der offiziellen
                           Ideologie. Als häufig herangezogenes Analogon zur österreichischen Abwehr der Französischen Revolution fungiert die seit dem
                           Centenarium von 1783 wiederholt auf die Bühne gestellte Türkenbelagerung, wobei auch hier eine Ausweitung der Wiener Perspektive
                           auf die gesamtösterreichische Situation zu erkennen ist. Seit den späten 90er Jahren läßt sich darüber hinaus eine deutliche
                           Zunahme des (sprachlich-)deutsch-nationalen Standpunkts feststellen; der Terminus »deutsch« wird zum anti-revolutionären Tugendbegriff
                           umgedeutet. Allerdings, so konstatiert Puchalski auch in Hinblick auf diverse anti-revolutionäre Stücke Joachim Perinets,
                           bringt die antifranzösische Rhetorik das Österreichische gegen die Absicht der Autoren immer wieder mit den Idealen der Französischen
                           Revolution in einen Zusammenhang - der antifranzösisch funktionalisierte Österreichbegriff nimmt, janusgesichtig, die Botschaft
                           der Revolution in sich auf.
                         Das siebente Kapitel, das sich den »imaginären Entwürfen des Österreichischen in der Geschichtsschreibung« widmet, ist gleichfalls
                           zweigeteilt. Der erste Teil behandelt das »alpenländische Österreich« des Joseph von Hormayr, der in seinem »Österreichischen
                           Plutarch« den Übergang der Historiographie von der dynastischen Geschichtsschreibung zur Grundlage für die patriotische Identifikation
                           der Bürger mit dem Staat nachvollzieht. Hormayrs zwanzigbändiges Opus ist laut Puchalski ein Kompromiß zwischen der offiziellen,
                           multi-ethnischen Machtphilosophie und der immer stärker werdenden deutsch-nationalen Ideologie des Bürgertums; die in dem
                           Werk beschriebenen großen Österreicher - Herrscher, aber auch Feldherren und Künstler - werden deutsch-national vereinnahmt,
                           was Puchalski bis in die Details der Personenbeschreibungen nachweist. Hormayrs Alpenideal, das einerseits auf die Schweiz-Ideologie
                           Albrecht von Hallers und Johannes von Müllers zurückgeht, andererseits wohl auch in der Biographie des Tirolers Hormayr begründet
                           ist, trägt deutlich anti-napoleonische und zivilisationskritische Züge; Hormayr bindet seinen Österreichbegriff deutlich an
                           die Alpen, säkularisiert damit die habsburgische Gottgnadentums-Ideologie zugunsten einer Naturgläubigkeit, die - im Sinn
                           Montesquieus - die Beschaffenheit der Landschaft mit der Eigenart des Staates zusammendenkt: sein konservativer, romantischer
                           Österreichbegriff konstruiert einen Fels in der Brandung der stürmischen Zeitläufte. Nach 1815, in den letzten Bänden seines
                           »Österreichischen Plutarch«, läßt Hormayr dieses alpenländische Österreichbild interessanterweise fallen und kreiert stattdessen
                           in seiner Darstellung der Babenbergerzeit ein städtisch-bürgerliches, gegen die Barbarei der Umwelt gerichtetes Ideal, das
                           in vielem das Selbstbild des liberalen Bürgertums der zweiten Jahrhunderthälfte vorwegnimmt.
                         Im letzten Teilkapitel untersucht Puchalski das Österreichkonzept Friedrich Schlegels, das er, in Übereinstimmung mit der
                           neueren Schlegel-Forschung, in den Kontext der Schlegelschen Europaidee stellt. Schlegel sieht im österreichischen Kaiserstaat
                           eine Fortsetzung des wahren, universalistischen, mittelalterlichen Kaisertums. Seine Vorlesungen »Über die neuere Geschichte«
                           konstruieren eine Kontinuität von der vorchristlichen germanischen Zeit in die Gegenwart und schreiben Österreich, das klar
                           als Teil der deutschen Nation gilt, die Aufgabe zu, die universalistische Utopie der Mittelalters wiederherzustellen. Puchalski
                           konstatiert einen Widerspruch zwischen der ideologischen und der ästhetischen Botschaft Schlegels: Der moralisierenden Beschwörung
                           des einheitlichen Mittelalters steht eine ästhetische Faszination mit den Umbrüchen der Gegenwart gegenüber, die auf die romantische
                           Ästhetik und ihre Bevorzugung des Fragmentarischen und Wandelhaften zurückzuführen sei; Schlegels romantisches Denken modifiziert
                           also seine restaurative Botschaft. 
                         Lucjan Puchalskis Untersuchung liefert einen wichtigen Beitrag zur Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung Österreichs.
                           Der historische Ansatz verschränkt sich mit einer dichten Beschreibung vieler bisher kaum bekannter Quellentexte: Puchalski
                           geht den Widersprüchen zwischen dem jeweils propagierten Österreichbegriff und den durch die jeweilige Gattungswahl oder die
                           rhetorischen Strategien mitschwingenden Implikationen nach und enthüllt so die von Anfang an manifesten Widersprüche in den
                           unterschiedlichen Attribuierungen. Solche auch heute noch notwendige Aufklärungsarbeit rechtfertigt wohl die Hoffnung des
                           Verfassers, sein Buch möge »als eine Stimme im wissenschaftlichen Österreich-Diskurs der Gegenwart« (S. 10) verstanden werden.
                         Wynfrid Kriegleder |  |