Entstehungskontext

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Am 20. Mai 1968, nach einem Besuch der Kaspar-Inszenierung von Günther Büch in Oberhausen, schrieb Peter Handke seinem Verleger Siegfried Unseld: »allmählich habe ich auch Lust, wieder an ein Stück zu denken und es zu planen: über einen Theaterkiller, der Wirklichkeit heutzutage enttäuschend nachgebildet.« (Handke / Unseld 2012, S. 92) Dabei könnte Handke an Das Mündel will Vormund sein gedacht haben, das bereits sieben Monate später, am 31. Jänner 1969, im Frankfurter Theater am Turm in der Regie von Claus Peymann uraufgeführt wurde. Thematisch greift Handke darin auf seine 1965 geschriebene Kurzgeschichte Augenzeugenbericht zurück. Aus einem Interview mit dem Journalisten Hans Bertram Bock für die Münchner Abendzeitung vom 26. September 1968 geht hervor, dass das Stück ursprünglich, wohl als Verweis auf die Erzählung, Der Augenzeuge heißen sollte. Es sollte ein Stück ohne Worte sein, in dem nicht wie in Kaspar die sprachlichen, sondern die stummen Gesten der Unterdrückung, der Rebellion und Emanzipation durch verfremdende Effekte bewusst gemacht werden sollten.

Die genaue Entstehungszeit dieses Stückes lässt sich anhand der Werkmaterialien, Briefe und Selbstaussagen nicht mehr rekonstruieren. Einem Brief des Lektors Urs Widmer an Peter Handke vom 12. September 1968 kann man entnehmen, dass das »neue Stück« (damit war das Mündel gemeint) in den Reader Peter Handke. Prosa, Gedichte, Theaterstücke, Hörspiel, Aufsätze aufgenommen werden sollte. (Handke / Unseld 2012, S. 128) Der Stücktext muss demnach, so weit lässt sich die Genese zumindest eingrenzen, im Sommer 1968 geschrieben worden sein – in der Zeit zwischen dem Brief an Unseld vom 20. Mai und dem Brief von Widmer vom 12. September. Das Stück entstand in Düsseldorf, wo Handke mit seiner Frau Libgart Schwarz bis Ende des Jahres 1968 wohnte, parallel zu seinen Arbeiten für den Gedichtband Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, zur Zusammenstellung des Readers, für den er noch ein neues Hörspiel (Hörspiel Nr. 2) verfasste, zur Herausgabe eines Sammelbands mit Horror-Geschichten mehrerer Autoren im Residenz Verlag und zur Konzeption seines Romans Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Ende August oder Anfang September 1968 (der genaue Zeitpunkt lässt sich aus der Korrespondenz nicht rekonstruieren) schickte Handke seine vorläufig letzte Textfassung von Das Mündel will Vormund sein, ein zweizeilig getipptes und geringfügig korrigiertes Typoskript, an den Verlag.  Diese Fassung gibt es in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr – das Typoskript wurde im Verlag zerschnitten und mit Texteinschüben (sie dürften von Handke nachträglich geschrieben worden sein) neu zusammengesetzt. In der Beschreibung des genetischen Materials zum Mündel auf Handkeonline gilt sie als Textfassung 1, da von ihr alle in Archiven vorhandenen Fassungen – 1a, 1b, 1c – ausgingen. Handke behielt vermutlich eine Kopie dieses ersten Typoskripts, in die weitere kleine Korrekturen einfügte. Sie dürfte wieder, evt. nur als »Kopie der Kopie«, an den Verlag gegangen sein (Textfassung 1a). Seine Korrekturen und Textergänzungen wurden anschließend vom Verlag in ein anderes Kopieexemplar übertragen, das erneut kopiert wurde und vermutlich als Textvorlage für die Theater diente (Textfassung 1b). Für die Erstellung der Druckvorlage griff der Verlag jedoch wieder auf das Originaltyposkript zurück. Die von Handke in sein Kopieexemplar eingetragenen neuen Korrekturen wurden darin vom Verlag nachgetragen oder neu getippt und zusammen mit den Textergänzungen in das Typoskript eingeklebt (Textfassung 1c).

Für eine eigene Buchpublikation war der Stücktext nicht umfangreich genug. Er erschien deshalb zuerst in der Februar-Ausgabe der Zeitschrift Theater heute 1969 und im April 1969 im Sammelband Prosa, Gedichte, Theaterstücke, Hörspiel, Aufsätze. 1973 wurde er auch in den Sammelband Stücke 2 aufgenommen.

Die Uraufführung fand 1969 im Frankfurter Theater am Turm (TAT) statt. Das Bühnenbild gestaltete Moidele Bickel. In den Hauptrollen waren Hans Joachim Diehl (Mündel) und Claus Berlinghof (Vormund). Begleitmusik der Handlungen war der Instrumentalsong Colors For Susan von Country Joe and The Fish von der Platte I Feel Like I’m Fixin To Die (1969). (kp)

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